„Broadchurch“ auf Netflix erzählt vom Schlimmsten, was Eltern passieren kann

Bingewatch-Tipp für Hartgesottene: Das Crime-Drama „Broadchurch“ ist die spannendste „Who did it?“-Serie, die ich seit langer Zeit gesehen habe. Für Eltern ist es aber auch eine der härtesten.

Olivia Coleman und David Tennant spielen die Hauptrollen in „Broadchurch“ (Foto: Netflix)
Olivia Coleman und David Tennant spielen die Hauptrollen in „Broadchurch“ (Foto: Netflix)

Danny Latimer ist tot. Der elfjährige Junge wird eines Morgens leblos am Strand von Broadchurch gefunden, einem scheinbar idyllischen Ort an der englischen Südküste. Die gerufenen Ermittler Detective Alec Hardy (David Tennant) und Detective Ellie Miller (Olivia Coleman) finden schnell heraus, dass seine Leiche nicht am Fuße der Klippen liegt, weil Danny heruntergestürzt wäre. Jemand hat seinen leblosen Körper dort abgelegt, und in den kommenden acht Folgen der ersten, 2013 erstmals ausgestrahlten Staffel „Broadchurch“ geht es um die klassischste aller Krimifragen: „Wer ist der Mörder – und warum?“

Die Intensität, Dunkelheit und Erzählweise jeder Folge dabei ist spektakulär. Da wäre das beklemmende Dorf-Setting mit all seinen Charakteren, erdacht und geschrieben von Chris Chibnall. Da wäre die Musik des isländischen Produzenten Ólafur Arnalds. Und da wären die Verdächtigen: Der Vater, der eine Affäre hat. Dessen Handwerker-Kollege Nigel, der sich in Widersprüche und ein falsches Alibi verstrickt. Die griesgrämige Kettenraucherin, die Dannys Skateboard in ihrem Strandhaus versteckt. Dannys bester Freund, der SMS-Chats zwischen ihnen und Computerdaten löscht. Der Pfarrer, der Jungs für eine Sekunde zu lang seine Hand auf ihre Knie legt. Der Kioskbetreiber, für den Danny Zeitungen austrug und der ein verurteilter Pädophiler ist. Die Lokalpresse will auch mitreden.

Diverse Nachbarn und Bekannte drängen sich nach und nach als mögliche Täter auf, das auffällige Handeln vieler von ihnen wird im weiteren Verlauf befriedigend bis ausreichend erklärt. Hinter jeder Figur steckt ein eigenes Drama, das größte bleibt jedoch das der Eltern: Wie können zwei Menschen einen derartigen Verlust ihres Kindes überleben, und was macht das mit ihnen und ihrer Familie (sie haben eine größere Tochter)?

Danny Latimers Mörder wurde gefunden – oder?

So viel sei verraten, die packende Serie ist ja auch keine brandneue mehr: Im Staffelfinale wird ein Täter gestellt, der nach erhärteten Verdachtsmomenten ein Geständnis ablegt. In einer Rückblende werden alle losen Fäden zusammengeführt. Der Fall gilt als gelöst, die Staffel als ohne Cliffhanger abgeschlossen. Die Story der Familie Latimer und des Dorfes Broadchurch, dessen Bewohner in der finalen Szene Zusammenhalt demonstrieren, wird in Staffel 2 (2015) dennoch weitererzählt. Zum Glück.

Die zweiten acht „Broadchurch“-Folgen stehen unter dem Überthema Aufarbeitung und spielen Monate nach den ersten. Es geht um den Gerichtsprozess gegen den Täter sowie um einen zweifachen Mordfall aus Alec Hardys Vergangenheit, der ihn nun einholt. Auch dort werden in der letzten Folge fast alle Fragen beantwortet, die vorher aufgeworfen wurden. In der dritten und leider letzten Staffel (2017), die drei Jahre später spielt, wird eine Frau schwer vergewaltigt. Hardy und Miller suchen verzweifelt den Täter und erhärten ihren grausamen Eindruck, dass jeder in Broadchurch ein Geheimnis zu haben scheint. Die Latimers tauchen abermals auf, jeder versucht auf seine eigene Art, mit dem Tod ihres Sohnes und den Umständen umzugehen. An die Substanz geht aber diesmal, was der nahezu unerträgliche Hardy in seinem harten schottischen Akzent wie folgt ausdrückt: „I am ashamed that I am a man myself.“

Zwei Fragen, die ich zu „Broadchurch“ noch habe

„Broadchurch“ habe ich in wenigen Tagen gebingewatched und mich auf jede neue Folge gefreut wie lange bei keiner Serie mehr. Jede Staffel ist berührend, schauspielerisch hervorragend und Krimi und Drama zugleich. Allein der neue Fall in Staffel 2 will anfangs nicht so recht interessieren und in Staffel 3 bedient sich „Broadchurch“ ein oder zweimal zu viel an Schemata aus Staffel 2. Zwei zentrale Fragen bleiben für mich unbeantwortet: 1. War Dannys Mörder wirklich Dannys Mörder? Überführende Beweise gab es keine. 2. Warum plädiert er auf „nicht schuldig“? Wirklich nur, weil er nicht ins Gefängnis will? Oder deckt er den wahren Täter?

Ja, die Ähnlichkeiten zu „The Killing“ (2010-2014) liegen auf der Hand: In der auf dem dänischen Original „Kommissarin Lund“ basierenden US-Serie wird das Mädchen Rosie Larsen ermordet. Zermürbend zäh und düster gehen die Ermittlungen voran und auch mal wieder auf Anfang, ihr Vater schreckt wegen des Verlusts auch vor Selbstjustiz nicht zurück. Apropos US-Remakes: Wegen des qualitativen und quantitativen Erfolgs produzierte der US-Sender Fox auch von „Broadchurch“ eine eigene Version namens „Gracepoint“, neben Anna Gunn („Breaking Bad“) absurderweise ebenfalls mit David Tennant in der Hauptrolle. Sie wurde nach einer Staffel abgesetzt, die werde ich mir wahrscheinlich trotzdem noch geben: Das Ende soll angeblich ein anderes sein.


„Broadchurch“, 2013-2017, von Chris Chibnall, mit Olivia Coleman, David Tennant, Jodie Whittaker, Andrew Buchan u.a., Staffeln 1-3 auf Netflix im Stream verfügbar

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