„Bei den Kids zählt, ob du Street Credibility hast“

Mobile Jugendarbeit: Die „Sprühlinge“ holen in drei Ortsteilen von Spandau mit HipHop-Kultur und Sport Teenager von der Straße – oder aus der Langeweile heraus. Vereinsgründer Sami Ben Mansour weiß, wovon er spricht und wen er dafür braucht.

Sami Ben Mansour (2. v.l.) und sein Team der „Sprühlinge“ (PR)

„Nehmt einfach zwei Bleistifte gleichzeitig in die Hand…“, erklärt Ampear Peekops einer Handvoll Kinder, die mit dem großen Kerl mit Basecap und Shorts an einem kleinen Tisch im Humboldt-Forum sitzen, zeichnet fette Buchstaben, Linien und Schattierungen, „…und schon habt Ihr Euer erstes Tag!“. Ampear ist Graffiti- und Tattoo-Artist, Ampear.87 sein eigenes Spraytag. Gemeinsam mit der Künstlerin Baby Turtle gibt er im Auftrag des Vereins „Sprühlinge e.V.“ am Museums-Sonntag und anlässlich des Jubiläums „50 Jahre HipHop-Kultur“ Stencil-Workshops. Nebenan sowie in der benachbarten Nikolaikirche werden Breakdancing-, Beatbox-, DJ- und Rap-Kurse angeboten. Sein Chef und Kumpel Ben Mansour schaut kurz rein und gibt weitere Tipps. Gleich diskutiert der auf einer Bühne mit anderen Zeitzeug*innen der Szene über HipHop in Ost- und West-Berlin. Ein für ihn nicht alltägliches Umfeld mit Blick auf Dom und altes Museum: Sein Arbeitsmittelpunkt und Wirkungskreis liegt an der Peripherie der hier so strahlenden Hauptstadt.

Mit ihrer mobilen Jugendarbeit sind die „Sprühlinge“ seit sechs Jahren in Spandau aktiv. 2019 folgte die Bestätigung der Gemeinnützigkeit, zwei Jahre später die Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe. Seit 2022 sind die pädagogischen Fachkräfte in den Ortsteilen Wilhelmstadt, Gatow und Kladow in den Ecken, die von Jugendfreizeiteinrichtungen nicht abgedeckt werden, unterwegs und zuständig für mobile Angebote. Ihre Palette reicht von Graffiti-Workshops über Parcours bis hin zur Produktion von Rapmusik. Gründer Mansour beschäftigt aktuell vier Festangestellte sowie diverse Honorarkräfte. Darunter, neben Ampear, auch Dean Burke aka Music Instructor, der unter anderem 1999 mit Ayman dessen Hit „Mein Stern“ produzierte und gerade eine Ausbildung als Erzieher anfängt. Sozialpädagogin Rawan wiederum ist Coach bei Alba Berlin, Sozialpädagoge Joan außerdem Fußballtrainer und Rapper. „Bei der Jugend zählt, ob du Skills und Street Credibility hast“, weiß Mansour. Beides hat der heute 49-Jährige.

Der gebürtige Berliner Sami Ben Mansour wuchs in Charlottenburg in einer deutsch-arabischen Familie auf. Sein Vater stammt aus Haifa, seine Mutter aus Ost-Berlin. „Ich bin ein zweifaches Flüchtlingskind“, sagt er und lacht. HipHop-Kultur interessierte den gelernten KfZ-Lackierer von klein auf: 1991 eröffnete er seinen „Wildstyle Shop“, „den ersten Graffiti-Laden Europas, in dem man nicht klauen muss“, gründete später ein Musiklabel, schloss Deals mit so großen Kunden wie Karstadt, Wertheim und Benetton, betreute Rapper wie Nazar und produzierte mit Künstlern wie zum Beispiel RAF Camora, Azad und Kollegah. In der Szene war er bekannt. Glücklich gemacht habe ihn diese Karriere nicht. Er wollte lieber eine Kita aufmachen. Trotz Kopfschütteln seines damaligen Umfelds begann er 2009 mit der Umschulung zum Erzieher und erinnert sich heute, 14 Jahre später, an einen Punkt des Anstoßes: „Ich gab mal in Halle-Neustadt an einem Jugendgefängnis einen HipHop-Kurs, an dem rechte Jugendliche teilnahmen. Ich legte ‚Zulu War Chant‘ von Afrika Bambaataa auf. Sie wunderten sich über den Text und wir kamen ins Gespräch darüber, dass Musik eine Alternative zu Saufen und Kloppen sein kann.“

