„Tagesspiegel“-Kolumne (4): Frieren statt rutschen – Wenn auf Kosten der Kinder gespart wird

Seit geraumer Zeit darf ich regelmäßig für den Berliner „Tagesspiegel“ schreiben. Auf Papier! Meine Kolumne auf den dortigen Familienseiten heißt „Oh, Mann!“. Hier ist Folge 4, die am 1. April 2023 „im Blatt“ erschien und in der er es meine bibbernde Erkenntnis geht: Draußen wird es wärmer, in den Hallenbädern und den Herzen noch nicht.

Seit vergangenem Winter für Kinder auch in Hallenbädern nötig: Neopren-Anzug

Erinnern Sie sich noch an all die Corona-Maßnahmen in den Jahren 2020-2022? An Lockdowns, Schul- und Kitaschließungen? An Homeschooling und Wechselunterricht? An gesperrte Spielplätze und Parks? Und daran, dass Autohäuser und Bundesligastadien ihre Türen vor Klassenzimmern und Sportvereinen wieder öffnen durften – während auch zwei Jahre nach Beginn der Pandemie weder tragfähige Konzepte im Bildungsbereich noch ausreichend Luftfiltergeräte da waren? Nun, damals wurde auf dem Rücken der Kinder, die ja selbst eine vulnerable Gruppe sind, zwei andere vulnerable Gruppen, nämlich die Älteren und Vorerkrankten, sowie „die Wirtschaft“ geschützt. Bloß dankt es ihnen niemand.

Mittlerweile ist Corona kaum noch des Smalltalks wert. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine steigen Energie- und Lebensmittelpreise sowie die Inflation. Nicht nur jede*r einzelne Bürger*in muss sparen, auch die Stadt und das Land muss es. Dies geschieht zum Beispiel durch Runterregelung der Wassertemperatur in Hallenbädern oder Komplettschließung der dortigen Kinder- und Freizeitbereiche – und damit auf Kosten der, richtig, Kinder, denen schon zu Hochzeiten der Pandemie nachgesagt wurde, dass sie eine Generation der Spätschwimmlerner werden würden.

Kann das warme Wasser nicht mal sehen

Verstehen Sie mich nicht falsch: Auch jetzt hege ich grundsätzliches Verständnis für fast alle Maßnahmen und trage sie für meine Kinder, meine Mitmenschen und mich selbst gerne mit. Wenn ich aber sehe, wie in Großraumbüros 24/7 die Heizungen bollern und das Licht brennt, Reichstag und Co. wie eh und je erstrahlen, Autos weiterhin die Innenstadt verstopfen und viele ungedämmte Altbauwohnungen wegen undichter Fensterrahmen und Türen „für draußen“ beheizt werden (und die Duschen in den Hallenbädern stundenlang auf über 30 Grad Celsius laufen dürfen), fällt es mir schwer, meinem Sohn zu erklären, warum er beim Schwimmen frieren muss und nicht rutschen darf. Nach Ostern würden die Temperaturen zwar geändert, kündigten die Bäderbetriebe kürzlich an. Aber wirklich warm wird’s wohl auch dann nicht wieder.

Unsere Zwischenlösung: Statt zu unserem eigentlichen Lieblingsbad in Schöneberg fahre ich mit meinen Söhnen seit Monaten in ein anderes im Süden der Stadt. Dort ist das Kinderbecken wenigstens geöffnet und gefühlt etwas wärmer, selbst an Wochenenden wenig los und der Sprungturm jederzeit nutzbar. Müssen wir bloß mit dem Auto hin, das Benzin braucht, das wiederum… Sie ahnen den Teufelskreis…

P.S.: Schon gehört? Wegen Fachkräftemangel sollen bald sogar Eltern und andere Verwandte in den Kitas aushelfen. Ein Schlag ins Gesicht arbeitnehmender Mütter und Väter sowie ausgebildeten Pädagog*innen. Mit ihnen und den Kindern kann man es offenbar machen.

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