Elternzeit, Teilzeit, Quoten, Privates und Politisches: Wer denkt, wir lebten bereits gleichberechtigt, irrt gewaltig. Über meinen Text „Wunsch und Wirklichkeit“ in der Berliner Zeitung und seine Entstehung.
Ein Dienstagabend im Oktober. Meine Buchagentur lädt in ihre Räume in Berlin-Mitte zu einer kleinen Lesung. Susann Sitzler stellt dort ihr neues Werk „Väter und Töchter“ (Affiliate Link) vor. Beim Wein danach lerne ich Eva Corino kennen. Eva ist als Redakteurin beim Berliner Verlag verantwortlich für die Familienseiten. Sie hat selbst mehrere Bücher geschrieben. Ihr aktuelles heißt „Das Nacheinander-Prinzip“ (Affiliate Link). Eva argumentiert darin, dass die Gleichzeitigkeit von Kindern und Karriere, also eine angebliche Vereinbarkeit, nicht möglich ist und nur Verlierer*innen hervorbringe. Sie plädiert deshalb dafür, dass sich Eltern oder Elternteile – also im binären System Mutter oder Vater – erst ein paar Jahre um das eine und danach um das andere zu kümmern. Ein theoretisch nachvollziehbarer Gedanke, sage ich ihr, praktisch funktioniere unsere Welt aber leider nicht so. Wir vertreten verschiedene Standpunkte, interessieren uns für den jeweils anderen, tauschen Kontakte aus, trinken unser Glas leer und verabschieden uns.
Ein paar Tage später erreicht mich eine Mail von Eva. Sie würde mich gerne in der Berliner Zeitung als „Blogger des Monats“ vorstellen und einen Text schreiben lassen. Ich lese ihre Nachricht auf der Couch und sage dabei zu meiner Frau beiläufig: „Ach, guck mal, habe schon den ersten Auftrag reinbekommen von der Redakteurin, die ich neulich traf.“ Ihre Reaktion fällt so knapp wie bestechend aus: „Da gehst Du mal einen Abend raus… So schnell geht das bei Dir. So leicht hast Du es als Vater.“ Ich fühle mich ertappt, ohne bewusst etwas verbrochen zu haben: „Ich sagte ihr das ja bereits, dass dies auch ein Problem ist“, entgegne ich meiner Frau stammelnd. „Dass ich offene Türen mit Themen einrenne, über die andere schon lange sprechen.“ Müde resigniert sie: „Was soll ich dazu sagen?“
Warum ich diesen vermeintlich belanglosen „Behind The Scenes“-Ablauf hier derart ausführe? Weil dieses Beispiel so belanglos gar nicht ist. Es illustriert, wie viel leichter es Männer nahezu unbemerkt in alltäglichen Kleinigkeiten bis hin zu großen Entscheidungen gegenüber Frauen haben. Welche Privilegien sie, gerade im Patriarchat, beruflich und privat genießen und als selbstverständlich hinnehmen. Ich merke das selbst auch abseits der geschilderten Szene, in der mir ja immerhin eine Frau Platz einräumen wollte (und schließlich einräumte, siehe unten). Man lässt mich sogar ein Buch schreiben über Themen, über die Frauen und andere von mangelnder Gleichberechtigung Betroffene seit Jahren, viel zu oft unerhört, reden! In dem darin erscheinenden Kapitel „Eine unvollständige Liste meiner Privilegien“ habe ich exemplarisch mehrere konkrete Beispiele gerafft, die meine Vorteile als Mann und Vater gegenüber Frauen und Müttern beziehungsweise ausbleibende Nachteile illustrieren sollen. Dass ich mich bei Bewerbungen weniger anstrengen muss, zum Beispiel. Dass mich kein Arbeitgeber als „Risiko“ sieht, weil ich wegen Kindern öfter oder länger ausfallen könnte. Dass ich nie nach meinem Äußeren gefragt oder bewertet werde und starke Meinung nicht als „zickig“ gilt. Dass ich nicht als „Rabenvater“ gelte, wenn ich zwei Wochen nach der Geburt meines Babys wieder ins Büro renne. Dass ich auch nach der Familiengründung im Grunde weitermachen könnte wie bisher, weil überholt gehörte Rollenbilder es mir in dieser Hinsicht scheinbar leicht machen. Dass Männer in der Regel mehr verdienen als Frauen. Und so weiter.
Wäre ich ein konservativer Männerrechtler, würde ich jetzt aufschreien: „Männer sind hier die Opfer, sie können wohl nichts richtig machen!“ Als zumindest seine privilegierte Rolle reflektierender Mann und Vater (um sich nicht gleich als Feminist zu erhöhen), der von Tag zu Tag zunehmend realisiert, wie viele veraltete Rollenbilder, Klischees, ja sogar Sexismus und Rassismus durch seine Sozialisation in ihm stecken, zitiere ich lieber die Autorin, Bloggerin, Digitalexpertin und Podcasterin Patricia Cammarata. In einem Interview für mein Buch sagte sie die schaurig-schönen Sätze: „Männer erleben nun zunehmend all das, was Frauen schon ganz lange kennen. Frauen sind Karriereknicke gewöhnt. Das ist für Männer neu und schwer zu ertragen.“ Darüber kann man sich lustig machen. Sich darüber beschweren. Oder diese Tatsache annehmen und seinen Teil dazubeitragen, dass Privilegien erkannt und gleichzeitig die alten und neuen Probleme aller Geschlechter ernster genommen werden. Weil Elternschaft noch immer besser mit- als gegeneinander funktioniert.
That being said: Für die Berliner Zeitung habe ich also einen Text geschrieben. Ich versuche darin einige Kernpunkte meines am 21. März 2022 erscheinenden Buches „Väter können das auch!“ (Affiliate Link) zu raffen. Er ist am 3. Dezember unter der Überschrift „Wunsch und Wirklichkeit“ in der gedruckten Version erschienen, online ist er unter der Überschrift „Zum Role Model hochgejazzt: Der ach so moderne Vater“ nachzulesen (hinter der Paywall). War wohl oder übel gar nicht so schwer.
Ein Gedanke zu ”Warum Väter es leichter haben als Mütter“