Angst & Aufregung

Über ein dieser Wochen und Tage wohl uns alle dominierendes Gefühl der Ohnmacht.

Gute Kamera, schlechtes Selfie: Ich, wenn ich Fotos zu Posts mache, die man eigentlich gar nicht bebildern will.

Reg dich auf, haben sie gesagt. Das komme gut an, gerade auf Instagram. Rants generieren mehr Likes, Interaktion und Reichweite als Ausgewogenes, Nettes, Egales. Bloß: Ich kann mich gerade gar nicht aufregen, weil ich zu viel Angst und Lähmung spüre.

Am Donnerstag war ich auf der Lesung von Alexandra Zykunov. Im Berliner Babylon stellte sie ihr neues Buch „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt! – 25 Bullshitsätze und wie wir sie zerlegen“ (Affiliate Link) vor, moderiert von Teresa Bücker. Zykunov regt sich darin so auf, wie sie es auf ihrem Instagram-Account tut. Über Männer, die keine Care-Arbeit übernehmen. Über Frauen, die das tolerieren und zu oft nicht anders können. Über eine Gesellschaft, die überholt gehörte Rollenbilder nicht nur hinnimmt und bestärkt, sondern besonders Eltern in ihnen gefangen hält. Themen, über die Frau sich nicht genug aufregen kann, Männer sich darüber aber auch aufregen sollten. In meinem Buch „Väter können das auch!“ tue ich das, zeige aber auch auf, warum wir in puncto Gleichberechtigung dort stehen, wo wir stehen und wie es uns gelingen kann, uns gemeinsam in eine bessere Zukunft zu bewegen.

Auf der Fahrt zur Lesung höre ich im Radio Erlebnisse von Geflüchteten aus der Ukraine. Meist Frauen und Kinder. Menschen wie du und ich und wir, die von einem Tag ihre Häuser, ihre Männer und ihr altes Leben womöglich endgültig hinter sich lassen mussten, um… ja, wofür eigentlich? Um zu ÜBERLEBEN. Ich weine. Ich bin auch wütend. Vor allem aber habe ich Angst. Angst vor noch mehr Toten, vor einer humanitären Katastrophe, vor dem endgültigen Ende der vergleichsweise friedlichen Welt, in der zumindest meine Generation aufwachsen durfte. Egoistische Angst davor, dass dieses trotz aller Ärgernisse und Ungerechtigkeiten nicht so schlechte Leben nicht mehr wiederkommt. Dass noch Schlimmeres bevorsteht, und dass unsere Kinder mit dieser Angst groß werden. 

Wir sollten deshalb nicht aufhören mit dem Versuch, unser eigenes Leben zu leben und auch Sorgen und Probleme, die nichts mit Krieg zu tun haben, weiterhin ernst zu nehmen. Wir sollten uns aufregen dürfen, weil die Welt auch ohne den Invasionskrieg von Russland gegen die Ukraine und die Drohgebärden gegen andere Länder keine perfekte und gerechte war, ist und sein wird. Wir sollten helfen, uns aber auch mal hilflos fühlen dürfen – wohlwissend, dass es gerade Millionen anderer Menschen gibt, die noch viel hilfloser (und mittelloser) als wir sind.

Nein, heute bin ich zu müde und ohnmächtig, um mich aufzuregen. Bei aller unendlichen Liebe für unsere Söhne und Respekt für ihre späteren Entscheidungen vermag ich mit Blick auf Kriege, Krisen, Klimawandel und all dem anderen menschgemachten Scheiß bloß laut zu denken: Ich werde lieber keine Enkelkinder haben wollen. 

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