„Kleine Germanen“ im Kino: So züchten Sie waschechten Neonazi-Nachwuchs heran

Lehr- und Zerrbild einer menschenverachtenden Ideologie, deren Vertreter das Gegenteil behaupten: In „Kleine Germanen“ erzählen zwei Filmemacher die traurige und wahre Geschichte eines Mädchens, das nicht aus seinem Neonazi-Umfeld ausbrechen konnte. Wie ein unfreiwilliger Werbefilm für die Erziehung nach NS-Methoden wirkt die Dokumentation stellenweise trotzdem. Und wie ein Wimmelbild.

Ausschnitt aus dem Filmposter von „Kleine Germanen“ (Little Dream)

„Alles beginnt mit der Erziehung“. Mit diesem Satz beginnt die anderthalbstündige deutsch-österreichische Animations-Doku „Kleine Germanen“, die im Februar auf der 69. Berlinale gezeigt wurde und vom 9. Mai 2019 an in ausgewählten Kinos läuft. Mit dem Nachtrag „Und alles endet mit der Erziehung“ müsste dieser theoretisch wichtige Film enden. Das tut er zwar gefühlt. Gesagt wird dazwischen von einschlägigen Protagonisten aber viel zu oft das Gegenteil. 

In der animierten Anfangssequenz nimmt Elsas Schicksal seinen Lauf: Als Kind verbrachte sie viel Zeit mit ihrem Großvater. Während ihre Eltern Thorsten und Marit sich stritten oder arbeiten gingen, spielte Opa Babysitter. Er entpuppte sich schnell als strammer Nazi. Mit seiner Enkelin spielte er am liebsten „Bolschewiken erschießen“ und brachte ihr Durchhalteparolen wie „Ein Soldat kennt keinen Schmerz“ und „Aufgeben ist für Feiglinge“ und Angst vor allem Fremden bei. Über die Jahre, so berichtet Elsa, die eigentlich anders heißt, aus dem Off, habe sie so richtige Angst vor Juden entwickelt, obwohl sie nie einen getroffen habe. Sie lernte „Mein Kampf“-Zitate auswendig und bekam Kinderbücher und -serienverbot, „alles Feindpropaganda“. 

Cut. 

Die Regisseure Frank Geiger und Mohammad Farokhmanesh besuchen Ellen Kositza und Götz Kubitschek in ihrem Haus in Sachsen-Anhalt. Die Eheleute – sie rechte Journalistin, er Verleger und Aktivist – sind Eltern von sieben Kindern und so was wie die inofiziellen Pressesprecher der Neuen Rechten. Auf Demonstrationen skandieren sie Parolen, im Interview geben sie sich besonnen, aufgeklärt und voller Nächstenliebe. Sie berufen sich auf christliche Werte und sagen nahezu romantische Sätze, gegen die man selbst als Elternteil mit gesundem Menschenverstand nichts sagen kann. „Unsere Kinder sollen viel in der Natur spielen“, „Wir wünschen uns, dass sie immer Miteinander sind“, „Kinder sind das Wichtigste, das wir haben“, solche Sachen. Klar, unterschriebe ich als Vater alles sofort – wenn ich nicht wüsste, dass selbst diese Allgemeinplätze in NS-Ideologie münden und aus ihr entwachsen wären. 

Zu viele Stimmen, zu wenige Zahlen

Im weiteren Verlauf von „Kleine Germanen“ tritt die Widersprüchlichkeit dieser leider alles andere als ausgerotteten Ideologie noch eindeutiger hervor: Kinder sind so wichtig, sagen die neuen Rechten, die unter anderem illegale, völkische Ferienlager erst in Frommhausen, Eschede oder Grabow und danach in Schweden und Tschechien errichteten – und impfen ihnen gleichzeitig nichts als Angst ein. Vorm Fremden, vorm Tod und davor, dass der Feind morgen vor der Tür stehen und ihnen alles nehmen könnte. Sie ziehen ihre Kinder im Winter zu kalt an und geben ihnen nicht genug zu Essen. Nicht, weil sie es sich nicht leisten könnten, sondern zur Abhärtung.

