Ein neuer Twist in jeder einzelnen Folge: In der 2. Staffel der Mystery-Crime-Dramaserie „The Sinner“ geht es um einen 13-Jährigen, der anscheinend seine Eltern ermordet hat. Und es geht um Sekten, dunkle Geheimnisse und Elternschaft. Achtung: Spoiler zur 1. Staffel.
Auf den ersten Blick scheint die Tat so unglaublich wie eindeutig zu sein: In der ersten Folge der zweiten Staffel „The Sinner“, die seit 9. November 2018 auf Netflix zu sehen ist, bringt ein Junge seine Eltern um. Zumindest sieht alles danach aus. In einem Motelzimmer, in dem sie wegen einer Autopanne auf dem Weg zu den Niagarafällen übernachten mussten. Er reicht ihnen vergifteten Tee, Minuten später sterben sie. Julian, so der Name des 13-Jährigen, blickt nur halbwegs entsetzt drein, wartet kurz, und drapiert dann ihre Leichen. Motiv unbekannt.
Auf den zweiten Blick findet der zu Hilfe in seinen alten Heimatort Keller in Upstate New York gerufene Detective Harry Ambrose (Bill Pullman) heraus, dass die Opfer gar nicht Julians Eltern sind beziehungsweise waren. Als seine Mutter stellt sich Vera Walker (Carrie Coon) vor, die seit Jahren Mitglied einer sektenähnlichen Kommune ist. Von dort an wird der Fall nicht nur für Ambrose, sondern auch für die junge Polizistin Heather Novack immer vertrackter und persönlicher: Ambrose gewinnt das Vertrauen des Jungen, weil er selbst als Kind seine Eltern verlor und in einem Heim lebte. Und Novack erinnert sich in Flashbacks an ihre Freundin Marin, in die sie als Teenagerin verliebt war und die seitdem verschwunden ist, aber irgendwie mit Julian und der Mooswood-Kommune in Verbindung steht.
Jede Folge birgt einen neuen Twist
Weil jede Folge einen Twist beinhaltet, kann ich an dieser Stelle kaum tiefer in die Handlung eintauchen, ohne massive Spoiler zu verbreiten. Nur so viel: In den acht neuen Folgen ist Julian nicht der einzige, dessen Beweggründe anfangs undurchschaubar sind. Es geht um Elternschaft, Manipulation, unerwiderte Lieben und um Geheimnisse, die verschiedene Ortsbewohner mit sich tragen und teilweise – wie Julian – selbst nichts davon wissen.
Die zweite Staffel von „The Sinner“ ist im Kern so aufgebaut wie die erste, die auf dem Roman „Die Sünderin“ der deutschen Schriftstellerin Petra Hammesfahr basiert: Am Anfang steht ein Mord, dessen Täter bekannt ist, das Motiv aber nicht. Es geht nicht um die klassische Krimi-Frage „Wer war der Mörder?“, sondern um das „Warum?“. In Staffel 1 erstach die von Jessica Biel gespielte Cora Tannetti am Strand in Anwesenheit ihres Mannes und ihres Sohnes einen scheinbar Fremden. Damals fand Ambrose in acht spannenden und düsteren Folgen und nach etlichen Twists heraus, dass ihr Opfer auf einer fragwürdigen Party im Drogenrausch einst ihre chronisch kranke Schwester (in gegenseitigem Einvernehmen) entjungferte, die dabei wegen einer Überdosis starb. Biel, selbst „under the influence“, sah zu, wurde später vom Vater des Täters langfristig unter Drogen gesetzt, damit sie sich an nichts erinnert. Am Strand aber kam ihr doch ein Flashback und im Affekt geschah der Mord.
Das Ensemble ist nun ein anderes: Biel fungiert in Staffel 2 als Executive Producer. Carrie Coon, die durch ihre Rollen in „Gone Girl“, „The Leftovers“ und „Fargo“ ein Abo auf Rollen in Psychothrillern und Mordkrimis zu haben scheint, überzeugt auch jetzt in ihrem Spiel zwischen Gut und Böse. Der 14-jährige Elisha Henig, der in seiner ersten Hauptrolle als Julian Täter und Opfer gleichzeitig spielt, war zuvor in Nebenrollen in „American Vandal“, „Grey’s Anatomy“ und „Mr. Robot“ zu sehen.
Und Pullman? Kann Rollen wie diese schon seit „Lost Highway“, das seit Jahren in Krimis grassierende „Tatort“-Problem macht aber auch für seiner Figur nicht Halt: Warum muss der Ermittler hier oder da, am Rande oder knietief, mit in den Fall verwickelt sein? Warum kann er nicht einfach seiner Arbeit nachgehen und der Zuschauer dafür auf eine weitere persönliche, dem Fall nicht zutragende Storyline verzichten?
Hat Julian zwei Menschen ermordet – und wenn ja, warum?
Freunde von „Lost“ (die Sekte), „Top Of The Lake“ (die Geheimnisse eines Ortes) oder „True Detective“ (die Düsternis) werden an der zweiten Staffel „The Sinner“ ihre kurzweilige Rätselfreude haben. Die Umstände, die zum Mord und dieser Konstellation an Menschen führte, werden aufgeklärt. Nur ein paar Fragen bleiben am Ende offen: Warum erkannte Julian die Notwendigkeit eines Mordes? Wo ist der Kommunengründer hin? War die verweste Leiche im See nicht die einer Frau? Vielleicht habe ich da aber auch ein paar der vielen Details übersehen. Kann bei „The Sinner“ nicht nur einmal vorkommen.
https://www.youtube.com/watch?v=K8j61MUB8y4
2 Gedanken zu „„The Sinner“ auf Netflix: Der 13-jährige Junge, der anscheinend seine Eltern ermordet hat“