Was Jutta Allmendinger von der Gleichstellungspolitik fordert

Auf der re:publica 2023 sprach die laut Moderatorin Anna Dushime „ikonische“ Soziologin Jutta Allmendinger über die Ergebnisse der aktuellen Vermächtnisstudie und forderte unter anderem die Einführung einer 4-Tage-Woche, die Bezahlung von Care-Arbeit und mehr Väter und Männer, die bisher als Frauenjobs geltende Tätigkeiten übernehmen. Hier ein Video ihrer Keynote und meine Notizen.

Jutta Allmendinger auf der Bühne der re:publica 2023

Manche nennen sie Lückensucherin: Jutta Allmendinger kennt sich mit Gender Care Gap, Gender Pay Gap aus und spricht hier auf der re:publica 2023 darüber (Foto: re:publica 2023 / Jan Zappner)

Wer sich in den vergangenen Jahren nur ein wenig mit Gleichstellungspolitik beschäftigt hat, wird an ihrem Namen nicht vorbeigekommen sein: Jutta Allmendinger ist Soziologin, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Buchautorin („Es geht nur gemeinsam: Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen“, 2021) und leitende Wissenschaftlerin der Kooperationsstudie Das Vermächtnis – Die Welt, die wir erleben wollen. Die Ergebnisse der vierten Auflage dieser Studie, die laut der teilnehmenden ZEIT-Verlagsgruppe „die heimlichen, noch unbekannten Hürden für die Gleichstellung in der Arbeitswelt aufdeckt“, wurden vor wenigen Tagen veröffentlicht und sorgte unter anderem durch die Erkenntnis für Schlagzeilen, dass Frauen weniger Kinder wollen, weil sich, besonders während der Pandemie, Erwerbs- und Carearbeit nicht zufriedenstellend vereinbaren ließen. Entsprechend sprach Allmendinger in ihrer Keynote während der re:publica 2023, die unter dem Motto „Cash!“ stand, darüber, und was soll ich sagen? Die Zahlen, Antworten und Allmendingers daraus resultierende Forderungen sprechen eigentlich für sich. Eigentlich.

Ein paar ihrer Kernpunkte, die ich hier einfach mal so unkommentiert droppe, lauteten:

  • Eine Rente muss ein Lebenseinkommen abbilden, nicht Stundenlöhne
  • Der Gender Pay Gap existiert: Nach der Geburt der eigenen Kinder verdienen Frauen in den alten Bundesländern 1,5 Millionen Euro weniger als ihre Männer
  • Der Care Gap existiert ebenfalls: Mental Load ist auch Arbeit
  • Umfragen: Von 23 Tätigkeiten wurden nur drei überwiegend von Männern übernommen, darunter Handwerk und Finanzen – und damit nichts, was alltäglich anfiele
  • „Cash cs. Care? Cash vs. Liebe? Sorge kostet viel Geld!“
  • unbezahlte Arbeit bringt keine Anerkennung
  • Forderung: Politik muss tatsächliche Unterschiede und Größe der Lücke erkennen, dagegen vorgehen und sie nicht trivialisieren
  • Forderung: Die Schließung der Lücken muss wechselseitig geschehen. Wir dürfen nicht alle Frauen zu Männern machen und ihnen Vollzeitjobs verschaffen. Ginge schon deshalb nicht, weil gute und zuverlässige Kitas und Schulen fehlen. Dass Frauen ein Männerleben annehmen sollen, ist zynisch. Unser Pflege sieht nicht gut aus, auch die der eigenen Eltern.
  • Untersuchungen zeigen: Selbst wenn Frauen voll arbeiten, übernehmen sie ein Übermaß an Care-Arbeit und Mental Load, machen also Doppelschichten, die auf die Gesundheit von Frauen und Kindern gehen, sieht man etwa bei den Antragsraten der Mutter-Kind-Kuren -> Wir dürfen nicht Cash gegen Gesundheit ausspielen
  • Allmendingers Appell: Gleichstellungspolitik ernstnehmen für Mütter UND Väter. Sprich: Wir müssen auch Väter in sog. Frauenjobs bringen! Elternschaft ermächtigen.
  • Trugschluss: Es heißt oft, Väter nähmen aktuell im Durchschnitt 3,6 Monate Elternzeit. Dies stimmt nicht, weil nur 45 Prozent der Väter überhaupt Elternzeit nehmen. Runtergerechnet bedeutet dies, dass in Deutschland Väter durchschnittlich 1,2 Monate Elternzeit nehmen – und Mütter 13.
  • Wir müssen über Arbeitszeit nachdenken. Nötiger Wandel: weg von Erwerbstätigkeitsgesellschaft, hin zu Tätigkeitsgesellschaft!
  • Alles spricht für eine Vier-Tage-Woche. Studie zeigt: Produktivität geht auch bei Männern kaum zurück bei 32 Stunden
  • Cash darf nicht nur an Erwerbstätigkeit geknüpft sein. Auch Ehrenamt muss bezahlt werden.
  • Wer niedrige Geburtenquoten beklagt und gleichzeitig an Erwerbstätigkeit festhält, ist zynisch
  • Gesellschaft muss Gemeinschaft werden
  • „Wir befürchteten durch Corona einen Rückschritt dahingehend, dass Frauen der Erwerbstätigkeit den Rücken kehren. Stattdessen ging der Kinderwunsch zurück – und die, die schon Kinder hatten, sprechen keine Empfehlung an andere dafür aus.“
  • Wir dürfen Frauen nicht beschuldigen, Männer nicht in die Pflicht zu nehmen. Dies wäre Victim Blaming. Sätze wie „Frauen wollen diese Aufteilung nicht anders, deshalb ist der Status quo unveränderbar“ sind Mist.
  • Gleichstellung muss auch Männerpolitik bedeuten, die nicht gegen Väter gerichtet ist. In Umfragen sagen Männer stets, sie wollen alles gemeinsam mit der Partnerin hinkriegen. Wenn Kinder kommen, passiert das Gegenteil: Väter arbeiten mehr, Frauen weniger.
  • Die Studien von Allmendinger und ihrem Team seien belastbar: Vätern passiere nichts bei Elternzeit. Sie werden zum Beispiel trotzdem zu Bewerbungsgesprächen eingeladen, egal ob sie zehn oder zwei Monate Elternzeit nahmen. Frauen nicht: Bei vergleichsweise frühem Wiedereintrittswunsch in die Erwerbsarbeit gelten sie etwa als „übermotiviert“. Sie werden bestraft, obwohl sie nur eine kurze Unterbrechung einlegen wollen. Dies spiegele Normen der Gesellschaft wider.
  • Gleiches gilt bei der Übernahme des Namens von Partner oder Partnerin bei Ehe: Männer werden in beiden Fällen als karriereorientierter angesehen. Frauen nicht.
  • Bitte an Familienpolitik: mit Partnerschaftsmonaten höher gehen. Freistellung nach Geburt bringen. Ehegattensplitting und Minijobs abschaffen 
  • Allmendingers Wunsch an Frauen lautet, sie sollen nicht gegen Quoten sein: „Wir sind noch nicht so weit. Wir brauchen sie.“

