Standing Ovations bei „Father & Son“: Yusuf Islam, besser bekannt als Cat Stevens, spielte am Donnerstag ein umjubeltes Konzert im Berliner Tempodrom, Theaterpause inklusive. Seine Enkeltochter war hörbar auch anwesend.
Wenn ich an den großen Cat Stevens denke, fallen mir zuerst zwei Szenen ein. Die eine ist erst ein paar Jahre alt. Wir besuchten damals die Altstadt von Jerusalem, und am Tempelberg erzählte uns der Reiseführer die Anekdote, dass sie Yusuf Islam, wie Stevens sich nach seinem Übertritt zum Islam nennt, den Eintritt in die heilige al-Aqsa-Moschee und den Felsendom verwehrten. Nicht aber etwa, weil ihnen seine Songs oder seine Klamotten nicht gefielen. Sondern weil Yusuf Islam aus dem Stehgreif nicht den Salāt, das tägliche Ritualgebet der Moslems, aufsagen konnte – sie hielten ihn für einen Schwindler. Die andere Szene ist eine, die sich mutmaßlich bei jedem Kind meiner Generation und der unserer Eltern so ähnlich abgespielt haben dürfte: Als pubertierender Teenager sitze ich mit ein paar Freunden im Keller eines Kumpels. Dosenbier, gerollte Zigaretten, Musik. Es läuft Nirvana, The Police, Bob Marley – und Cat Stevens‘ „Tea for Tillerman“, einem der Alben, mit denen er in den Siebzigern zum Weltstar avancierte.
All das – Stevens‘ Durchbruch und meine Pubertät – ist nun ein paar Jahre her, und ich weiß nicht, welche Musik sich Kid A mal anhören wird, wenn er sich mit Freunden das erste Mal an weichen Drogen oder am Gerede über Mädchen probiert. Vielleicht laufen dann spätere Klassiker wie Arcade Fire oder Bon Iver, schlecht wäre das ja nicht. Aber ob die dann auch immer noch oder wieder auf Tournee gehen werden? Cat Stevens hat das getan, und bis er am Donnerstag, den 20. November 2014, auf der Bühne des Berliner Tempodroms stand, dürften weder ich noch die rund 3000 anderen Besuchern daran geglaubt haben, den alten Mann mit der schönen Stimme noch- beziehungsweise einmal live zu erleben. Seine letzte US-Tour absolvierte er im Jahr 1978, in Berlin trat er dafür zuletzt vor drei Jahren auf.
Und plötzlich, um Punkt 20 Uhr, steht er wieder da. Sonnenbrille, kurze Haare, grauer Bart, Gitarre. Gestreiftes Shirt und Lederjacke, seine sechsköpfige Band trägt das gleiche. Das Bühnenbild gleicht einem verlassenen Western-Bahnhof. Eine Holzhütte, ein paar Verschläge, hinter denen Keyboards, Orgel und Schlagzeug versteckt sind, am Horizont Berge, ein Windrad und viel Wüste. Wenn die Live-Musiker des 68-jährigen Yusuf gerade nicht selber in die Saiten greifen, mimen sie die Statisten am Cowboy-Set. Mit „Morning Has Broken“ und „The First Cut Is The Deepest“ spielt Yusuf früh die ersten Hits aus seiner Zeit als Cat Stevens, aber eigentlich hat der Folkrock-Songwriter ja nur Hits im Ärmel. „Peace Train“, „Sad Lisa“, „I Love My Dog“, Yusuf spielt sie alle, dauert ja auch kaum einer länger als zwei Minuten. Vor „Where Do The Children Play?“ ist ein Baby im Saal zu hören. Seine Enkeltochter sei heute auch hier, erklärt Stevens. Eine Berlinerin übrigens, wie ihre Mutter.
Von der damaligen Dringlichkeit seiner teilweise über 50 Jahre (!) alten Songs ist nicht allzu viel übrig geblieben, über den Nostalgiefaktor funktionieren sie natürlich trotzdem und noch immer wunderbar. Neue Songs – dieses Jahr brachte Stevens sein neues Album „Tell ‚Em I’m Gone“ heraus – kündigt er mit Worten an wie: „This is a history lesson about our civilisation“ und „this new song is dedicated to the end of the Apartheid Regime and to Nelson Mandela“. Der Mann ist offenbar auch nach über einem halben Jahrhundert im Geschäft und nach diversen Kontroversen im Zusammenhang mit seiner Religion noch immer ein Protestliedermacher. Und hey, wenn Stevens sich gerade nicht am eigenen Repertoire bedient, spielt er Cover-Songs, „All You Need Is Love“ etwa von den Beatles, „You Are My Sunshine“ nach Ray Charles‘ Version und „Missunderstood“ von Nina Simone, und die bringen neben Pop, Gospel, Rootsrock, Funk und Folk vor allem Stimmung in die Bude. Bei Sam Cookes „Another Saturday Night“ reißt es auch die letzten der durchschnittlich wohl 50-jährigen Zuschauer – eben all die Menschen, die in den Siebzigern Teenager waren – von den Stühlen, die Stimmung gleicht nun einer Mischung aus Rockkonzert und Kirchentag. Klatschen, schunkeln, jubeln, mitsingen.
Nach knapp anderthalb Stunden Netto-Spielzeit – die 25-minütige Pause (!) verbuchen wir mal hämisch unter vorhergesehener Blasenschwäche aller Anwesenden – beendet Cat Stevens aka Yusuf sein reguläres Set mit „Father & Son“, und jetzt gibt es im Publikum kein Halten mehr. Zu den Zugaben „Don’t Be Shy“, „Wild World“ und „Bitterblue“ stürmen die alten Fans nach vorne, schnell noch ein paar Handy-Fotos von Cat Stevens. Der verabschiedet sich zwar mit den Worten „Hope to see you soon“. Eine Live-Rückkehr dürfte aber in seinem Alter genauso fraglich sein wie die von Stevens irgendwann erwartete Ankunft des „Peace Train“ hier am Tempodrom auf dem Gelände des alten Anhalter Bahnhof. Nostalgie und Zeitreise, wie gesagt.