Frei Day For Future

An diversen Schulen bundesweit wurde der „Frei Day“ mit von Schülern selbst gewählten Projekten eingeführt. Die Schweizerhof-Grundschule in Berlin-Zehlendorf ist eine davon.

Beim Frei Day machen sich Schüler*innen nicht nur Gedanken um ihre Zukunft, sondern setzen auch Projekte um (Foto: Schweizerhof Grundschule)

Seit ein paar Wochen steigt die Spannung in der Leo-Baeck-Straße in Zehlendorf bis aufs Dach. Und das buchstäblich: Zwei Viertklässler reichten im Dezember schriftlich beim Bezirk ihren Vorschlag ein, eine Solaranlage auf der Schweizerhof-Grundschule zu installieren. Eine kleine Mail mit großer Wirkung: In ihrem Mai-Newsletter erklärte die Bezirksfraktion der Grünen, dass der Antrag in der Bezirksverordnetenversammlung nicht nur eingebracht, sondern einstimmig beschlossen wurde: „Wenn alles gut geht, wird die Anlage von den Stadtwerken errichtet.“

Hinter der Aktion der Schüler steckt nicht nur der Drang der jüngeren Generation nach Veränderung, Umweltschutz und Bekämpfung des Klimawandels, sondern auch der sogenannte „Frei Day“. Er besteht aus vier Schulstunden, in denen die Schüler*innen jede Woche jahrgangsübergreifend an selbst gewählten Projekten arbeiten.

Einzige Bedingung ist, dass die behandelten Zukunftsfragen etwas mit den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen zu tun haben. Begründet hat den „Frei Day“ Margret Rasfeld, ehemalige Schulleiterin der Evangelischen Schule Zentrum Berlin, deren gleichnamiges Buch 2021 erschien. Laut ihrer „Schule im Aufbruch gGmbH“ machen bundesweit bereits 111 Schulen und über 11.000 Schüler*innen mit. Ihr hehres Ziel: 13.500 Schulen sollen es bis 2025 werden.

Die Schweizerhof-Grundschule war 2020 eine von zwölf Pilotschulen, die den „Frei Day“ einführten. Die Lehrerin Caroline Frey – der Nachname ist Zufall – erlebte Rasfeld auf einer Fortbildung und erkannte die Notwendigkeit eines Umbruchs: „Das Schulsystem ist in einer Zeit stehen geblieben, in der sich unsere Gesellschaft schon lange nicht mehr befindet“, sagt sie. Und das, obwohl bekannt sei, dass Lernen immer dann am besten funktioniere, wenn es mit Spaß und Relevanz für die Lernenden, ohne Druck und in einer Atmosphäre der Wertschätzung geschehe.

Mehr als 200 von insgesamt 450 Schüler:innen an der Schweizerhof-Grundschule machen schon mit. Bei ihren Projekten geht es nicht nur um vermeintlich große Veränderungen wie Solardächer: Selbstwirksamkeitserfahrungen, sagt Frey, sammelten die Kinder noch unmittelbarer durch Bepflanzungen des Schulhofs, den Bau von Insektenhotels oder Regenbanken, regelmäßige Tierbetreuung auf dem Bauernhof, das Sammeln alter Handys, Kochen mit geretteten Lebensmitteln oder der Organisation von Kleidertauschbörsen.

Einmal etwa erkundigten sich einige von ihnen in einer Kirche im Kiez, welche Spenden für Obdachlose aktuell am dringendsten gebraucht würden. Die Kids gaben den Aufruf mit „plötzlich sogar wohlüberlegter Rechtschreibung“ über die Schulleitung an die Elternschaft weiter und seien „schier hintenübergefallen“, als die Leute wirklich haufenweise mit Schlafsäcken, Zahnpasta und anderen Notwendigkeiten kamen.

Frey findet: In solchen Momenten könne man den Kindern beim Wachsen zusehen. Entsprechend wirbt auch sie dafür, dass weitere Schulen ihrem Beispiel folgen und den „Frei Day“ einführen. Ja, Kompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen seien wichtig, darüber hinaus müssten Rahmenlehrpläne aber unbedingt entstaubt werden, meint die Lehrerin. In ihrer vierten Klasse gibt sie für den Frei Day je eine Mathe-, eine Deutsch-, eine Sachkunde- und eine Kunststunde auf, „die meiner Meinung nach sehr gut investiert sind“.

Das geht natürlich an anderen Schulformen nicht so einfach; es gibt aber verschiedene Lösungen, um die Schulzeit nicht zu verlängern. „Ich weiß von einem Gymnasium, das die 90-Minuten-Blöcke auf 80 Minuten gekürzt hat und sich so ,Frei Day’-Zeit geschaffen hat“, sagt Frey. Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Kinder sinnvoll auf eine Zukunft vorzubereiten, von der wir nicht wissen, welche Berufe es geben und welche Probleme zu lösen sein werden. Der Weg als Ziel, sozusagen. Bis vielleicht eines Tages eine echte Bildungsreform daraus erwächst.

Das größte Problem bei der Umsetzung des „Frei Days“ ist ein im Bildungswesen altbekanntes: der Lehrermangel. Personal muss deshalb nicht nur innerhalb des Kollegiums, sondern mangels öffentlicher Mitfinanzierung außerdem in Form von ehrenamtlichen Helfer*innen gefunden werden. Aber auch dafür lassen sich pragmatische Lösungen finden: Frey schlägt vor, Lehramtsstudierende zu involvieren, zum Beispiel durch semesterbegleitende Lernformate. Dass Schule anders werden muss, gehöre schließlich auch in die Ausbildung.

Das nächste kleine Highlight in Zehlendorf steht derweil unmittelbar bevor: An diesem Freitag, den 23. Juni, findet von 15 bis 17 Uhr ein von den „Frei Day“-Kindern organisiertes Schulfest statt. Mit dem Erlös, zum Beispiel durch den Verkauf von selbst gemachten Kochbüchern und Kartoffelsuppe, soll ein Brunnen reaktiviert werden, um die Bäume auf dem Schulhof besser gießen zu können.

Dieser Text erschien zuerst am 23. Juni 2023 im „Tagesspiegel“ sowie auf Tagesspiegel.de.

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