Die Zielgruppe in den drei Ortsteilen ist so heterogen wie die Hauptstadt selbst: In Gatow und Kladow beobachten die „Sprühlinge“ ein großes Interesse nach selbstbestimmter Freizeit mit Partys. Dort lebten Kinder und Jugendliche aus gutem Hause, deren Tage mit Schule, Vereinen und Kursen sehr voll seien. Von der Oberschule an verändere sich oft ihr Fokus. „Manch einer rebelliert oder will nur noch mit anderen Jugendlichen chillen und feiern“, sagt Mansour. Er und sein Team versuchen auch dieses Interesse pädagogisch zu betreuen, Er, der selbst weder trinkt noch raucht, will vermitteln, dass eine gute Party nicht unbedingt mit Alkohol- und Drogenkonsum einhergehen müsse. In Wilhelmstadt wiederum herrsche viel Armut, Gewalt und Perspektivlosigkeit. Dort gehe es in der Jugendarbeit um gewaltfreie Konfliktlösung und, wie überall, darum, die Teenager dort abzuholen, wo sie stünden: Eine Gruppe junger Männer etwa übernimmt den Security-Job bei Veranstaltungen im Rahmen der Jugendbeteiligung. Das fühle sich gut für sie an, „ich hab‘ denen sogar Walkie Talkies und Security-Shirts besorgt“. Und wenn Kids jedweder Herkunft dank eigener Raptexte zwar in der deutschen Sprache sicherer werden, aber gleichzeitig sexistische Zeilen abfeiern? Verurteilt Mansour, der bereits Deutschrapper wie Massiv und Samra als „Sprühlinge“-Supporter gewinnen konnte, das nicht. Stattdessen fragte er einen Jungen, ob er seine Lyrics wirklich bei der anstehenden Show performen wolle, schließlich sei auch seine Mutter im Publikum. Das habe ihn und seine Kumpels schon zum Nachdenken gebracht.

Probleme außerhalb des Elternhauses oder privaten Umfelds existieren im Nordwesten Berlins selbstverständlich auch: Aus dem geplanten Wildstyle Park als eine sozio-kulturelle Begegnungsstätte auf einer brachliegenden Gewerbefläche am Lagerweg in Haselhorst wurde wegen einer zurückgezogenen Genehmigung durch einen damals verantwortlichen AfD-Politiker nichts, sagt der Kiezkenner. Die dortigen verkommenen Gartenhäuschen schimpfen sich auf der Straße heute „Crack Village“, Rapper drehen Videos in der Verfallskulisse, die Partys in Kladow ziehen auch Dealer an. Die „Sprühlinge“ lassen sich davon nicht beeindrucken: Ihr nächstes Ziel ist die Eröffnung des ersten Jugendclubs in Ruhleben. „Ja, wir könnten weiter expandieren, auch in andere Stadtteile, ich kenne die ja alle“, antwortet Mansour auf telefonische Nachfrage ein paar Wochen nach dem HipHop-Sonntag im Humboldt-Forum, bevor er sich wieder auf eines der gelben Lastenräder seines Vereins schwingt: „Aber dafür bedarf es an Fachkräften mit zusätzlichen Skills und Qualitäten – und die sind schwer zu finden“. Ein Problem, das die „Sprühlinge“ mit dem Rest des Bildungs- und Erziehungswesens in Berlin vereint. An kreativen HipHop-Heads allein mangelt es der Stadt bekanntlich nicht.

Dieser Text erschien in gekürzter Version am 5. Juli 2023 im „Tagesspiegel“.

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