„Tagesspiegel“-Kolumne (3): Die fetten Jahre sind vorbei

Seit ein paar Monaten darf ich regelmäßig für den Berliner „Tagesspiegel“ schreiben. Auf Papier! Meine Kolumne auf den dortigen Familienseiten heißt „Oh, Mann!“. Hier ist Folge 3, die am 4. März 2023 „im Blatt“ erschien und in der er es um Wohlstand und Sorgen geht.

Ich sag‘s nur ungern, aber: Die fetten Jahre sind vorbei. Mehrmals pro Woche Essen bestellen? Mit den Kindern ins Kino? Im Sommer Freibad mit Pommes und Eis? All diese kleinen Luxusmomente, die für at least durchschnittlich verdienende Eltern wie uns über Jahre hinweg Selbstverständlichkeiten waren, sind es plötzlich nicht mehr. Von einem großen Urlaub ganz zu schweigen. Die Mieten steigen, die Nebenkosten steigen, die Lebensmittelkosten steigen, die Energiekosten explodieren – aber die Gehälter stagnieren. Na klar, wir leben (noch) in Frieden und ohne Lieferengpässe. Im eigenen Portemonnaie wird es für den, der nicht an sein karges Erspartes will, seit Monaten trotzdem knapp.

Ein paar Inflations- und Preissteigerungsbeispiele aus dem eigenen Alltag: Als ich neulich beim Friseur meines Vertrauens war, nahm der für Haarschnitt und Rasur plötzlich 30 statt 25 Euro. Frauen können darüber nur müde lächeln, ich weiß. Ein BVG-Einzelticket kostet nun 3 Euro, die Packung Käse 2,50 Euro. Ich schätze: Pro Monat geben wir im Supermarkt rund 200 Euro mehr als noch vor einem Jahr aus. Die gute Schokolade? Das leckere lokale IPA-Bier? Lieber mal im Regal lassen. Klar, Doppelverdienern wie uns geht es trotzdem gut genug. Große Sprünge bleiben Wunschdenken, doch wir kommen über die Runden und haben keine Angst, in einem halben Jahr unsere Miete nicht mehr bezahlen zu können. Aber wenn wir die Teuerungsrate schon derart spüren, wie muss es dann den viel zu vielen Menschen in dieser Stadt gehen, die schon vor Kriegsbeginn an der Armutsgrenze lebten? Wie sollen die sich Hoffnung wahren, wenn viel Arbeit zunehmend weniger bringt?

Wer nichts davon spürt, sind höchstens die Reichen. Wie die ältere Dame, die neulich im KadeWe an einem Montag mit mehreren prall gefüllten Hermès-Einkaufstaschen nett lächelnd neben uns stand, als ob es das Normalste der Welt wäre – während wir den Kindern mehrfach sagten, dass sie bitte nichts anfassen sollen. Ich werde in dieser knappen Kolumne nun nicht das Fass einer Vermögenssteuer oder zumindest weiterer Elternhilfen aufmachen. Ich finde aber durchaus: Jetzt, da wir langsam eine Ahnung davon kriegen, wie sehr viel zu viele andere Familien schon längst auf ihr Geld achten müssen, wäre es doch nur menschlich und der Nächstenliebe helfend, wenn andere dies auch erführen. Weil viele in ihrem Leben noch nie „fette Jahre“ erleben durften und auch nicht mehr werden.

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