Monate nach seinem Erscheinen habe auch ich als Vater es endlich geschafft, »Das Unwohlsein der modernen Mutter« zu lesen. Fragen dazu hatte ich Mareice Kaiser schon vorher gestellt. Hier mein Eindruck und ihre Antworten.
Mareice Kaisers Arbeit verfolge ich schon lange. 2014 gründete die Journalistin ihr Blog »Kaiserinnenreich« und schrieb darauf über Elternschaft, Muttersein, Vereinbarkeit und Inklusion. 2016 erschien auf dessen Grundlage ihr Buch »Alles inklusive«, seit März 2020 ist sie Chefredakteurin des feministischen Onlinemagazins »Editionf F«. Mit ihrem Essay »Das Unwohlsein der modernen Mutter« – 2018 in dem mittlerweile eingestellten Onlinemagazin „für junge Erwachsene“ ze.tt vom ZEIT Verlag veröffentlicht – traf sie einen Nerv. Der Artikel machte auch außerhalb typischer Elternbubbles die Runde, wurde viel gelesen, geteilt, kommentiert, auch kritisiert, für den Deutschen Reporterpreis nominiert.
Unter der Einleitung »Versorgerin, Businesswoman, MILF – Mütter sollen heute alles sein. Dass darunter ihr Wohlbefinden leidet, ist kein Wunder« schrieb Kaiser eigentlich nichts Besonderes auf: Sie schilderte zum Einstieg lediglich ihre persönlichen Erfahrungen zum Thema Unvereinbarkeit. Es ging um gerissene Deadlines, das kranke Kita-Kind und die alltägliche Zerreißprobe, allen irgendwie gerecht zu werden, dadurch aber zuletzt sich selbst. Darin erkannten sich offenbar sehr viele Eltern, besonders aber Mütter, wieder. Kaiser spannte den Bogen größer, berichtete von Studien über Mental Health, Armut, Mutterideale und Fürsorgearbeiten. Leser*innen spürten anscheinend: Ich bin nicht allein mit meinen Problemen.
Auf Grundlage dieses Essays hat Mareice Kaiser ein gleichnamiges neues und wichtiges Buch geschrieben. Erschienen ist es bereits im April 2021; dass ich es erst jetzt geschafft habe, das mittlerweile zum Spiegel-Bestseller avancierte Buch zu Ende zu lesen und darüber zu schreiben, sagt womöglich genau so viel über meinen eigenen anstrengenden Alltag als Vater und Arbeitnehmer aus wie über meine Faulheit, aber das nur am Rande. In »Das Unwohlsein der modernen Mutter« geht es in 13 Kapiteln mit so knappen Überschriften wie »Die Arbeit«, »Das Geld« und »Der Sex« darum, was Frauen im Allgemeinen und Mütter im Besonderen heute davon abhält, selbstbestimmt zu leben.
Seine größte Stärke ist es, dass Mareice nicht vom Kleinen, Privaten aus das Große, Politische ändern will, sondern umgekehrt. Sie hält Frauen nicht den Spiegel vor und sagt ihnen zum Beispiel, dass sie mehr Mitdenken, also Abnahme von Mental Load von ihren Partnern einfordern sollen. Sie hält der Gesellschaft den Spiegel vor und sagt Betroffenen damit: Dass du dich unwohl und überlastet fühlst, liegt nicht an dir. Einer Gesellschaft, die, wenn man mal genauer hinsieht, von Männern für Männer gemacht wurde. Mareices Ansatz ist dabei ein mitunter sehr idealistischer. Das ist nachvollziehbar, weil kein Ziel jemals erreicht wird, wenn schon beim Start Kompromisse eingegangen werden; ein Etappensieg ist nicht das Ende das Staffellaufs. Das könnte bisweilen aber auch für Distanz von Menschen sorgen, die nicht so tief »im Thema« stecken: Ihr Ansatz, dass die von ihr geschilderten Probleme alle Elternteile und -formen betreffen und nicht nur verheiratete, weiße Cis-Paare, ist ein theoretisch guter – praktisch dürfte es nicht wenigen Leser*innen schwer fallen, von dem verbreiteten Bild von Mama und Papa aus zu abstrahieren. Inklusiv ist das Buch trotzdem so sehr, wie auf Papier gedruckte Schrift eben inklusiv sein kann: Auf Fremdwörter wird weitgehend verzichtet oder sie werden erklärt, also nicht als Wissen vorausgesetzt.
