Was meine Kinder in der Schule wirklich lernen sollen (neben Lesen, Schreiben und Rechnen) – und was nicht

„Die Anfänge des deutschen Bildungswesens liegen im frühen Mittelalter“, steht auf Wikipedia. Es wäre schön, wenn es nicht dort stecken bliebe. Ein Kommentar zum neuen Schuljahr.

Von außen sehen die meisten Schulen in Deutschland gleich aus.

„Na Kleine, kommst Du bald in die Schule?“

Ein Satz, den mein fünfjähriger Sohn, so hoffe ich, bisher noch nie gehört hat. Ich grusele mich aber jeden Tag vor dem Moment.

Kid A, wie ich ihn im Internet nenne, hat lange blonde Locken und noch keinen Bartwuchs. Das reicht dafür aus, dass Fremde ihn selbst in Berlin für ein Mädchen halten. Wenn die wüssten, was ich über sie denke!

Warum ich davon erzähle? Weil dieser Frage zwei völlig überholte Erwartungshaltungen zugrunde liegen. Erstens: Jungs tragen kurze Haare! Zweitens: Kinder haben gerne in die Schule zu wollen und sollen schnell in einer landen. Weil es mit dem Lernen angeblich nicht früh genug losgehen kann.

Stimmt aber nicht.

In der Schule, so behaupten die Weltfremden, lerne man fürs Leben. Gut, schon ich habe mich damals gefragt, was zur Hölle ich später mal mit binomischen Formeln anfangen soll, sehe aber mittlerweile ein, dass Rechnen, Lesen und Schreiben im Meistern des Alltags nicht schaden können. Goethes „Zauberlehrling“ und Mörikes „Er ist’s“ kann ich bis heute auswendig aufsagen, aber wofür? Die Gedichte kann ich seit 20 Jahren googlen.

Spätestens da fängt das Problem von Schule im Allgemeinen an: Ich will nicht, dass meine Kinder lernen zu funktionieren. Im Gegenteil: Sie sollen kritisch sein, hinterfragen und ihren eigenen Talenten und Interessen nachgehen. Gut, ich hatte keine Talente (oder sie wurden nie entdeckt), da war die fehlende Förderung nicht so schlimm. Meine Jungs jedenfalls sollen echte Individuen werden, keine Rädchen im System. Natürlich sollen sie später auch mal Geld verdienen, ich werde ja wegen Mietpreisen und Löhnen in Berlin keines mehr haben. Aber nicht um jeden Preis.

Es ist leider so: Ja, man lernt in der Schule womöglich doch für viel zu große Teile seines Lebens – für das Berufsleben. Aushalten von Druck und Prüfungsstress, Konkurrenzdenken, Ellbogenmentalität, blindes Schlucken von Gegebenem: Damit klettert man vielleicht in einem großen Unternehmen die Karriereleiter hoch. Einen „besseren“, weil gebildeteren und mündigeren Menschen macht das aus meinen Kindern nicht.

Mein Vater kann gut rechnen. Er half mir früher mal bei den Mathe-Hausaufgaben und kam stets zum richtigen Ergebnis. Seine Lösung war trotzdem falsch, weil der Weg dahin nicht der war, den uns die Lehrerin (Hallo Frau Täschner!) im Frontalunterricht reinpaukte. Okay, vielleicht merkte sie auch, dass ich den Lösungsweg nicht erklären und die Aufgabe deshalb unmöglich selbst gelöst haben konnte. Der Grundsatz dahinter aber macht mir bis heute Angst: „Lernt, wie wir es Euch befehlen.“

In der Montessori-Pädagogik gibt es den Leitspruch: „Hilf mir, es selbst zu tun.“ Klar, manche Kinder brauchen mehr Führung, andere weniger. Aber ich finde, dieser Ansatz geht in die einzig richtige Richtung. Gute Bildung sollte bedeuten: Bitte kein Auswendiglernen! Kein blindes Reinknallen! Kein Schüren von Prüfungsangst! (Was sich bei mir selbst im „Studium“ durchzog.) Stattdessen: Förderung von selbstständigem Denken und Handeln. Von Kreativität. Von ganzheitlichem Verstehen. Auch vom Müßiggang. Kurzum: Der natürlich gegebene Lerndrang von Kindern soll auf hoher Flamme gehalten und nicht im Keim erstickt werden.

Wem das noch zu wenig Softskills sind: Selbstverständlich wünsche ich meinen Kindern auch ein hohes Maß an Sozialkompetenz, Selbstbewusstsein, Aufrichtigkeit und so weiter. Vor allem aber wünsche ich mir, dass sie so genommen werden, wie sie sind. Ob mit kurzen oder langen Haaren, ob mit Sitzfleisch oder ohne, ob mit Bewegungs- oder Basteldrang, ob mit Interesse an Naturwissenschaften oder Sprachen. Dürfte eigentlich nicht zu viel verlangt sein – ich befürchte nur, dass unser öffentliches Schulsystem das noch anders sieht. Auch wenn sich mit JÜL, kleineren Lerngruppen und Hilfslehrer*innen schon einiges verbessert hat, was man so hört und bei Tagen der offenen Tür sieht oder sehen soll.

Kid A wird im September sechs Jahre alt und hätte deshalb schon jetzt ein Schulkind sein können. Wir taten einen Teufel, ihn zu einem werden zu lassen. Er soll frei spielen und toben, so lange er spielen kann. Still sitzen und mit Druck umgehen muss er in seinem Leben noch lang genug. Egal, wie gut oder schlecht die Schule und die Lehrer am Ende wirklich sind. Und wenn es zwei Jahre später bei Kid B so weit sein soll, haben wir dann auch Erfahrungen. Und nicht mehr nur Erwartungen.

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