Francesco Giammarco ist ZEIT-Redakteur, Vater und Autor des Buches „Das hat er nicht von mir! Über die Herausforderung, Vater eines Sohnes zu werden“. Für den „Tagesspiegel“ habe ich mit ihm über die Retrospektive seiner eigenen Kindheit gesprochen.
Ob in Form von Ratgebern, Dadjoke-Sammlungen, Tutorials, Sachbüchern, tragisch heldenhaften Ich-Erzählungen und Selbsterhöhungen, Elternzeit-Berichten, Coaching-Versprechen oder Vereinbarkeits-Forderungen: Väterbücher zeugen oft mehr von Wunsch als Wirklichkeit. Nun ist mit „Das hat er nicht von mir! Über die Herausforderung, Vater eines Sohnes zu werden“ ein weiteres dazu gekommen – und legt schon anhand des Titelbildes, auf dem ein Zigarre rauchender Dreijähriger zu sehen ist, nahe: Es geht darin nicht immer ernsthaft zu. Ein (im Auftrag des „Tagesspiegel“ geführtes) Gespräch mit dem Autor Francesco Giammarco, Redakteur im Gesellschaftsressort der ZEIT und Papa eines zweijährigen Sohnes, über Jugendsünden, Selbstbezogenheit und einsame Männer auf Väterseminaren.
Herr Giammarco: Braucht dieses Land noch weitere Vaterbücher?
Man möchte sagen: Eigentlich nicht. Väterbücher haben sich zu einem ziemlich vorhersehbaren Genre entwickelt haben. Männer, oft Journalisten, werden Vater und sind dermaßen beeindruckt von dieser Erfahrung, von der Herausforderung, die das Kind an sie stellt, dass sie das sofort in Buchform niederschreiben müssen – und dabei im besten Fall auch noch erklären, wie sich „die Gesellschaft“ und „die Väter“ ändern müssen. Inhaltlich ist das unterstützenswert. Aber manchmal auch ein bisschen langweilig.
Was ist bei Ihrem Buch anders?
Es hat keinen gesellschaftlichen Anspruch, ist dafür aber hoffentlich unterhaltsam und lässt sich schnell lesen. Das war mir wichtig.
Vor allem ist „Das hat er nicht von mir!“ gar kein Vaterbuch, sondern eine (unterhaltsame) Mogelpackung. Sie benutzen Ihre Vaterschaft als Einfallstor, um in Erinnerungen an Ihre eigene Kindheit und Jugend zu schwelgen.
Genau! (lacht) Ich bin Teil der nächsten Evolutionsstufe der Vaterbuch-Autoren: Ich bin so begeistert vom Zustand des Vaterwerdens, dass ich nicht mal über das Kind schreibe, sondern nur über mich selbst! Allerdings finde ich Mogelpackung ein bisschen hart. Der Titel sagt ja, worum es geht. Und „schwelgen“, wie Sie sagen, tue ich auch nicht.
Was macht Ihr Heranwachsen so besonders, ein Buch darüber schreiben zu müssen?
Seit wann darf man nur über „besondere“ Dinge schreiben? In dem Buch geht es darum, wie es ist, wenn man Vater oder Mutter wird. Und Elternschaft hat eben nicht nur mit dem Kind, sondern auch was mit sich selbst zu tun. Ein Kind zu bekommen, ist das ultimative Erwachsenwerden. Da kann man doch nochmal einen verabschiedenden Blick auf die eigene Jugend werfen. Elternschaft schließt ja Selbstbezogenheit nicht aus. Im Gegenteil: Sich mit sich selbst zu beschäftigen ist genauso wichtig, wie sich mit dem Kind zu beschäftigen. Denn um ein guter Vater oder eine gute Mutter zu sein, muss man nicht nur mit dem Nachwuchs klarkommen, sondern auch mit sich selbst.
Also haben Sie es für sich allein geschrieben.
Insofern ja, als dass ich gerne humoristische Geschichten schreibe. Dafür muss man etwas von sich hergeben, ein bisschen die Hosen runterlassen. Es ist wie mit dem Mann, der auf einer Bananenschale ausrutscht: Das Unglück anderer Menschen ist einfach lustig. Und man ist selbst immer der andere für jemanden. Nehmen Sie das Kinderkriegen selbst: Ich dachte immer, ein Kind zu bekommen würde mich auf jeden Fall sehr glücklich machen. Aber als ich erfuhr, dass ich einen Sohn bekomme, empfand ich plötzlich vor allem Melancholie und Traurigkeit. Ich hatte das Gefühl, jetzt mein eigenes Aufwachsen nochmal durchmachen zu müssen. Als ich einem befreundeten Psychoanalytiker später davon erzählte, war der ganz begeistert. „Schulbuchhaft“, hat er gesagt und erklärt, dass Menschen oft auf ihre eigene Kindheit zurückgeworfen werden. Ich fand, das klang wie das sprichwörtliche Leben, das an den Augen vorbeizieht, bevor man von einem Lastwagen überfahren wird. Damals ist mir die Idee für das Buch gekommen.
