Bevor Kid A zur Welt kam, war die Sache eigentlich klar: Unser Sohn soll gerne früh, viel und verschiedene Musik hören. Rhythmus, Bewegung und in dreieinhalb Minuten verpackte Emotionen gehören schließlich nicht nur zu einem guten Kinderleben dazu. Ich wollte es so halten, wie Josef Winkler einst in seiner Musikexpress-Kolumne „Hirnflimmern“ schrieb:
„Auf See, vor Gericht und beim Musikgeschmack deiner Kinder bist du in Gottes Hand. Aber man kann es doch zumindest anfangs noch etwas steuern, und ich stehe immer wieder fassungslos vor der Kamikaze-Attitüde jener Eltern, die lemminggleich gedankenlos die Büchse der Pandora aufreißen und – oft genug noch ohne Not – ihren Sprösslingen die erstbesten bzw. meistbeworbenen Schrecklichkeiten aus dem rosahellblauen Meer der Kinderschundmusik auftischen. Oder eben nicht eingreifen, wenn popkulturell verwirrte Omas und Onkel den Schrott ins Haus tragen.“
Recht hat er: Die kindlichen Geschmacksverirrungen kommen früh genug, spätestens in der Pubertät. Man kennt das von sich selbst. Warum also nicht mit den Beatles anfangen? Ich erinnere mich noch gut an den Optimismus und die Hoffnung, als Kid A das erste Lied seines Lebens hörte: Im Familienzimmer des Krankenhauses spielte ich ihm widerstandslos „Caught In The Briars“ und „The Desert Babbler“ von Iron & Wine vor. Ich hatte es ja nur gut gemeint.
Die Realität nach rund zwei Jahren Elternschaft sieht leider anders aus: Die CDs zieht Kid A, seit er krabbeln kann, wahllos aus dem Regal, das improvisierte Fliegengitter (siehe Foto) hielt ihn nur solange davon ab, wie er nicht stehen und laufen konnte. Jeder Versuch, eine dieser zufällig ausgewählten Musiken einzulegen und länger als 30 Sekunden abzuspielen, scheitert daran, dass der Junge solange an den Knöpfen der Anlage oder Anrainer-HiFi-Geräten herumdrückt, bis er oder wir die Geduld verlieren. Da kann nun die Musik nichts für, aber eine ernsthafte Chance kriegt sie so auch nicht.
Es ist ja nicht so, als würde das Kind Melodien nicht wahrnehmen: Das Spreeradio-Jingle (fragen Sie nicht) macht er fröhlich nach, die aufgesetzten Lacher der Moderatoren auch. Zum Schlafengehen singen wir ihm von Geburt an die Standards „La Le Lu“, „Alle Leut’“, „Twinkle Twinkle Little Star“ und „Guten Abend, gute Nacht“ vor. In der Kita beginnt täglich jeder Morgenkreis mit „Komm und spiel mit mir“, gegenseitiger Begrüßung und Gassenhauern wie „Die Räder vom Bus“ und „Der kleine Frosch“, gefolgt von Gehüpfe und Getanze. Manchmal trommelt es sogar auf seiner oder meiner Gitarre herum. Aber kann das alles sein?
Die Auswahl wird jetzt, zur bevorstehenden Weihnachtszeit, nicht einfacher. Meine Frau wehrt sich gegen den von mir aus nostalgischen Gründen geschätzten Rolf Zuckowksi. Immer wieder erreichen mich private oder PR-Mails mit anderer gut gemeinter Kindermusik, zuletzt etwa die sogenannten „Lauschelieder“. Und gerade heute erst hat mir ein Kumpel, Vater zweier Söhne, „zwei heiße Kinderscheiben“ zugeschickt. Die eine heißt „Sehnsucht nach Weihnachten“ von, Achtung, Rolf Zuckowski & seine Schweizer Freunde, die andere ist die Hörbuchversion der „Wieso Weshalb Warum“-Junior-Reihe „Unser Baby“. Muss man da am Ende doch gemeinsam durch?
Einen ersten Lichtblick gab es vor einiger Zeit dennoch: Beim Kidzapalooza, dem Kinderfestival im Rahmen des Lollapalooza Berlin auf dem Tempelhofer Flugfeld, trat unter anderem eine Band namens Deine Freunde mit ganz schön unterhaltsamem HipHop für Kinder auf. Ich kannte sie vorher nicht und lernte nachher, dass die drei Hamburger bereits zwei Alben draußen haben (und ab dem 27. November ihr drittes, „Kindsköpfe“), unter Kids und ihren Eltern eine ziemliche Nummer sind und dass einer der MCs, der mir die ganze Zeit so bekannt vorkam, früher mal bei Kim Franks Teenie-Band Echt Schlagzeug spielte. Das Beste daran war aber: Auch Kid A hat die Show und das Drumherum gefallen – zumindest für 15 Minuten und auf meinen Schultern! Und das, obwohl er selbst für Deine Freunde eigentlich noch zu klein ist.
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Vielleicht, ganz vielleicht besteht also doch noch leise Hoffnung auf ein Familienleben mit mehr als nur Radio und „Kinderschundmusik“.
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