Ein paar erinnernde Worte*: Meine Kirchenrede zum Tod meines Großvaters, dem Uropa unserer Söhne. Ende Januar wäre er 86 Jahre alt geworden, starb aber im Dezember 2013 überraschend kurz vor seinem 80. Geburtstag. Seine Frau Maria folgte ihm vier Monate danach.
Wenn ich an Opa denke, fällt mir als ältester Enkel zuerst eine jüngere Geschichte ein: Es war im Juli 2012, Ines und ich feierten unsere Hochzeit in Wrechen an der mecklenburgischen Seenplatte. Oma und Opa reisten die 700 Kilometer zusammen mit dem Auto an, anstatt gemeinsam mit anderen Gästen – Opa wollte das so und zog das durch, er hatte sich die Fahrt so in den Kopf gesetzt. Und so saßen beide schliesslich wohlauf mit Freunden von uns und Familie an einem Freitagabend im Sommer am Lagerfeuer, die Sonne ging gerade unter, ein wenig kalt war es schon, als Opa das Wochenende quasi offiziell eröffnete: „Ouzo für alle!“, rief er, und wer wollte da schon nein sagen? Seine Geselligkeit, Zuversicht und Ruhe waren schon immer ansteckend. Eine Woche haben Oma und Opa schließlich dort verbracht, es war ihre letzte größere Reise.
Meine älteste Erinnerung an Opa, von mir als Kind? Vielleicht Weihnachten oben im Wohnzimmer, das flackernde Licht der Krippe, das Moos, das Wasserspiel – und Opa daneben auf dem Fernsehsessel, auf dem ich als erster Enkel sogar noch „Oma Ur“ sitzen sah. Ich erinnere mich aber auch noch an Opa auf seinem Stammplatz auf der Eckbank in der Küche, wo er seinen Tee mit Strohrum trank – aber „nur in den Monaten mit R am Ende“! An den Firmenkeller, an sein Büro, an Dia-Abende, an die Feuerwehrpumpe im Flur, die noch immer da hängt, an das Stickbild des gruseligen Försters, an Schwimmengehen am Sonntagmorgen. Und davor, am Samstagabend, durfte ich lange wach bleiben und „Wetten, dass…?“ und „Alles Nichts Oder“ mitgucken. Auch wenn ich da vermutlich nicht mehr ganz so klein war.
Sieben Kinder und deren Partner, elf Enkel und ein Urenkel zum Zeitpunkt dieser Rede, das heißt noch mindestens 19-mal mehr etliche Geschichten wie diese. Die Kinder etwa erzählen von Käserinde, mit der Opa mit den Enkeln die Vögel fütterte; von Kirmesgeld, mit dem ihr Vater spendabel war; von seiner Hausbauhilfe. Von seiner Akribie beim Papierkram, von seinen detailgenauen Notizen und Buchführungen von Stammbaum, Münzsammlungen, Zeugnissen der Enkel und so weiter. Davon, dass er eine Naschkatze war und kein Eisbecher vor ihm sicher war.
Arbeitstitel Heribert
Die anderen Enkel erinnern sich zum Beispiel daran, wie sie mit Opa gemeinsam Rasen mähten, an seine Niesanfälle (oft nach zu viel Eis), daran, dass Opa beim samstäglichen Suppenessen immer den saubersten und größten Teller hatte, dass sie ihm Süßstoff in den Tee klicken durften, an seinen Feuerwehreinsatz, an gemeinsames Fernsehgucken von Formel 1, Domino Day und „Deutschland sucht den Superstar“ und wie Opa dort, beim DSDS-Telefonvoting, im Namen der Enkeltöchter für deren Favoriten anrief. An Reiseerzählungen, an seine Ordentlichkeit. Daran, dass er sogar im Auto, wenn er mal Bremsen musste, buchstäblich seine schützende Hand über beziehungsweise vor Einen hielt.
Angeblich, sagte neulich wer, wäre Opa früher wohl auch gerne Förster geworden. „Deswegen war er mit uns andauernd im Wald“, erklärte sich mein Vater Thomas. Und wer weiß: Vielleicht wäre die Emmers GmbH (Elektro, Gas, Wasser) dann heute ein Wald-und-Wiesen-Betrieb. Von Opa wäre sie und die Geschichte der Familie dennoch geprägt worden.