Melancholie und Traurigkeit? Sie sind in den 80ern in München aufgewachsen, leben in Hamburg und arbeiten in Festanstellung bei einer großen Wochenzeitung, die überdurchschnittlich verdienende Menschen lesen. War Ihre Kindheit wirklich so schlimm?
München ist sehr schön, da haben Sie natürlich recht, aber man darf ja trotzdem traurig sein, auch wenn man von dort kommt. Und ab welchem Brutto-Jahreseinkommen genau ist Melancholie verboten? Objektiv gesehen war meine Kindheit und Jugend wahrscheinlich nicht schlimm. Aber Kinderkriegen und Kindsein ist halt nicht „objektiv“.
Für welche Jugendsünde schämen Sie sich besonders?
Ich war als Teenager sehr unglücklich verliebt in eine Mitschülerin. Dafür habe ich mir immer ein bisschen selbst leidgetan. Im Nachhinein musste ich aber feststellen, dass ich, obwohl ich das Mädchen so toll fand, wirklich nie einen Gedanken daran verschwendet hatte, wie sie mich fand. Die Frage kam mir gar nicht in den Sinn. Es ging mir bei meinen Gefühlen allein um mich. So funktioniert Liebe halt nicht. Das ist mir vielleicht nicht peinlich, aber ich bedaure es. Das Mädchen habe ich für das Buch übrigens wiedergetroffen. Und zwar aus einem spannenden Anlass. Ich hatte im Netz Nacktfotos von ihr gefunden, die sie selbst hochgeladen hatte. Ich dachte zunächst, sie sei abgestürzt und unglücklich. Aber es stellte sich heraus, dass sie nur auf ihre ganz persönliche Art und Weise Frieden mit sich selbst, ihrem Körper und ihrer Vergangenheit gemacht hatte. Auch sie blickte mit einer gewissen Melancholie auf ihre Jugend.
Warum war es Ihnen wichtig, die Saufexzesse Ihrer Teenagerzeit nochmal aufzuschreiben?
Weil die Dummheit von Jugendlichen einfach sehr lustig ist. Eine Definition von Wahnsinn ist ja, immer das gleiche zu machen und ein anderes Ergebnis zu erwarten. Wenn man erwachsen ist und etwas Unangenehmes erlebt, will man eine Wiederholung auf jeden Fall vermeiden. Wenn man als Jugendlicher zu viel trinkt und etwas Dummes macht, dann schüttelt man sich und macht zwei Tage später genau das gleiche nochmal. Von außen betrachtet ziemlich unterhaltsam.
Sie berichten von Gewaltszenen in Filmen, einer Spielzeugpistolensammlung und blutigen Unfällen, von Hauspartys und unglücklichem Verliebtsein. Sind das typische Erfahrungen einer Jugend im Deutschland Ihrer Generation?
Die einen haben mehr gesoffen, die anderen waren verliebter. Ich glaube aber schon, dass ich normale deutsche Mittelstandsverwahrlosung beschreibe. Die Generation meiner Eltern war auf jeden Fall lockerer als heutige Eltern, da sind die Kinder eher so „nebenhergelaufen“. Die Großen haben sich nicht ständig Gedanken darüber gemacht, ob sich die Kleinen richtig entwickeln. Was schön für die Kinder war, weil sie mehr Freiheiten hatten. Und dann war Deutschland damals auch einfach ein bisschen anders. Nehmen Sie Rauschmittel: Überall gab es Werbung für Alkohol und Zigaretten, beides bekam man auch als Jugendlicher relativ einfach. Perfekte Voraussetzungen, um dummes Zeug anzustellen.
In Ihrem Buch erinnern Sie sich auch an Ihren beruflichen Einstieg. Wieso ist der für Väter interessant?
Da geht es um den Wunsch, einen Beruf, oder noch besser, eine Berufung zu haben, die einem das Gefühl von Selbstverwirklichung gibt. Und weil Selbstverwirklichung so wichtig ist, zeigt man da gerne dieselben Tendenzen, dumme Dinge immer wieder zu machen, wie beim Alkohol. Ich hatte eine Zeit lang einen Chef, der mir immer sehr deutlich das Gefühl gegeben hat, ich sei ganz unten in der Nahrungskette. Der hat mich immer mit Tieren verglichen, auch vor Kollegen. Babyschildkröte hat er mich genannt. Aber er war gleichzeitig genial und ich wollte unbedingt von ihm lernen. Also bin ich immer wieder ins Büro gegangen und habe mich aufs Neue demütigen lassen. Es war fast masochistisch. Aber ein bisschen was habe ich am Ende doch gelernt.
Ein Kapitel, das sich mit Vätern beschäftigt, beginnen Sie mit der Beschreibung, wie positiv man als werdender Vater behandelt wird. Mütter, die das lesen, dürften wütend werden: Gerade beruflich erfahren sie oft Nachteile.
