„Milcheinschuss“ auf Netflix: Der ganz normale Eltern-Wahnsinn

Eine Familiengründungskomödie in bisher 13 kurzweiligen Folgen: Die Netflix-Serie „Milcheinschuss“ überhöht auch in ihrer zweiten Staffel mit Witz und Charme den stressigen Alltag, dem frischgebackene Eltern plötzlich ausgesetzt sind. Die wiederum wissen: Nein, das passiert alles wirklich so!

Szene aus „Milcheinschuss“: Audrey, so überfordert wie so viele junge Mütter oder Väter
Szene aus „Milcheinschuss“: Audrey, so überfordert wie so viele junge Mütter oder Väter

Für Leser und Zuschauer ohne Kinder eine Erklärung vorweg: „Milcheinschuss“ bezeichnet den Moment oder Zeitraum nach der Geburt, in dem in der mütterlichen Brust nach der sogenannten Vormilch die eigentliche Muttermilch für das Neugeborene „bereitgestellt“ wird. Selten klappt das ein paar Stunden nach der Entbindung. In der Regel dauert es rund drei Tage, bis es richtig „läuft“, manchmal funktioniert es gar nicht. Kurzum: Es ist der nächste Moment, auf den Eltern hinfiebern und dessen Eintritt sie nicht nur hormonell verrückt macht. Das Baby soll doch nicht gleich verhungern! Der deutsche Name „Milcheinschuss“ passt perfekt für die im April 2018 auf Netflix gestartete Serie „The Letdown“, die beim australischen Sender ABC bereits 2016 ausgestrahlt wurde und deren zweite Staffel seit dem 31. Juli 2019 verfügbar ist. Weil es auch in den neuen sechs wieder kurzweiligen Folgen eben darum geht, wie sehr frischgebackene Eltern sich selbst verrückt machen oder verrückt machen lassen.

Audrey (Alison Bell, neben Sarah Scheller auch Erfinderin der Serie) und Jeremy (Duncan Fellows) sind ein ganz normales australisches Mittelschichtspaar und haben in Staffel 1 eine Tochter bekommen. Sie heißt Stevie, ist zuckersüß und schläft nachts – natürlich – nicht so ruhig und durchgehend wie es ihre Eltern gerne hätten. Sie probieren es mit Schlaftraining (für Stevie), mit Noise-Canceling-Kopfhörern (für sich selbst), nebenbei versuchen sie ihr Sexleben aufrecht zu erhalten. Weil Jeremy bald wieder arbeiten muss, steht Audrey den lieben langen Tag allein mit Stevie da und durchlebt den ganzen Scheiß, durch den junge Eltern, meist aber noch immer Mütter, sich so treiben oder treiben lassen: Beim Babytreff bewertet die Kursleiterin Audreys chaotisches Verhalten, obwohl die Mütter doch bitte nicht über andere Mütter urteilen sollen. Im Café muss sie böse Blicke aushalten, weil sie als stillende Mutter einen Kaffee mit Koffein bestellt. Das neue Leben anderer Familien scheint stets perfekt, während das eigene auf dem Kopf steht. Ihr Mann will weiterhin Karriere machen. Und dann kommen auch noch die Eltern zu Besuch!

Mom-Shaming und Fremdschämen

Erst auf den zweiten oder dritten Blick bemerkt Audrey, dass auch die anderen Mütter ihrer neu gefundenen Schicksalsgemeinschaft so ihre Probleme haben – und in der Familiengründungskomödie „Milcheinschuss“ tun sich Tiefen auf, die sich wegen Alison Bells mit viel komischem Talent dargestellter Überforderung anfangs noch hinter den Pointen verstecken können.

In Staffel 2 von „Milcheinschuss“ hat Jeremy einen neuen Job in Adelaide angenommen. Audrey und die mittlerweile einjährige Stella leben weiterhin in Sydney, Papa ist nur am Wochenende zuhause. Audrey würde auch gerne wieder arbeiten, kann aber nicht, weil er es tut und geht nicht nur daran sichtbar fast zugrunde (Achtung, Spoiler): War sie am Ende von Staffel 1 unerwartet wieder schwanger, lernen wir im Verlauf von Staffel 2, warum sie es nun nicht mehr ist.

Dazu kommt der ganz normale Alltagsstress: Stellas erster Geburtstag soll ein rauschendes Fest finden, frustriert und übermüdet backt Audrey Plätzchen, die keiner mag und eine Elefantentorte, die wie ein Penis aussieht. Ihre Mutter setzt ihre Enkeltochter beim Babysitten ständig vor den Fernseher oder das iPad, und als Audrey endlich eine Tagesmutter gefunden zu haben glaubt, entpuppt die sich als mutmaßlicher Drache. Spürbar schmerzhaft: Weil sie keine Alternativen findet, gibt sie Stevie schließlich doch in die fremde Obhut.

Ihr Kinderlosen, Ihr habt ja keine Ahnung!

„Milcheinschuss“ zieht seine Dynamik aus der Unvereinbarkeit, die jeder Elternteil kennt, leider zuerst aber noch immer die Mütter: Da steht der soziale Druck, den Erwartungen seines Umfelds zu genügen im Gegensatz zu dem, was man wirklich leisten kann – während die Erwartungen, die man an sein eigenes Leben stellt, erstmal völlig zurückgestellt oder korrigiert werden müssen. Und irgendwann keimt das Gefühl, dass der eigene Weg doch schon ein okayer sein wird.

„Milcheinschuss“ dürfte deshalb nicht nur für Zuschauer mit Kindern interessant und unterhaltsam sein: Die, die all die absurden, traurigen, lustigen und fragwürdigen Szenen aus „Milcheinschuss“ schon selbst er- und durchlebt haben, wissen: Oh Gott, ja, so anstrengend (und toll) war oder ist das wirklich mit Baby! Ihr Kinderlosen, Ihr habt ja keine Ahnung! Und eben die, die noch keine Kinder haben, aber eines Tages welche wollen, überlegen sich ihren Wunsch nach Bingewatchen der Serie noch einmal sehr genau – oder werden beruhigt sein. Ganz nach dem Motto: „Ach, so schlimm wie darin kann das alles gar nicht werden.“

Wenn Ihr wüsstet!

„Milcheinschuss“ (Originaltitel „The Letdown“), Staffel 1 (7 Folgen á 30 Minuten), seit 21. April 2018 auf Netflix im Stream verfügbar. Staffel 2 ist am 31. Juli 2019 erschienen.

https://www.youtube.com/watch?v=0aVA3PwgJbw
Der Trailer zur 2. Staffel „Milcheinschuss“, im Original „The Letdown“

(Dieser Text erschien in abgeänderter Form zuerst auf Musikexpress.de im Mai 2018)

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