Der Nenner bei all den Erinnerungen der Kinder und Enkelkinder ist nämlich immer der gleiche: Opa war stets lebensfroh, gesellig, aktiv, Herr der Dinge, ein Macher, ein Helfer. Man darf also davon ausgehen, dass Opa sich auch nach seinem Tod seinen Optimismus bewahrt hat – aus unserem Leben lässt er sich nämlich nicht reißen. Wir alle haben unsere Erinnerungen und Geschichten mit und über ihn, und so viele gibt es nur, wenn man so viele Kinder und Enkelkinder hat, und eine Familie, die sich versteht und respektiert. Kid A, Omas und Opas erster Urenkel, hat Opa wegen der Entfernung leider nicht mehr persönlich kennengelernt. Dafür gerade jetzt, am Wochenende vor dieser Beerdigung, Uroma Mia, mit der er hoffentlich von nun an noch viele eigene Geschichten und Erinnerungen wird sammeln können. Aber auch er hat mindestens eine Geschichte, die ihn mit Opa verbindet: Schließlich nannten wir Kid A, solange er noch im Bauch und nicht auf der Welt war und keinen wirklichen Namen hatte, Heri – als Kurzform für Heribert, wie Opa Herbert laut Pass hieß.
Herbert Emmers, ein waschechter Wankumer
An dieser Stelle muss noch ganz kurz eine nicht ganz unwichtige Frage gestellt werden: Wie kam es überhaupt zu so vielen Kindern und Enkeln? Vor ein paar Tagen haben wir bei Oma nochmal nachgefragt: Wie war das eigentlich damals, mit Opa? Wie habt Ihr Euch kennengelernt? 1954 war das, erinnerte sie sich, hier in Wankum. Oma machte, damals noch als Maria Heussen, in Straelen eine Metzgerlehre und arbeitete dafür hier in Wankum. Opa war ein waschechter Wankumer, und sie waren irgendwann in der gleichen Clique, im Freundeskreis, und landeten so gemeinsam beim Tanzkurs im Haus Peuten. Ob Opa sie zum Tanz gebeten hat? Iwo, winkt Oma ab, man tanzte halt gemeinsam! Dass Maria dem Heribert aber doch bitte mal nicht länger die kalte Schulter zeigen sollte, darauf machte sie Heinz Strouwen aufmerksam, sagt sie. Bis dahin habe sie schlichtweg nicht gemerkt, dass Herbert ihr Avancen machte. Das Ergebnis – die Hochzeit fünf Jahre später, die Goldhochzeit 50 Jahre später, die sieben Kinder, elf Enkel und ein Urenkel dazwischen und seitdem, sind Familien- und auch ein Stück Dorfgeschichte.
In gut zweieinhalb Wochen wäre Opa 80 Jahre alt geworden. Er feiert ihn nun woanders – und wir Omas 80. in drei Jahren sowie die nächsten 80 dafür umso größer!
Der Tod kommt bekanntlich so gut wie nie gelegen. Opa, Papa, Uropa war trotzdem vorbereitet. Wäre ja gelacht gewesen, wenn er sich davon hätte unterkriegen lassen! Jetzt wäre man deshalb in seinem Sinne – wer Opa kannte, der weiß, wie gerne er gefeiert hat – fast dazu geneigt, „Ouzo für alle“ zu fordern. Naja, der Anlass mag vielleicht nicht ganz der richtige dafür sein, aber neben der Trauer, die uns begleiten darf und soll und muss, müssen wir wirklich nicht zu viel Trübsal blasen. Sondern Dankbarkeit spüren und weitergeben, dass Opa ein so erfülltes Leben leben durfte und wir alle ein Teil davon waren, sind und gemeinsam mit Oma Mia weiterhin sein dürfen. Danke für alles, Opa und Oma.
(*Dieser Text wurde im Namen der Enkelkinder verfasst und in geänderter Fassung während der Beerdigung am 6. Januar 2014 vorgetragen)
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