Zwangsfrei: Für Kinderlose im Home Office ein Segen, für Eltern in Zeiten von Kita- und Schulschließungen ein Fluch. Eindrücke unserer ersten Corona-Tage.
Freitag, 13. März 2020. Vorweg: Habe das Wort #Coronaferien auf Twitter gefunden. Es passt eigentlich nicht, von Ferien kann nämlich keine Rede sein. In solchen darf man tun und lassen, was man will. Dieser Tage und Wochen tut man aber gut daran, möglichst vieles nicht zu tun, sondern zu lassen. „Coronaferien“ ist genau so ein irreführendes Wort wie „Vaterurlaub“ – der ist in Wahrheit schließlich auch keiner.
Ansage meines Arbeitgebers am Donnerstag: Wir „dürfen“ fortan bis auf Weiteres im Home Office (Mobile Office passt hier nicht) arbeiten, wir müssen bis auf Weiteres von Montag an. Verabschiede mich von den Kolleg*innen mit den vagen Worten: „Na dann bis in… fünf Wochen?!“ Diese Information erfolgt keine 24 Stunden vor der Hiobsbotschaft, dass von nächster Woche an, wie befürchtet, Schulen und Kindergärten bis nach Ostern schließen müssen. Eine leider wohl richtige Maßnahme, sagt mittlerweile ja sogar Virologen-Influencer Prof. Dr. Christian Drosten, dennoch: Himmel und Hölle lagen nie näher beieinander.
Hätte ich keine Kinder, mit denen mir schon nach zwei Stunden die Decke auf den Kopf fällt, sähe ich den kommenden Wochen entspannter entgegen. Arbeite Freitag im Home Office und erledige währenddessen die Art von Hamsterkäufen, über die ich mich zwei Tage vorher noch lustig gemacht habe. Menschen sind wie Lemminge: Wenn einer das Ende sieht, will kein anderer das Nachsehen haben (oder in die hohle Hand kacken). Hole am Nachmittag die Jungs vom Kinderladen zum letzten Mal vor der Schließung ab. Fühle mich wie auf dem Weg zum jüngsten Gericht. Oder ins Fegefeuer.
Schon jetzt türmen sich die Szenarien in meinem Kopf: Wie lange wird es dauern, bis sich Schlangen an der Babyklappe bilden – und Mütter und Väter frustriert umkehren, weil sich der fünfjährige Theo bei allem Druck nicht mehr dort durch quetschen lässt? Das wird eine schaurig-schöne Erinnerung, wenn die Eltern, die sich in den kommenden Wochen nicht erwürgen, ihre Neugeborenen in 9 Monaten Covid nennen!
Es gibt auch Positives: Wenn Ausgangssperre und Home Office etwas für sich haben, dann, dass hoffentlich bald auch der letzte Vater erkennt und anerkennt, was seine Frau täglich zuhause alles leistet (Stichwort „Carearbeit“ vs. „Erwerbsarbeit“).
16:30 Uhr. Belegen Pizza. Fühle mich für zehn Sekunden wie eine shiny happy Instamom – bis Kid B auch die letzte grüne Zutat verflucht, alles auf den Boden wirft und Kid A schon vor Beginn keinen Bock mehr hatte.
Kriege Panik, als der heiß geliebte Möhrenstift (Tiptoi, unbezahlte Werbung) von Kid A plötzlich den Geist aufgibt – ausgerechnet an dem Tag, an dem Corona auch für den letzten ernst wird! Fahre zum Karstadt am Hermannplatz und decke uns außerdem mit Puzzles, Holztürmen und einer Kundenkarte ein. Corona kann kommen – aber bitte nur für zwei Nachmittage!
„Coronaferien“, Tag 2: Ein fast normales Wochenende
Haben ein Puzzle zusammengebaut, zwei Bücher gelesen, den neuen Möhrenstift aktiviert, ein Hörspiel angeworfen, Handyvideos geguckt und das Kinderzimmer aufgeräumt. Es ist jetzt 9 Uhr. Eigentlich ein bisher ganz normales Wochenende.
Die Sonne scheint. Solange keiner von uns wirklich infiziert ist (müsst Ihr bei dem Wort in dem Zusammenhang auch immer an Zombiefilme denken?) und solange die Ausgangssperre keine Sperre ist, sondern nur eine Empfehlung, wollen wir raus. Nicht ins Bällebad oder auf den Rummel, aber in die Sonne. Fahren nach Beelitz-Heilstätten zum Baumkronenpfad. Außerhalb von Berlin, offen, überschaubar wenige/viele andere Gäste, null direkter Kontakt. Spektakuläre Kulisse! Hier wurden und werden Horror- (und andere) Filme gedreht. Wird noch gruseliger, wenn ich bedenke, dass wir gerade selbst in einem mitspielen. Jeder als Statist, manche gar mit einem Cameoauftritt.
Entspannt war der Ausflug nicht: Kid A rennt vor und andere Menschen um, der andere will auf den Arm oder zurück zum Ausgang. Wir manövrieren beide möglichst weitläufig um die Wandersleute herum, halten ihr Mecker, ihre Faulheit und ihren Dickkopf aus und erleben: den gleichen Ausflugsstress wie immer, nur dass sie nun noch weniger anfassen sollen als bisher.
Rückfahrt nach Berlin. Menschen sitzen in der Sonne vorm Café, als sei nichts. Und es stimmt: Der hardest part kommt ja wirklich erst noch. Bin täglich mehrfach hin- und hergerissen zwischen „Sind wir zu vorsichtig?“ und „Sind wir zu unvorsichtig?“.
15 Uhr. Die Kinder sitzen nach Monaten der Abstinenz wieder vor der Glotze. Komme mir als Vater vor wie ein rückfälliger Alkoholiker. Und überhaupt: Ist es eigentlich Zufall, dass Corona-Ausgangssperre und der Start von Disney+ in den selben Zeitraum fallen? Ein Fall für Fähnlein Fieselschweif. I see what you did there, Walt!
Fazit nach nur einem halben, im Grunde wirklich noch ganz normalem Wochenende in verschärfter Alarmbereitschaft: Fünf Wochen halten wir nicht aus. Nach dieser Zeit werden selbst die Kinder sagen: „Neeeein, bitte nicht schon wieder fernsehen!“ Dabei verlief ihr Entzug so vielversprechend!
Nicht, dass wir in zwei Wochen verzweifelt und wider besseren Wissens doch die Großeltern anrufen. Die, die leider gerade jetzt nicht helfen dürfen, wo sie am meisten könnten. Die erste außergewöhnliche Arbeitswoche hat ja noch nicht einmal begonnen.
Keine Ahnung, ob ich dieses Tagebuch hier fortführe. Uns geht es gut, noch haben wir bei allem Stress gut lachen. Aller Wahrscheinlichkeit wird es uns noch vergehen.
Ein Gedanke zu ”Coronaferien-Tagebuch (Tag 1 und 2): Der Schein trügt“