Ironischerweise endete Allmendingers Keynote mit einer praxisnahen Szene, die ihre Punkte teilweise unterstreicht: Als Moderatorin Anna Dushime sich bei der Speakerin bedankt und sie fragt, wie im Alltag Väter denn nun entsprechend in die Pflicht genommen werden könnten, antwortet Allmendinger eindeutig: „Es ist nicht die Aufgabe von Frauen, die Pädagoginnen ihrer Männer zu sein!“ Im gleichen Atemzug adressiert sie Dushime, die dies hoffentlich nicht persönlich nahm, direkt: „Lass den Vater nicht raus! Ich habe gesehen, was Du gerade gemacht hast!“ Sie spielte damit darauf an, dass Dushime (mit geschientem Fuß) unmittelbar vor und nach ihrer Moderation hinter der Bühne ihr Baby stillte. „Der Vater ist hier irgendwo“, antwortete sie, woraufhin Allmendinger unterbrach: „Er ist aber gerade nicht beim Kind!“

Hier ein Mitschnitt aller Auftritte von Tag 2 auf Bühne 1 der re:publica 2023, Allmendingers Keynote startet bei 1:55:13, Zeitmarke ist gesetzt:

Die re:publica 2023 war übrigens meine erste nach ein paar Jahren Pause. Wegen der Pandemie fiel sie mehrfach ohnehin aus, davor konnte oder wollte ich einen Besuch nicht mit meiner Erwerbs- und Carearbeit vereinbaren. Seit diesem Frühjahr bin ich zwar immer noch Vater junger Kinder, aber nicht mehr Redaktionsleiter in Festanstellung, sondern selbständiger Journalist und Autor. Da kann ein wenig Networking nicht schaden, nahm ich an. Neben dem Auftritt Allmendingers schaute ich mir ein paar weitere Panels und Vorträge an, traf alte Bekannte und feierte Mittwochabend sogar Blond ab. Deren neues Album „Perlen“ haut mich nicht unbedingt um, da kann mein lieber Kollege Linus Volkmann ein noch so großer Fan sein, die Liveshow ist aber ein großer Spaß.

Mehr zur re:publica auf newkidandtheblog.de:

http://www.newkidandtheblog.de/2014/05/07/republica-2014-vaeterblogs-ein-nischendasein-video/

2 Gedanken zu „Was Jutta Allmendinger von der Gleichstellungspolitik fordert

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