Was ich auf der Blogfamilia 2016 unter anderem gelernt habe: Die Frage nach der Qualität von Hasskommentaren ist auch eine Frage nach dem Geschlecht der Betroffenen. Versuchen wir es doch mal mit Liebe.
Es gibt viele Gepflogenheiten innerhalb der sogenannten Elternblogosphäre, die mir zuwider sind. „12von12“, „Wochenende in Bildern“, „Liebster-Awards“ und andere Kettenbriefe, zum Beispiel. Ich verstehe nicht, was potentielle User, die mich nicht persönlich kennen, an Schnappschüssen interessant finden sollen, die man sonst bei Instagram raushaut. Auch wenn das offenbar für andere funktioniert. Auch die ach so wichtige und unter anderem durch genannte Aktionen vorangetriebene Vernetzung mit anderen Bloggern habe ich bisher vorsätzlich vernachlässigt. Sind doch eh fast alles nur gelangweilte/langweilige Mütter (und Väter), so mein chauvinistisches Pauschalvorurteil. Aber hey: Diese Dinge kann ich ruhigen Gewissens ausblenden. Im Vergleich zu Hasskommentaren. Die nerven aus gewichtigeren Gründen, aber ich musste mich noch nie als direkt Betroffener – mit milden Ausnahmen wegen der Böhsen Onkelz und wegen Facebook-Jobkrams, der nicht gegen mich persönlich ging – damit auseinandersetzen. Woran das liegen könnte, habe ich erst während der diesjährigen Blogfamilia-Diskussionsrunde zum Thema „Hate Speech“ gelernt, an der ich neben Mareice Kaiser und Nicole von Horst aktiv teilnahm.
Als vor ein paar Monaten die Anfrage der Blogfamilia-Veranstalter dazu kam, habe ich mich gefreut. Eigentlich sollte es um „Hate Speech“ und „bezahlte Meinung“ gehen. Zwar konnte ich mir nicht so recht vorstellen, wie zwei so große Themen in einer Stunde hinreichend diskutiert werden könnten. Aber immerhin zum zweiten Punkt hatte ich nicht nur eine Meinung, sondern als Journalist, Onlineredakteur, Hobbyblogger und Blogleser auch täglich direkt damit zu tun. Auf der Blogfamilia kam es denn, wie es kommen musste: Moderator Thomas Guntermann tat das Richtige, konzentrierte die Runde und das Publikum auf „Hate Speech“ allein- weil es wichtig war – und ich als weitgehend unbetroffener Zaungast fungierte als Randfigur der Runde. „Kleinerdrei“-Autorin Nicole erinnerte an die Entstehung und die Auswirkungen von #aufschrei. Mareice las ein paar besonders üble Kommentare vor, die sie auf ihrem inklusiven Familienblog „Kaiserinnenreich“ bekam („Mißgeburt“, „selber Schuld“, solche Sachen) und plädierte für ein offensives Miteinander: „Liebe ist stärker als Hass“, argumentierte sie so optimistisch (um nicht naiv zu sagen, dann hätte man ja bereits aufgegeben) wie kampfesstark, bei ihr waren es ihre Leserinnen und Leser, die den Hasskommentatoren Einhalt geboten. Ein Punkt, an dem sich auch Bloggerin Bea Beste aus dem Publikum meldete und ebendazu aufrief: Zusammenhalt, um dem Hass und seinen Absendern Einhalt zu gewähren. Ein Wunsch, den einen Tag zuvor Kübra Gümüsay auf der re:publica 2016 unter dem Titel „Organisierte Liebe“ wie folgt formulierte:
Eine genauere Zusammenfassung des Panels kann ich schon deshalb nicht liefern, weil ich nicht im Publikum, sondern auf der Bühne saß. Zuhören und seine Gedanken für eine möglichst gehaltvolle Wortmeldung zu sammeln ist anstrengender als zwei Kinder gleichzeitig zu wickeln, während sie kotzen! Besonders erinnere ich mich aber an zwei Momente: Der eine war der, als „Nieselpriem“-Bloggerin Henrike Voigt sich ausführlich zu Wort meldete und von dem lähmenden Gefühl sprach, das sie seit Jahren begleitet. Sie bloggte damals immer wieder mal über ihren autistischen Sohn. Postings, die „allerlei komische Personen mit seltsamen Statements auf den Plan riefen“ und sie dazu veranlassten, Autismus nicht mehr explizit zu beschreiben. „Hass und die realen Auswirkungen meines virtuellen Engagements und die Angst, die diese schlussendlich hervorgerufen haben“ gab es aber wegen einer Aktion von ihr gegen Fremdenfeindlichkeit namens „Dresdner Gesichter“. Sie erntete Drohungen in einem Ausmaß, das sie schließlich dazu bewog, ihre Postings zu löschen. Egal ob sie nun offensiv, defensiv oder gar nicht damit umgegangen wäre: „Ich fühle mich alleine“, resümierte sie so ehrlich wie frustrierend.