Da gibt es für Mütter überhaupt keinen Grund wütend zu werden. Dass ich diese Schieflage beschreibe, heißt ja nicht, dass ich sie super finde. Es ist einfach die Realität: Männern klopft man auf die Schulter und sagt: „Alles wird super, das wird eine tolle Zeit, du meisterst sie bestimmt ganz wunderbar“. Frauen hören das auch, oft aber mit dem geflüsterten, negativ gemeinten Zusatz: „Es wird aber auch sehr anstrengend.“ Ich wollte dann aber etwas genauer wissen, wie es sogenannten „modernen“ Vätern geht und bin auf ein Väterseminar gefahren. Also ein Seminar für Männer, die ihre Vaterrolle noch besser, intensiver und authentischer ausfüllen wollen. Und lustigerweise habe ich dort festgestellt: Die Sorgen dieser Väter hörten sich zum Teil gar nicht so anders an, als die Sorgen von Müttern. Es ging um die richtigen Erziehungskonzepte, um das ständige Gefühl, nicht genug zu sein oder um Ärger mit der Arbeit, weil sie Elternzeit machen wollten. Am Ende der drei Tage lautete der Ratschlag des Seminarleiters an diese ausgebrannten Väter: Achtet auch darauf, wie es euch geht. Was lustig ist, denn nichts anderes wird ausgebrannten Müttern seit Jahren empfohlen. Klar, natürlich haben es Mütter im Vergleich noch schwerer. Aber ich fand das interessant, weil es so wirkte, als ob es, wenn es schon keine Gleichberechtigung, dann doch mindestens kosmische Gerechtigkeit zwischen Vätern und Müttern gibt.
Sollten Männer nicht zwingend auch mehr vermeintliche Nachteile in Kauf nehmen? Also „Karriereknicks“ durch zum Beispiel längere Elternzeiten oder Teilzeiten? Um so für mehr Selbstverständlichkeit zu werben?
Meine persönliche Meinung lautet: Männer sollten sich mehr in die Kindeserziehung einbringen. Die Gegen-Argumente, die man zum Beispiel bei der Elternzeit-Frage hört, sind oft Schmarrn: Wer gerade viel Geld verdient, hat auch mehr Rücklagen, um sich mal aus dem Job rauszunehmen. Wer als „unverzichtbar“ in seinem Büro gilt, der ist offenbar wichtig genug, auch nach einer Auszeit nicht Gefahr laufen zu müssen, aufs Abstellgleis geschickt zu werden. Aber darum geht es in dem Buch nicht: Wenn andere Väter keine Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen, ist das ihre Sache. Ich mach’s gerne.
Oft leichter gesagt, als getan.
Ich arbeite in einem Unternehmen, das diese Kultur begrüßt. Die Jobs meiner Frau und mir sind flexibel. Das ist natürlich nicht bei allen so, klar.
Ist es hilfreich, wenn Väter unter sich sind? Reden sie dann anders als unter Frauen?
Mein größter Schock beim Väterseminar war die Erkenntnis, dass kaum einer der Väter dort Freunde hatte, mit denen er über seine privaten Sorgen reden konnte. Alles, was Väter zum Reden animiert, ist positiv. Und deshalb sind auch solche Seminare wichtig, selbst wenn es unter den Angeboten auch bestimmt viel esoterischen Mist gibt.
Ist der deutsche Durchschnittsvater 2024 näher an diesen Vätern dran, die es anders machen wollen – oder an Ihrem eigenen Vater, der nach Ihrer Geburt 1986 nicht mal das heimische Rauchen aufgab?
Als Italiener ist mein Vater kein Maßstab für den deutschen Durchschnittsvater! Die Tendenz von Vätern, die sich aktiv an Haushalt und Erziehung beteiligen, ist steigend, das zeigt auch der „Väterreport 2023“ des Bundesfamilienministeriums. Der Weg hin zu einem Ideal ist wahrscheinlich dennoch weit. Ich glaube: Funktionierende Familien beruhen auf Pragmatismus. Es geht nicht darum, dass alle Aufgaben paritätisch verteilt werden. Es geht darum, dass jeder zufrieden mit seinen Aufgaben ist. Und wenn das nicht der Fall ist, dann muss mal als Paar halt darüber reden. Oder auch nicht. Was weiß ich schon. Ich kenne mich mit Beziehungen nicht so aus. Ich habe nur die eine.
Statistiken belegen, dass wir von paritätischer Aufgabenteilung ohnehin noch weit entfernt sind.
Die konservativen, beruflich sehr erfolgreichen Männer kann man ja vielleicht dadurch zu mehr Elternzeit motivieren, in dem man ihnen erklärt, dass es wichtig ist, ihre große Kompetenz und ihr unerschöpfliches Wissen ihren Kindern zuteil werden zu lassen. Kinder sind ja auch nichts anderes als kleine Angestellte. Nur dass man für sie bezahlt, obwohl sie nichts arbeiten.
Was soll Ihr Sohn eines Tages über Sie sagen?
Vielleicht: „Er war da.“ Das reicht, glaube ich.
Das Interview erschien in gekürzter Version zuerst auf Tagesspiegel.de.