„Ich muss als Frau Entscheidungen treffen, die Männer nie treffen mussten“

Stellvertretend für Millionen anderer Frauen, wenngleich auf einem anderen Level: Florence Welch ist Sängerin Indiebombastrock-Band Florence + the Machine und fragt sich in ihrem neuen Song, was eine Familiengründung für ihre Karriere bedeuten würde.

„King“, nicht Queen: Florence Welch macht sich Gedanken über zu weit verbreitete Mütterrollen (Foto: Autumn De Wilde / Universal Music)

Der Song ist nun schon ein paar Tage alt, sein Thema leider zeitlos: In „King“, der neuen Single von Florence + the Machine, singt Florence Welch über Sorgen, die sie als Frau umtreiben. Die britische Sängerin mit der beeindruckend einnehmenden Ausnahmestimme, deren Karriere 2009 mit dem Debütalbum LUNGS und den Hits „Kiss With A Fist“ und dem Cover „You’ve Got The Love“ ganz schnell ganz groß wurde, hat erkannt: Auch in der Popbranche müssen Frauen potentielle Karriereeinschnitte hinnehmen, wenn sie eine Familie gründen möchten. Männer müssten das, so die heute 35-Jährige, in der Regel nicht.

„King“ beginnt mit den Zeilen:

„We argue in the kitchen about whether to have children
About the world ending and the scale of my ambition
And how much is art really worth
The very thing you’re best at
Is the thing that hurts the most

(…)

I am no mother, I am no bride, I am King“

Na, kommt anderen Frauen bekannt vor? Florence Welch führt aus: Als Künstlerin habe sie sich nie viele Gedanken über ihr Geschlecht gemacht. „In dem was ich tat war ich genau so gut wie all die Männer, ging raus und nahm es mit ihnen auf“, sagt sie. Jetzt aber, da sie als Frau in ihren Dreißigern über ihre Zukunft nachdächte, fühle sie plötzlich einen Riss, der durch ihre Identität und ihre Verlangen ginge. Sie will Performerin sein – aber gleichzeitig eine Familie zu wollen, erscheint ihr als Frau schwerer als für männliche Künstler. Sie habe sich stets in einer Reihe mit männlichen Performern gesehen. Zum ersten Mal aber fühlte sie nun eine sich aufbauende Mauer zwischen sich und ihren Idolen. „Ich muss Entscheidungen treffen, die sie nie treffen mussten“, so Welch.

Die Unterschiede zwischen Welch und Millionen anderer Frauen, die dieses Gefühl kennen dürften: Erstens hatte sie schon mit Mitte 20 eine Karriere und einen Erfolg, die und den viele in der Form nie haben werden. Zweitens hat sie es damit in ihrer Branche tatsächlich auf Augenhöhe und darüber hinaus mit männlichen Popstars geschafft: Florence + the Machine haben bisher vier Alben veröffentlicht und stehen bei großen Festivals als Headliner regelmäßig ganz oben auf den Plakaten – und damit dort, wo sonst fast ausnahmslos Bands beworben werden, deren Mitglieder mehrheitlich, pardon, Pimmel haben.

Wann sich Frauen nicht mehr länger Fragen wie Florence Welch stellen müssten

Mein Punkt ist der: Wenn selbst eine Frau wie Florence Welch, der gefühlt alle Türen offen stehen und die Millionen von Alben verkauft und Menschen berührt hat, ernsthaft darüber nachdenken muss, was ein Kinderwunsch für ihre Karriere bedeutet – dann sollten doch hoffentlich auch den letzten alten weißen Männern die Augen dahingehend aufgehen, wie grundlegend sich diese Frage für Frauen im gleichen Lebensabschnitt stellt, die noch keine wie auch immer geartete Karriere aufgebaut haben. Die, wie die meisten Typen, ihre 30er theoretisch dafür nutzen könnten und viele von ihnen gewiss auch gerne würden. Aber entweder deshalb nicht können, weil Freund oder Ehemann, sofern es einen gibt, ja schon „Gas geben und die Leiter empor“ wollen. Oder weil sie von Arbeitgeber*innen nicht gelassen werden, weil die denken (meist aber nicht sagen): „Oh, die Bewerberin ist Anfang 30. Kriegt bestimmt bald Kinder. Nehmen wir lieber nicht“. Oder: „Oh, die Bewerberin ist Mitte oder Ende 30, hat vielleicht schon Kinder und fiele deshalb öfter aus. Nehmen wir lieber nicht.“ Erst wenn Männer und damit potentielle Väter als Arbeitnehmer das gleiche „Risiko“ für Arbeitgeber*innen darstellen wie Frauen, wenn sie sich also mit ihren Partnerinnen den Mental Load, Financial Load, die Care-Arbeit und Co. aufteilen und damit zu echter Gleichberechtigung beitragen, ja, erst dann müsste sich nicht mehr nur Frauen Fragen wie Florence Welch stellen. Sondern Frauen und Männer, oder eines Tages, welch Utopie: niemand mehr.

P.S.: 2011 besuchte ich ein Konzert von Florence + the Machine und habe im Musikexpress darüber geschrieben. Zum Interview traf ich Welch ebenfalls. Leider kann ich den Beweis online gerade nirgends finden.

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