Lernt von ihrem Opa, wer angeblich der Feind ist: Elsa in „Kleine Germanen“ (Little Dream)

Das Problem von „Kleine Germanen“ ist nicht, dass diese Erziehungsmethoden nicht infrage gestellt oder gar glorifiziert würden. Die Doku kommt nur leider mit viel zu vielen Stimmen und Theorie und zu wenig Faden und Einordnung daher. Hier eine unvollständige Übersicht darüber, wen die Filmemacher so interviewt und mit verschiedenen Statements in 90 Minuten gequetscht haben: Alexander Linger, ein Aussteiger aus der rechten Szene. Prof. Dr. Michaela Köttig, Sozial- und Rechtsextremismusforscherin. Martin Sellner, Sprecher der rechtsextremen Identitären Bewegung Österreichs. Ricarda Riefling, Parteivorstandsmitglied der NPD und Mutter vierer Kinder. Bernd Wagner, Kriminalist und Gründer von der Aussteiger-Initiative Exit Deutschland. Judith Goetz, Politikwissenschaftlerin aus Wien. Andreas Peham, österreichischer Rechtsextremismusforscher. Verena Fabris, Leiterin der Beratungsstelle Extremismus in Österreich. Dr. Gudrun Heinrich, Leiterin der Arbeitsstelle Politische Bildung an der Universität Rostock. Sigrid Schüssler, PEGIDA-Rednerin und „hauptberuflich“ Mutter von vier Kindern, die lachend und im Nebensatz erzählt, dass sie gerade vor Gericht stehe. Ihr kommt nicht hinterher? Der noch so interessierte Zuschauer von „Kleine Germanen“ auch nur schwierig. 

Götz Kubitschek: „Es hat etwas Irrationales, so zu sein“

Auch wenn eine journalistische Dokumentation nicht werten, sondern abbilden soll (und schon durch die Auswahl des Abgebildeten ja doch wertet): In den Interviews beziehungsweise den gezeigten Auszügen hallt den rechten Protagonisten viel zu wenig Kritik entgegen. Kein Contra, keine Gegenfrage, was vielleicht Teil der Interviewzusage war. Götz Kubitschek lässt immerhin selbst die fahrlässige Selbsteinschätzung zu, dass es schon „etwas Irrationales“ habe, „so zu sein“. Im Grunde ist „Kleine Germanen“ somit auch nur eine weitere Plattform für gefährliche -ismen und menschenverachtende Ideologien – obwohl Verschweigen natürlich auch keine Option ist und sein darf. Die in zahlreichen animierten Sequenzen weiter erzählte, wahre und sehr tragische Geschichte von Elsa, ihren Eltern sowie ihrem kleinen Bruder Herrmann, der am Down-Syndrom erkrankt ist und deshalb innerhalb der sogenannten Kameradschaft ein Problem für seine Eltern darstellt wäre einen eigenen Film wert gewesen, wenn deren Protagonisten denn darüber reden wollten, dürften oder könnten. 

Was „Kleine Germanen“ zudem leider völlig fehlt (oder unter den Tonnen recherchiertem Material unterging), sind Zahlen und Statistiken. Wie viele Kinder leben wohl wirklich so? Ist Elsas Schicksal ein extremer Einzelfall oder einer, der unter den Neuen Rechten Schule macht? Gibt es wenigstens Dunkelziffern oder Einschätzungen? Wir lernen, wie ernstzunehmend Radikalisierung ist und wie schwierig bis unmöglich ein Ausstieg aus einschlägigen Szenen sein kann. Wie viele unschuldige Kinder von einer derart gefährlichen Erziehung betroffen sind, lernen wir nicht. Oder haben es im Wimmelbild der Stimmen überhört.

„Kleine Germanen“ (Verleih: Little Dream), FSK 12, seit 9. Mai 2019 im Kino 

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