„Der Traum vom Haus kann zum Albtraum werden“

Warum gilt das Eigenheim für Familien noch immer als erstrebenswertes Lebensziel? Und bringen Pandemie, Krieg und Inflation diesen Wunsch ins Wanken? Auszug aus meinem Gespräch mit dem Psychologen und Resilienzexperten René Träder für den „Tagesspiegel“.

Kennt sich mit Stress und Resilienz beruflich aus: Psychologe und Buchautor René Träder (Foto: privat)

Herr Träder, es gab 2021 über 16 Millionen Einfamilienhäuser, darunter auch Doppelhaushälften, in Deutschland. Seit 2001 kamen jährlich grob rund 100.000 hinzu. Das Eigenheim bleibt offenbar ein anhaltendes Lebensziel der Deutschen. Warum?

Es ist nicht nur ein Lebensziel. Im ländlichen Raum ist Wohnen kaum anders möglich. Dort gibt es keine Mietshäuserstruktur wie in Hamburg oder Berlin. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Hälfte der Menschen in Häusern lebt.

Der Wunsch des Hausbaus wächst aber auch aus einem gesellschaftlichen Narrativ heraus.

Klar: Kinder zeugen, Baum pflanzen, Haus bauen gelten als die drei großen To-dos. Das hören wir in unserer Kultur immer wieder. Ein eigenes Haus bedeutet Erfolg, nach außen hin und für sich selbst. Ich habe Besitz erschaffen, den ich auch noch nutzen kann.

Wieso streben wir danach?

Das Leben und die Arbeit sind oft schwer und hart. Als Ausgleich spendet ein Haus Sicherheit und Freiheit: Niemand kann mir kündigen. Ich kann den Wohnraum gestalten, wie ich möchte. Im Rentenalter muss ich keine Miete zahlen. Tradition spielt aber auch eine Rolle: Viele Menschen bleiben dort, wo sie aufgewachsen sind, und kümmern sich eines Tages um ihr Elternhaus, wollen die Familiengeschichte fortführen. Verges­sen wird bei diesem Narrativ oft, was so ein Haus kostet, selbst bei Erbe in 30 Jahren vielleicht grundsaniert werden muss und die Rente plötzlich trotzdem knapp wird. Der Traum vom Haus kann auch zum Albtraum werden.

Gibt es auch evolutionspsychologische Gründe, wie den Schutz der Familie, die in uns schlummern?

Wir leben immer in einer bestimmten Kultur und bringen unsere Gene mit. Diese beiden Aspekte bestimmen unsere Sehnsüchte und unser Verhalten. Ein Beispiel: Als Nachfahre von Steinzeitmenschen haben wir ein ganz starkes Bedürfnis nach Bindung im engeren Kreis. Sicherheit ist ein psychologisches Grundbedürfnis. Der Steinzeitmensch hat auch nicht auf der Wiese geschlafen.

Obwohl ein Eigenheim heutzutage längst nicht mehr nur Sicherheit bedeutet.

Den Begriff der Sicherheit müssen wir modernen Menschen zweigeteilt betrachten. Einerseits gibt es das Bedürfnis nach Schutz vor Gewitter und wilden Tieren, anderseits gibt es das Bedürfnis, dass sich die Dinge gut entwickeln und wir sie in der Hand haben. Einen Bankencrash, Zinsschwankungen und Sanierungsgesetze kannte der Steinzeitmensch nicht.

Die aktuellen Krisen machen etwas mit den Menschen. Wir wollen gerne eine Kontrollüberzeugung im Leben haben, das Gefühl: Ich kann die Dinge gestalten! Ich treffe eine Entscheidung, die eine absehbare Konsequenz hat! Durch mein jetziges Handeln gestalte ich meine Zukunft! In dem Moment, wo sich die Spielregeln verändern – zum Beispiel, weil alles teurer wird oder weil man auf eine bestimmte Weise sanieren muss – ersetzt ein Ohnmachtsgefühl die Kontrollüberzeugung. Fast so, als würden wir „Mensch ärgere dich nicht“ kurz vor Spielschluss mit neuen Regeln spielen. Das frustriert.

War denn ein eigenes Haus vor den jüngeren Krisen die beste Option dafür? Man wird extrem fremdbestimmt: einen Kredit aufnehmen und abbezahlen, das würde ich als über 40-­Jähriger vor der Rente nie schaffen. Das birgt doch mehr Druck als Freiheit.

Weil heute wegen der Inflation alles teurer wird, lassen sich Kredite schlechter abbezahlen, klar. Projekte wie ein Hausbau bedeuten aber auch wegen der gestiegenen Auswahl heutzutage mehr Stress als vor 30 oder 40 Jahren. Ob es um Toaster, Waschmaschinen, Kreditverträge, Zinssätze oder von mir aus sogar Online-­Dating geht: Mehr Vergleichsmöglichkeiten tun uns am Ende nicht gut. Die Angst, sich für das Falsche zu entscheiden, steigt.

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