Allein am Ballermann

#MalleistnureinmalimJahr: Meine Frau hat mich im Familienurlaub auf einen „Nachtausflug“ zum Ballermann geschickt. Wieso macht sie das? Und was würde mich dort bloß erwarten? Was wirklich passierte, als ich unverhofft zum ersten Mal auf Mallorcas einschlägigster Partymeile stranden sollte.

„Endlisch normaaale Leute!“: „Ballermann 6“, wie ihn jeder kennt und liebt/hasst. Auch wenn er noch nie da war. (Constantin Film)

„Willst Du es machen oder mir noch ewig damit in den Ohren liegen?“

Meine Zweifel, von 19 bis 2 Uhr sei doch arg lang für einen Ballermannabend in meinem Alter, lässt meine Frau nicht gelten. Schließlich war sie es, die mir einen Tag vorher einen Flyer unter die Nase hielt, der in Oktoberfestschrift mit einer „Nachttour nach Arenal und zum Ballermann“ warb, 26 Euro, Jürgen Drews inklusive. Zumindest grinste der mich vom Inserat aus an, und da diese Werbemaßnahme mit seinem Gesicht ja rechtens von ihm abgenickt worden sein müsste, wäre es nur schlüssig, wenn der ewig junge König von Mallorca auch den Reiseleiter mimte. „Wie traurig wäre das?“, fragt sie mich später rhetorisch, ich antworte wahrheitsgemäß: „Und wie lustig!“

Nachtausflug zum Ballermann. An offer I can't refuse! Oder?
Nachtausflug zum Ballermann. An offer I can’t refuse! Oder?

Zur Präsentation des Flyers lud sie mich freundlich befehlend ein: „Hier, du machst das!“ Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Weinen, weil sie glaubt, so etwas Armseliges könnte einem freizeitarmem und ach so kultiviertem Vadder wie mir wirklich Spaß bringen. Und lachen, weil sie weiß, dass mir sowas Armseliges klammheimlich eben doch Freude macht, wenn auch voyeuristischer und, natürlich, aber hallo, journalistischer Natur. Was ich alles zu erzählen hätte! Sogar auf der Wasn, der Stuttgarter Kleinversion der Wiesn, stand ich – der Junge aus dem Dorf, den du aus dem Dorf kriegst, aber das Dorf nicht aus ihm – nach der zweiten Maß auf dem Tisch und tanzte mit (nach der fünften trug ich den Kumpel, der noch voller als ich war, aus diesem Festzelt of Shame ins Hotel zurück).

„Scheiß drauf, Malle ist nur einmal im Jahr“

Sie hatte ja recht: Schon im Vorfeld unserer vorherigen zwei Mallorca-Urlaube erwähnte ich beiläufig, dass ich mir diesen Ballermann ja schon gerne mal angucken würde. Mein subtil gedroppter Ausflugsvorschlag stieß stets auf taube Ohren – bis jetzt. Das muss Liebe sein! Also, was soll’s, auch wenn wir am anderen Ende der Insel sind, ich werde ja nun wirklich nicht jünger: Getreu dem Kegelclub-Motto „Malle ist nur einmal im Jahr“ kaufe ich mir an der Rezeption des Familienhotels ein Ticket. Bei der Anmeldung erfahre ich, dass der Bus sogar erst um 3 Uhr morgens von El Arenal ablegt. WTF? Naja egal, was soll’s, müde werde ich so oder so sein. Und Malle ist doch nur einmal im Jahr (oder, wie in unserem Fall, zweimal).

https://www.instagram.com/p/B2CkEO7CYRZ/

Vier Tage später, 19:15 Uhr. Sitze in einem Bus neben Graham aus Manchester und frage mich, was ich hier mache. Frau und Kinder habe ich, wie er und sein Kumpel Tom, am All-Inclusive-Buffet im Familienhotel sitzen lassen, um mir nun anzuhören, wie er von seinem Urlaub, „Ze Germans“, den Ballermann-Highlights seiner Vergangenheit und seinem Lieblingsclub, „fooockin great ManU“, erzählt. Tom nickt wortlos. Hinter uns ein sechsköpfiger Junggesellenabschied (Marc aus Kerpen), vor uns eine aufgebrezelte Dreier-Mädelstruppe, zwei Handvoll weitere, an anderen Hotels eingesammelte Ausgehlustige und ein paar leere Plätze. Alleine ist hier sonst keiner unterwegs. Halte mich am ersten Bier und meinem Handy fest, in dem ich den Abend doch irgendwie chronologisieren muss, bevor ich einer von ihnen werde. Vielleicht versuche ich es auch mit Tattoos wie der Typ aus „Memento“, mit denen und meinem Sonnenbrand würde ich hier zwischen all den Engländern und den Namenstattoos ihrer Kinder – Danny, Diego, Mike – nicht weiter auffallen. Bis auf die fehlenden Oberarmmuskeln.

