Wir sind jetzt nicht nur eine Familie, sondern auch eine Zielgruppe. Unterwegs auf der Babymesse „Babywelt“ in Berlin.
Ein grauhaariger Mann mit grünem Poloshirt schafft den ersten Pitch. Ob wir denn schon den automatischen Flaschenwärmer für unterwegs kennen würden, „praktisch und unkompliziert“. Dann unterbricht er sich selbst: „Ach, sie sind Bloggerin?“, fragt er meine Frau und zeigt auf die große grüne Tüte seiner Firma unten in unserem Kinderwagen. „Nein, ich bin die Bloggerin“, sage ich. Den prall gefüllten Sack voller „Goodies“ und „Give Aways“ hatte man mir am Eingang geschenkt, ich kann da leider immer schlecht „nein“ sagen, wenn das Zeug schon vor einem steht*. Der freundliche Verkäufer sollte nicht der einzige bleiben, der uns in der kommenden Stunde seine Produkte oder Dienstleistungen feilbietet.
Die Babymesse „Babywelt“ findet vom 7. bis 9. November in der Arena in Berlin-Treptow statt. „Im Jahr 2013 kamen an den vier Standorten Hamburg, Rhein-Ruhr, München und Stuttgart insgesamt mehr als 485 Aussteller mit über 60.000 Besuchern ins Gespräch“, sagen die Veranstalter. Werdende, junge und ältere Eltern zahlen 10 Euro Eintritt, um sich Produkte und Werbung präsentieren zu lassen. Für das Berlin-Debüt hat sich sogar Collien Ulmen-Fernandes samt ihrem neuen Buch „Ich bin dann mal Mama“ angekündigt, für ihr Bühneninterview sollte sich später keiner so recht interessieren. Für all die Gratis-Beutelchen sehr wohl. Ein Spielzeug-Shop verteilt gelbe Tüten, das Publikum scharrt sich um den Stand wie um die Berliner Maueröffnung vor genau 25 Jahren. Manche Eltern schleppen gleich mehrere der gleichen Tüten umher. Heute ist Sonntag, und wäre das hier ein Rockfestival, es müsste mittlerweile modrig riechen und die Menschen sehr sehr fertig aussehen. Die Luft aber ist nur wegen der Hallenheizung schlecht, und dafür, dass Eltern müde sind, braucht es selbstverständlich keine Babymesse. Und die Aussteller?
Heute sei der Tag mit dem meisten Publikumsandrang, sagt der Flaschenwärmermann. Wie alle anderen „Promoter“ sieht man ihm die zwei vorherigen Tage vielleicht am ehesten daran an, dass er nicht mehr jedes passierende Elternteil aktiv anspricht. Eine ebenfalls sehr freundliche junge Frau, vermutlich hier jobbende Studentin, erklärt uns, wie einfach ein Abo dieses neuen Hochglanz-Magazins für Mütter sei, das sie hier bewirbt. „Ihr seid ja durchaus unsere Zielgruppe“, sagt sie, hoffentlich war das als Kompliment gemeint. Gratis-Exemplare von etlichen Fachzeitschriften liegen hier sowieso überall aus, hilft ja auch der Auflagensteigerung. An anderen Ständen geht es um die sagenhaften Vorteile von neuen Tragetüchern, Baby-Hängematten für den Türrahmen, Jod und Salze für die schwangere Frau, Familienurlaube mit Familienurlaubsveranstaltern, Multifunktionskinderwagen, Schnullern, Fläschchen, das volle Programm eben. Kurz bleibe ich bei einer Dame stehen, die einen Nasensauger für verschnupfte Babys anpreist – das Ding wird tatsächlich an den heimischen Staubsauger angedockt, sorgt gleichzeitig aber für nicht zu viel und nicht zu wenig Saugkraft, „wegen des Unterdrucks“. Krankenhäuser buhlen um Entbindungswillige, Drogerieketten um neue Kundenkarteien, Babysitter-Agenturen und Bekleidungsfirmen um neue Kunden, Hebammen um Unterstützung. Im Hintergrund singt irgendwer „1, 2,3, quak quak“.
Auch der Service kommt nicht zu kurz: In der Arena gibt es unter anderem eine „Wickeloase“, eine „Stilloase“, ein „Coffee Bike“, etwas Catering – für Kleinkinder in Form von Breigläschen sogar umsonst -, eine Hüpfburg, einen Tragetuchverleih, diverse Workshops mit Titeln wie „Pipi im Klo Mexiko“. Für die Kinderbespaßung sorgt unter anderem ein gewisser Herr H. Herr H. singt und tanzt mit den Kindern und sieht aus wie Jürgen Klopp mit längeren Haaren. Oh, schwieriger Vergleich.
Nach Hause gehen wir bepackt mit Magazinen, die wir nur einmal durchblättern werden, mit Luftballons, mit einem Becher der Berliner Wasserbetriebe („Wir testen kostenlos den Bleigehalt in Ihrem Wasser!“) und mit einem gekauften neuen Fieberthermometer, das ein paar Cent günstiger als im Handel gewesen sein dürfte. Kid A fällt an der frischen Luft sofort in Tiefschlaf. Wahrscheinlich ahnt er schon, was sein Vater spätestens jetzt weiß: „Ich bin eine Zielgruppe.“
*bei E-Mail-Anfragen (Verlosungen, Produkttests, Linkplatzierungen und so weiter) bisher zum Glück schon