Zwangsfrei: Für Kinderlose im Home Office ein Segen, für Eltern in Zeiten von Kita- und Schulschließungen ein Fluch? Nein, we’re all in this together now. Eindrücke unserer weiteren Corona-Tage.
Endlich Frühling. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, der Park voller Menschen, Rentner spielen Boule. ⠀
Und doch: Das erste Bier schmeckt seltsam bitter. Spaziergänger tragen Gesichtsschutz. Die Straßenmusikerin singt „Hallelujah“. ⠀
Fast so, als ob irgendwas nicht stimmen würde.⠀
Diese Sätze twitterte ich vor zwei Tagen, als ich selbst mit unseren zwei Kindern im Gleisdreieckpark saß. Wir blieben unter uns, ich beobachtete die Jungs und die Szenerie. Klingt schön poetisch und wie der Beginn eines Katastrophenfilms, dachte ich. „It’s The End Of The World As We Know It ( And I Feel Fine)“ und so.
Auf Instagram postete ich den selben Satz, aber mit einem Foto von mir mit besagtem Bier in der Hand und den Kindern auf dem Schoß. Wollte sagen: Welch Glück, dass Rausgehen noch geht – und dass das auch wirklich klar geht, wenn man Abstand hält. Was ich aus Versehen aber auch sagte: Ich bin nicht nur lyrischer Beobachter der bevorstehenden Apokalypse, sondern ein Teil von ihr. Und: „Guckt mal, ich poste zwar harsch bis herablassend #staythefuckhome, gehe selbst aber immer noch raus.“ Wir leben in Zeiten der täglichen Neubewertung des eigenen und fremden Handelns. Falls man andere überhaupt bewerten sollte, so wie ich es tat und auch in den folgenden Absätzen tun werde.
Das Wort „Coronaferien“ nutze ich inzwischen auch ironisch nicht mehr. Zu viele Menschen nehmen es für bare Münze. Sie freuen sich sichtlich, bei gutem Wetter im Park abzuhängen zu können. Aber nicht etwa, weil ihre Kinder mal kurz rumrennen müssen. Sondern weil sie endlich „in Ruhe“ skaten, Tischtennis spielen, mit Freunden picknicken, tanzen, Basketball spielen und chillaxen können. Wäre Angela Merkel vor ihrer Rede mal durch irgendeinen Berliner Park gelaufen, sie hätte sich das mit der (bald garantiert trotzdem kommenden) Ausgangssperre womöglich anders überlegt.
Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere hat Sascha Lobo für „Spiegel Online“ unter der Überschrift „Wider die Vernunftpanik“ aufgeschrieben, und ich kann, glaube ich, jeden seiner Punkte nachvollziehen, bis auf einen: Niemand beschwert sich über die Kassiererin, die nach Feierabend ob mit oder ohne Kind an die Luft will. Genauso wie sich niemand über Eltern beschwert, die mit ihren Kindern durch den Park laufen (ohne auf dem Spielplatz abzuhängen und die Rutsche abzulecken). Das Problem ist die Ignoranz und fehlende Weitsicht von Menschen, die sich selbst nicht als Risikogruppe sehen: Junge, Teenager, die nicht checken, dass sie ein Multiplikator sind, auch wenn ihnen selbst nichts Schlimmes widerfahren wird. Ich sah selbst Rentner zu fünft Boule spielen. Aber es stimmt: Ich bin kein Virologe, ich bin nicht zehn Virologen. Ich kann und darf keine Empfehlungen abgeben, ich kann nur mein auf ein paar Fakten basierendes Bauchgefühl wiedergeben – oder die Klappe halten.
Gut geht es uns so oder so: Ich kann von zuhause aus arbeiten, meine Frau kann es (als Selbstständige aber mit bald wohl desaströser Auftragslage), wir dürfen raus, wir dürfen einkaufen, unsere Wohnung ist groß, wir kriegen alles hin. Das Einzige, was sich in unserem privilegierten Alltag bisher wirklich geändert hat: Die Kinder sind den ganzen Tag bei uns daheim. Und obwohl ich nie dachte das mal sagen zu können: Klappt ganz gut, wir haben uns schon daran gewöhnt. Auch wenn ich noch immer beziehungsweise jetzt erst recht einmal mehr lauter werde, als mir lieb ist, und wenn der Mindestabstand von anderthalb Metern auch streitenden Brüdern mal gut tun würde.
Der Alltag hat sich wie folgt eingependelt: Aufstehen gegen. 7 Uhr, zwei Stunden frei „spielen“, Frühstück, das Wichtigste abarbeiten, Kinder in Schach halten. Gegen Mittag gehe raus mit den Kindern, meine Frau arbeitet in der Zeit in Ruhe, Rückkehr am Nachmittag, 1-2 Stunden Netflix für die Kids, während wir arbeiten oder, wie immer, aufräumen. Abendessen, spielen, Umziehstress as usual, Schlafenszeit für die Kinder gegen 19 Uhr. Wir arbeiten danach noch ein bisschen weiter, hängen im Internet rum und lassen uns von Netflix berieseln. Klar bin ich abends nun noch müder als sonst, die Kinder komischerweise aber auch. Ich will nicht im „shiny happy Influencer“-Style so weit gehen und sagen, dass Corona uns als Familie zusammenschweißen würde. Aber wir arrangieren uns bisher besser als befürchtet.
Ja, uns geht es gut. Mann ey, ich trinke sogar Bier im Park. Wie geht es anderen? Den Kulturschaffenden? Dem Einzelhandel, der schließen muss, obwohl sich in seinen Läden eh selten mehr als fünf Kunden gleichzeitig aufhielten? Familien, in denen häusliche Gewalt mit Papas Rückkehr oder Verwahrlosung der Kinder wegen Alltags- und Betreuungsmangel vermehrt Einzug hält? Kindern, die an den EU-Grenzen jetzt erst recht allein gelassen werden? Angela Merkel hat recht: Natürlich werden wir auch diese Krise überstehen. Aber wer „wir“ und wie viele danach noch sind, das ist die Frage.
Die Natur rächt sich jetzt mal schön an der Menschheit, sage ich abends auf der Couch. Die Natur steht viel höher als wir und hat es gar nicht nötig, sich an jemand für sie so Unwichtigem wie dem Mensch zu rächen, entgegnet meine Frau. Sie, die Natur, nehme sich Zeit für eine notwendige Selbstreinigung. Sie ist stark, das kann sie sehr schnell, siehe das plötzlich wieder klare Wasser in Venedig oder die weniger verschmutzte Luft über Flug- und Industrienationen. Dass dabei Menschen sterben, sei eine Art Kollateralschaden. Klingt einerseits zynisch bis makaber, andererseits hat diese Perspektive etwas sehr Beruhigendes, finde ich.
So, ich muss jetzt wieder Witze vom kleinen Drachen Kokosnuss vorlesen. Entschuldigt mich.
Ein Gedanke zu ”Corona-Tagebuch (Tag 3 bis 8): Alles bleibt anders“