Das ganze Buch ist gerade für männliche Leser, die sich kritisch mit sich selbst und dem Thema Gleichberechtigung beschäftigen wollen, ein Muss. Eine im vorherigen Absatz angerissene Stelle möchte ich dennoch besonders hervorheben. Gleich im Vorwort »Ich« schreibt Mareice, dass sie oft gefragt werde, ob es in ihrem Buch auch ein Kapitel über Väter gebe. Ihre Antwort: »Nein. Denn alles, was ich zur (Un-)Vereinbarkeit von Familie und Beruf schreibe, gilt für alle Eltern – unabhängig von ihrem Geschlecht. Bei Müttern kommen dann aber noch ein paar Themen dazu.« (Dass der Satz »Ich möchte nicht überall nur halb sein, sondern ganz« auch Vätern aus der Seele spricht, kann ich bestätigen.) Sie findet, dass das Argument, dass Väter deshalb die veraltete Rolle des Ernährers erfüllen, weil sie keine Rollenvorbilder hätten, keines ist. Unter Berufung auf den Autor Till Raether, der das ähnlich sieht, sagt sie: »Die Frauen sind die Vorbilder.« Auch hier wieder: Theoretisch völlig nachvollziehbar – praktisch aber wissen wir doch alle, dass es leider genug Männer gibt, die auf (ihre) Frauen nicht hören, auf andere Kerle aber durchaus. Was übrigens auch ein Grund ist, warum ich ein Buch über ein nicht ganz unähnliches Thema schreibe. Zumal Mareice selbst in Interviews und auf Twitter fordert, dass Nicht-Betroffene sich mit Betroffenen solidarisieren sollen.
»Nicht quatschen, sondern machen. Verantwortung übernehmen. Auch die, die nach Scheiße stinkt oder nach vermeintlichem Uncoolsein.«
(Mareice Kaiser)
Im Vorfeld der Veröffentlichung ihres neuen Buches habe ich Mareice für einen Artikel im Berliner Stadtmagazin »tip«, für mein Blog und für mein Buch ein paar Fragen über Väter gestellt. Hier sind ihre Antworten.
Mareice, Dein neues Buch heißt „Das Unwohlsein der modernen Mutter“. Wo und inwiefern tragen Väter zu diesem Unwohlsein bei?
»In heterosexuellen Beziehungen fünfzig Prozent. (lacht) An einer Beziehung sind ja mindestens zwei Menschen beteiligt und natürlich liegt es an beiden, miteinander ins Gespräch zu gehen und sich zu überlegen, wer was machen will und wie ein gemeinsames Leben aussehen soll – am besten, bevor Kinder dazu kommen. Genau so wichtig ist die Gesellschaft, in der die Beziehung gelebt wird, die Politik, die diese Beziehung möglich oder unmöglich macht. Das muss immer zusammen gedacht werden.«
Moderne Mütter müssten ja, falls nicht zum Beispiel alleinerziehend, auch moderne Väter an ihrer Seite haben. Modern heißt demnach offensichtlich nicht gleichzeitig gleichberechtigter?
»Modern bedeutet in meinem Buch und meinen sonstigen Publikationen vor allem das Versprechen, das in moderner Mutterschaft steckt: You can have it all (Kind, Job, Selbstverwirklichung). Das kann aktuell aber nicht klappen, Scheitern ist programmiert – und damit auch das Unwohlsein.«
Wie können selbst moderne Väter und Partner für mehr „Wohlsein“ sorgen? „Sie tun doch schon so viel!“
»Das geht nur, wenn sie sehr privilegiert sind. Je marginalisierter, desto mehr sind Eltern auf die politischen Rahmenbedingungen angewiesen. Und das ist auch der Grund, warum wir dafür streiten müssen. Und das ist auch der Grund, warum ich nicht über private „Lösungen“ für strukturelle Probleme sprechen möchte. Damit ist nur privilegierten Eltern geholfen.«
Was können Väter tun, um nicht nur Mütter zu entlasten, sondern um einen Wandel voranzutreiben?
»Nicht quatschen, sondern machen. Verantwortung übernehmen. Auch die, die nach Scheiße stinkt oder nach vermeintlichem Uncoolsein.«
Was hätten selbst die egoistischsten Männer davon?
»Das ist die falsche Frage. Es geht hier um Menschenrechte, darum, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das darf nicht abhängig sein vom Geschlecht.«
„Das Unwohlsein der modernen Mutter« von Mareice Kaiser ist am 20. April 2021 erschienen. Hier könnt Ihr es kaufen (Affiliate-Link) – oder direkt bei beim Buchhandel Eures Vertrauens.
Ein Gedanke zu ”Was Mareice Kaiser in »Das Unwohlsein der modernen Mutter« über Väter sagt“