Lach- und Sachgeschichten aus dem Alltag der Fantasie eines einst jungen Vaters in Elternzeit: Familienbetrieb-Blogger Christian Hanne hat sein zweites Buch geschrieben. Es ist sehr lustig, sehr kurzweilig und legt einen skandalträchtigen Verdacht nahe.
Dass Christian Hanne ein Scharlatan und Blender ist, ahnt man schon vor den ersten Zeilen. „Sagenhaftes aus der Elternzeit“ ist der Untertitel seines zweiten Buches „Ein Vater greift zur Flasche“. Eine Sage ist ein historischer Euphemismus für ein Lügenmärchen, und nichts anderes erzählt auch Hanne.
Freunde und Feinde wissen, dass die Kinder des Ü-40-Jährigen längst in der Pubertät stecken. Hanne hat seine Elternzeit also entweder sehr spät genommen, vielleicht als Tochter und Sohn längst zur Schule gingen. Oder sie liegt sehr lange zurück – so lange, dass sich kein normal dementer Vater noch an Details aus Dialogen auf dem Spielplatz, an der Haustür oder beim PEKiP-Kurs erinnern würde.
Hanne aber tut es, scheinbar zumindest, und ich muss sagen: Zum Glück tut er das. Zur Freude des Lesers hat er ein Gehirn so groß wie die Kanonenkugel von Münchhausen und so viel literarischen Eifer wie Claas Relotius. Andernfalls wären uns Kapitel wie „Die famose Familienfeier“, in dem sich Hanne mit unliebsamen, aber dem Nachwuchs gegenüber spendierfreudigen Onkeln herumschlägt, und „Auf dem Spielplatz: Begegnung der unheimlichen Art“, in dem zwei sehr verschiedene Vatertypen aufeinander treffen, verwehrt geblieben. Kapitel, die sich nicht so ganz so abgespielt haben, wie sie sich lesen. Aber Kapitel, die jeder, der selbst Kinder hat, so oder so ähnlich erlebt hat oder haben könnte. Verdichtete Wahrheiten, frei nach dem Motto, mit dem schon Tom Kummer, Relotius, so mancher Chefredakteur und Donald Trump traurige Berühmtheit erlangten: Von der Realität lasse ich mir doch keine gute Geschichte versauen.
Im Grunde ist fast alles wie damals, 2016, als Hanne sein Debüt-Taschenbuch „Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith“ unters Volk brachte. Er hat noch immer ein grausam gutes Gedächtnis (oder eben nicht, siehe oben), sein literarisches Vorbild ist mutmaßlich noch immer Horst Evers, er sagt noch immer, was er denkt (oder gern gedacht hätte), er ist noch immer ein Meister (oder Padawan) der Über- und Untertreibung, er biedert sich noch immer gekonnt bei seinen Lesern an („Der Mario Barth unter den Buchdebütanten. Nur ohne Olympiastadion. Und mit Intelligenz. Subtilität. Und Ironie.“), er würde gern nur Euer Geld wollen (verkauft aber zu wenig Bücher dafür), er beleidigt seine Frau in aller Öffentlichkeit (um sich selbst zum Affen zu machen), Twitter ist nicht von ungefähr sein Medium (137 verschwenderisch bedruckte Seiten voller Oneliner).
Eine Sache aber ist auffällig anders. Als vor ein paar Tagen der „Spiegel“ den Betrugsfall im eigenen Haus öffentlich machte, dass jener Reporter Claas Relotius nachweislich seine prämierten Reportagen erfunden oder ausladend ausgeschmückt habe, hieß es unter anderem: „Immer wieder arbeitet Relotius in seinen Texten mit Musik und Musikzitaten, das zieht sich durch, und die zugehörigen Szenen sind oft mit faszinierender Perfektion gestaltet. Es stehen dann Sträflinge in Waschräumen und beginnen unvermittelt, Popsongs anzustimmen, oder ein verlorenes Kind geht eine dunkle Straße entlang mit einem traurigen Lied auf den Lippen. Die Musik erweitert den Assoziationsraum der Geschichten, sie werden überwältigend sinnlich an diesen Stellen, sie geben der Fantasie der Leserschaft Futter.“
Obacht: Auch Hanne tut das im Rahmen seiner Möglichkeiten. „Müsste ich die bevorstehende Elternzeit mit einem Song beschreiben, wäre es ‚It’s the end of the world as we know it and I feel fine‘ von R.E.M.“, schreibt er etwa auf Seite 11, „müsste ich unsere Elternschaft mit einem Song beschreiben, wäre es ‚Let me entertain you‘ von Robbie Williams“ auf Seite 15, „Müsste ich den PEKiP-Kurs mit einem Song beschreiben, wäre es ‚Insane in the brain‘ von Cypress Hill“ auf Seite 32. Und so weiter. Ein Stilmittel, das Hanne von Relotius oder Relotius von Hanne geklaut haben könnte. Vergleicht man aber das freundlich-zurückhaltende Wesen beider Autoren, drängt sich ein anderer Verdacht auf: Hanne und Relotius sind mutmaßlich ein und dieselbe Person! Und da die eine nun arbeitslos ist, müsste von der anderen bald ein größerer Wurf bevorstehen. Für den Anfang täte es aber auch ein Buch mit zusammenhängender Handlung.
Wenn ich dieses Buch mit einem Song beschreiben müsste, wäre es „I Started A Joke“ von den Bee Gees:
Wahlweise auch in der Faith-No-More-Version:
Fazit: Hannes Buch ist sehr witzig, wirklich, jeder Vater und jede Mutter wird sich in seinen Anekdoten wiederfinden. Ich habe mehrfach laut gelacht und empfehle es nachdrücklich. Man kann es auch flott auf dem Klo oder auf dem Spielplatz weglesen.
Selbst unsere Kinder mögen es. Es ist quietschgelb, handlich, eigentlich ein Büchlein und trägt einen Titel, den sie auf der Stelle nachplappern können und dabei über einen Witz lachen, den sie nicht verstehen.
Das letzte Wort aber gehört dem Autor: Als ich ihn im November auf einer Blogfamilia-Lesung in Prenzlauer Berg treffe, sind wir beide ganz angetan von den Texten der Mitleserinnen Nina „Juramama“ Straßner und Andrea „Harmonika“ Litzenburger. „Neben aller Situationskomik und Elternkommentar räumen beide Momente der Reflektion, des Innehaltens ein… die eine eher mit dem Kopf, die andere eher mit dem Bauch…“, fange ich sinngemäß an. Hanne unterbricht und beendet den Satz: „Und bei mir ist nur ‚Nackte Kanone‘.“
„Ein Vater greift zur Flasche“ von Christian Hanne ist am 17. Oktober 2018 im Seitenstraßen-Verlag erschienen.
4 Gedanken zu „Der Claas Relotius unter den Elternbloggern: Christian Hanne und sein neues Buch „Ein Vater greift zur Flasche““