Mallorca ist eine sehr schöne Insel. Ihr eitriger Pickel wuchert leider in jedem Souvenirshop aus. Trotzdem: Wer würde schon ernsthaft seiner Traumfrau den Rücken kehren, nur weil sie diese eine haarige Warze am Fuß nicht los wird? Eben.

„Hier spricht der Bierkapitän! Darf ich bitte mal die Bierbäuche sehen?“

23:49 Uhr. Im Bierkönig ist die Schlagerhölle los. „Komm hol das Lasso raus“ dröhnt zum dritten Mal durch den Festzeltschuppen, mit dem „Bierkapitän“ von einem, äh, Act namens Richard Bier (!) mache ich einen neuen Hit aus. Text und Melodie wird man auch bei zwei Promille nach nur einem Hördurchgang nicht mehr los: „Hier spricht der Bierkapitän! Darf ich bitte mal die Bierbäuche sehen? Wohin es geht, ist scheißegal, Bier ist international.“ Alter. Jaja, noch ein Bier, bitte. Der Reiseleiter, den ich nur zufällig wieder treffe, sagt irgendwas: „Häh, Megapark? Ich weiß nicht…“ Klischees bewahrheiten sich, obwohl ich doch das Gegenteil ausmachen wollte. Sicht, Gedanken und Aufzeichnungen verschwim…

So stumpf, dass es als Instant-Ohrwurm selbst bei drei Promille funktioniert: So eine Nummer muss man auch erstmal schreiben und produzieren.

… um 9:11 Uhr wache ich auf. Im Hotelzimmer. Aber nicht neben meiner Frau. Die ist nämlich vor einer halben Stunde mit den Kindern zum Frühstück, wie ich einer WhatsApp-Nachricht entnehme. Darin tut sie ihre plump gestellte Freude kund, dass ich überhaupt den 67 Kilometer langen Rückweg gepackt habe – und weißt mich darauf hin, dass ich das nächste Mal etwas leiser oder lieber gar nicht nach Hause kommen solle. Ich kann mich an nichts erinnern. Außerdem war der Trip doch ihre Idee! Und wem gehört eigentlich die Handynummer auf meinem Arm? Aua, mein Kopf!


So könnte es gewesen sein. Wenn ich in den Bus gestiegen wäre und pure Vernunft nicht hätte siegen lassen. In Wahrheit sagte ich den Nachtausflug zwei Stunden vor Abfahrt und nach einer groben Rechnung ab: Vor 21 Uhr wäre der Reisebus nicht in Arenal eingefahren. Vor 5:30 Uhr wäre ich kaum zurückgewesen, um 7 Uhr wären die Kinder wach und ich somit auch. Auch wenn ich hätte weiterschlafen können: Der komplette letzte Urlaubstag wäre so im Eimer gewesen wie meine Kotze bei Sonnenaufgang. Zwischen An- und Abreise nämlich hätte ich ja gar keine Wahl gehabt, als sehr viel Bier zu trinken. Was hätte ich denn sonst sechs Stunden allein am Ballermann tun sollen? Etwa Leute kennenlernen? Oder ein gutes Buch lesen?

Es ist doch ab einem gewissen Alter so: Nur ein Urlaub ohne Kopfschmerztabletten ist ein guter Urlaub. Und ich brauchte nur am ersten Tag eine. Aber hey: Den Ballermann, den hätte ich schon gerne einmal aus nächster Nähe erlebt. Um endgültig zu wissen, was ich dort nicht verpasse.

Vielleicht beim nächsten Mal.

https://www.instagram.com/p/B2AKbOoIxsj/

4 Gedanken zu „Allein am Ballermann

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Zurück nach oben