„Ein ‚echter‘ Mann spürt nicht mal Angst“

Drei Viertel aller Männer holt sich bei Problemen keine Hilfe, ein Drittel findet Gewalt gegen Frauen okay. Wie lässt sich das ändern? Mein Interview mit Psychologe, Männerberater und Autor Björn Süfke für den „Tagesspiegel“ über abwesende Väter und Tränen auf dem Sterbebett.

Björn Süfke ist Psychologe, Männerberater und Autor

Herr Süfke, gegenwärtig sind durch den Fall Rammstein die Themen Machtmissbrauch und Gewalt sehr präsent. Zugleich zeigte eine Umfrage, dass 34 Prozent der befragten Männer zwischen 18 und 35 Jahren es okay finden, gegenüber Frauen handgreiflich zu werden. Was sagt das über den Zustand unserer Gesellschaft aus?

Björn Süfke: Jenseits aller Methodenkritik an dieser Erhebung sollten auch bei Zahlen, die „nur“ halb so hoch sind, bei uns die Alarmsirenen losgehen. Wir erleben weltweit einen „Backlash“, einen Rückschlag gegen Gleichberechtigungsbestrebungen durch misogyne, homo- und transphobe, extrem-konservative bis rechtsextreme Kreise, die versuchen, Ihre männliche Vormachtstellung zu bewahren. Und leider sind Trump oder DeSantis, Tate oder Peterson, die „neue Rechte“ oder die AfD attraktiv für junge, eher reflektionsferne Männer, die von den Veränderungen der Geschlechterverhältnisse verunsichert sind – und damit anfällig für Demagogen des Patriarchats. So schrecklich das ist: Letztlich zeigt es auch den Erfolg der Frauen- und LGBTQI-Bewegung, wenn die Gegner von Freiheit und Geschlechtergerechtigkeit auf offene Gewalt zurückgreifen müssen. Hannah Arendt sagte: „Macht und Gewalt sind Gegensätze: Wo die eine absolut herrscht, ist die andere nicht vorhanden.“

Als Reaktion auf die viel kritisierte Umfrage kursierte der Spruch „Don’t protect your daughter, educate your son“ in sozialen Medien. Halten Sie den für zutreffend?

Ja und nein. Er ist schön plakativ, aber er greift zu kurz. Als ob wir mit Mädchen nicht über Gewalt und Geschlecht sprechen müssten. Bei der Plan-International-Befragung haben knapp 15 Prozent der Frauen der Aussage zugestimmt, dass Männern mal die Hand ausrutschen dürfe. Es ist kein reines Männerproblem, Geschlechterstereotype im Kopf zu haben. Dennoch bringt der Spruch auf den Punkt, was wir in der Tätertherapie sagen: Die Gewalt beenden, kann nur der Täter oder die Täterin. Und wenn, je nach Art der Gewalt, 80 bis über 90 Prozent der Täter*innen männlich sind, dann ist selbstverständlich, dass präventiv ein besonderes Augenmerk auf Jungen gelegt werden sollte. Nicht als verurteilende Täterzuschreibung, sondern als Angebot, sich mit Geschlechterstereotypen auseinanderzusetzen, welche Jungen in krankmachende, frauenfeindliche und gewaltaffine Einstellungen hinein sozialisieren.

Wie kriegen wir diese Stereotype weg?

Mein Plädoyer als Psychologe und Vater wäre, dass in Kitas und Schulen eine flächendeckende Fortbildung des Personals stattfinden muss, damit Grenzüberschreitungen und sexistischen Sprüchen sowie geschlechterstereotypen Einstellungen angemessen begegnet werden kann.

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