Der andere Punkt schloss unmittelbar an den davor an: Auf meine Frage, ob Henrike in der Zeit nachdem sie den Stecker zog nicht auch eine gewisse Erleichterung gespürt habe, dass der Stress jetzt ein Ende habe, kam Mareice ihrer Antwort zuvor: „Warum bloggst Du?“, fragte sie mich unvermittelt und fordernd von der Seite. „Weil ich gelesen werden will“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Und eben deshalb fühle es sich doch so an, als habe man verloren und aufgeben, so Mareice, weil man aufgeben musste. Got it. Und damit die Dämmerung: Ich war eben wirklich noch nie davon betroffen und habe keine Ahnung. Aber warum nicht?
Als Moderator Thomas mir genau diese Frage stellte, spekulierte ich, dass meine Themen und deren Umsetzung ja nun meist „bedingt brisant“ seien, worauf ich einen Lacher von Stammleserin und Ex-Kommilitonin Bettina Apelt („Frühes Vogerl“) einheimste. Ich nehm‘ das mal als, äh, Kompliment. Auch sei die Leserzahl meiner Postings natürlich in der Regel überschaubar, dachte ich weiterhin laut über die Gründe nach, warum mir so wenig Hass entgegenschlägt. Beides durchaus Argumente, glaube ich. Der wahre Grund aber ist vermutlich ein anderer: Ich bin ein Mann und keine Frau.
Auf „Spiegel Online“ etwa schrieb Margarete Stokowski einen offenen Brief an ihren unbekannten Hater, dessen Botschaften vor Sexismus und Gewaltfantasien nur so strotzten. Moderatorin Dunja Hayali veröffentlichte auf Facebook einen Brief voller Hass, Beleidigungen, Grammatik- und Rechtschreibfehlern – inklusive ihrer Korrekturen. Gagautor Micky Beisenherz kriegt auch böse Briefe, aber hey, einer wie er muss sich natürlich auch nicht wundern. Ist ja sein Job, es auf Ironie und Provokation anzulegen.Trotzdem legen die Beispiele von Mareice Kaiser, Nicole von Horst, Henrike Voigt, Dunja Hayali, Margarete Stokowski und viel zu vielen weiteren Betroffenen nahe, was auch Patricia Cammarrata über das „Blogfamilia“-Panel schrieb: Mit Humor kommt man von einem gewissen Härtegrad an nicht mehr weiter.
Eine gute Nachricht gibt es, neben dem Aufruf zu mehr Liebe, dennoch: Hasskommentare im Netz sollen auch oder gerade abseits von Facebook nicht mehr folgenlos bleiben, die Polizei diverser Bundesländer hat eine sogenannte Internetwache eingerichtet.
Und während ich da so saß, auf der Bühne der Blogfamilia 2016, die Podiumsdiskussion längst zur Publikumsdiskussion geworden war und sich auf Twitter ein paar Idioten daran machten, das Hashtag #Blogfamilia für Hass und Trolling zu mißbrauchen, gab mir Mareice Kaiser ungewollt noch eine Hausaufgabe mit. „Vielleicht bloggst Du ja morgen darüber!“, sagte sie, als es um unsere verschiedenen Erfahrungen und verschiedenen Geschlechter ging. Was hiermit, wegen der Geburt von Kid B nur ein paar Wochen später, getan wäre. Immerhin ein Anfang.
Danke für deine Offenheit und diesen Anfang. <3
Danke auch hier <3