Der tut nix, der will nur spielen

Viele Väter sind mit ihren Kindern wilder und unbesorgter unterwegs als Mütter. Ist das unverantwortlich – oder sogar gut für die Entwicklung? Meine Risikobetrachtung für den „Tagesspiegel“.

Konnte für seinen Sohn schon deshalb nicht zum Risiko werden, weil er wegen seiner Arbeit und der parodierten Rollenbilder keine Beziehung zu ihm pflegte: Heinrich Lohse (Loriot) in „Pappa Ante Portas“

Von Homer Simpson über Al Bundy bis zu Loriots Heinrich Lohse aus „Pappa Ante Portas“ – ein Blick in die mediale Mottenkiste der eigenen Kindheit heutiger Eltern zeigt: Väter haben angeblich weder Bock auf noch Ahnung von Kindererziehung. Und wenn sie es doch einmal versuchen, scheitern sie grandios. Im Alltag scheint sich dieser Eindruck zu bestätigen: Sind es nicht tatsächlich Väter, die öfter als Mütter ihre Kinder mal ohne Helm aufs Rad steigen lassen? Die sie bei kurzen Autofahrten zum Supermarkt nicht anschnallen? Die sie am Strand in der Sonne zu spät oder zu selten eincremen?

Erzählungen wie diese münden bestenfalls in lustig gemeinte Klischees über sogenannte Idiot Dads oder Spielplatzhelden, die klischeehafte Rollenbilder verstärken. Schlimmstenfalls aber in Schlagzeilen wie der, dass vor Kurzem in Toppenstedt bei Hamburg ein Mann und ein fünfjähriger Junge starben, weil eine Gruppe von Vätern es für eine gute Idee hielt, sich selbst und ihre Kinder während eines Vater-Kind-Zeltlagers von einem Bagger in einer Gitterbox durch die Gegend hieven zu lassen, bis das Konstrukt brach. Die Gitterbox fiel aus einer Höhe von drei Metern zu Boden. Zehn weitere Kinder wurden dabei verletzt. Es drängt sich neben unfassbarer Trauer die Frage auf: Sind Väter wirklich zu oft zu risikofreudig?

Sind Väter wirklich zu oft zu risikofreudig?

Nun: Es ist statistisch nicht überprüfbar, ob Unfälle von Kindern tatsächlich öfter passieren, wenn Papa statt Mama aufpassen soll. Sportwissenschaftlerin Dr. Susanne Kobel forscht am Universitätsklinikum Ulm zu kindlichem Gesundheits- und Aktivitätsverhalten. Sie erklärt, dass das Robert Koch-Institut zwar Unfälle im Rahmen der sogenannten KiGGS-Studie, einer Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, erhebe. Aber welcher Elternteil die Verantwortung trug, sofern keine Fremdbetreuung vorlag, spiele im Fragebogen keine Rolle. „In totalen Zahlen würde ich fast davon ausgehen, dass es mehr Unfälle mit Müttern gibt, weil die immer noch mehr betreuen“, spekuliert Kobel. „Prozentual wird es das wohl auch nicht aufwiegen. Doch das sind ausschließlich Vermutungen.“

„Väter spielen anders. Das muss aber nichts Schlechtes sein.“

(Dr. med. Kristin Zwenzner)

Auch die Kinder- und Jugendfachärztin Dr. med. Kristin Zwenzner aus Bayreuth kann die Vorverurteilung nicht bestätigen, dass Väter öfter Schuld an Unfällen ihrer Kinder tragen müssten, weil sie risikofreudiger seien. Aus Beobachtung wisse sie: „Väter spielen anders, ja. Das muss aber nichts Schlechtes sein. Kinder dürfen fallen.“ Und wenn Unfälle passierten, so Zwenzner, dann in der Regel während kurzer unbeobachteter Momente, die unter Müttern ebenso vorkämen. Lediglich bei Trennungsfamilien würden sich die Elternteile gegenseitig öfter mal vorwerfen, dass der oder die Ex eine Gefahr für die Kinder darstelle. Dies seien aber ebenfalls erstmal Behauptungen.

Inke Hummel teilt Zwenzners Ansicht. Die Pädagogin, Familienbegleiterin, Erziehungsberaterin und Mutter dreier Teenager aus Bonn ist Autorin diverser Ratgeber, u.a. „Mein wunderbares wildes Kind“ und aktuell „Mit allen Sinnen wachsen“. Sie sagt: Ja, Väter agieren im Umgang mit ihren Kindern oft wirklich spontaner als Mütter. „Wir haben eine gesellschaftliche Rollenverteilung, in der ich als Mann immer noch die Muskeln spielen lassen und mich mit anderen vergleichen und in Wettkämpfe gehen muss oder glaube zu müssen. Das führt zu mehr Spontaneität und Risikobereitschaft. Frauen haben die Rolle der Fürsorgerin, sagen deshalb öfter Sätze wie ‚Denk dran‘ und ‚pass auf‘“, so Hummel. Ein Problem sieht sie darin aber nicht, dass Väter ihre Kinder oft einen Tick höher werfen oder weiter von sich weglassen als deren Mütter es täten: „Je mehr unterschiedliche Beziehungen, Einflüsse und Vorbilder Kinder aufbauen, desto mehr Entwicklungsgelegenheiten ergeben sich für sie. Es gehört dazu, Kindern etwas zuzutrauen. Kein Kind lernt klettern, wenn ich es nur am Boden festhalte. Es darf auch mal runterfallen und sich verletzen. Es muss nicht in Watte gepackt werden.“

Ein Freifahrtsschein für so genannte Idiot Dads, so weiterzumachen wie bisher, sei diese Erkenntnis natürlich nicht. Dass Väter sich tendenziell weniger Gedanken und Sorgen als Mütter machten, könne auch dann nach hinten losgehen, wenn wir nicht von verheerenden Unfällen sprechen: In ihren Beratungen hat Hummel zum Beispiel schon Väter erlebt, die ihr Kind partout in keine ADHS-Diagnostik schicken wollten – vermutlich aus Angst, der Verdacht könnte sich bestätigen. Offen ausgesprochen wird dann eher, dass so eine Diagnose Unsinn sei.

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