Lesetipp: Thees Uhlmanns „Sophia, der Tod und ich“

Liebe, Leben, Fußball, Tod und Vaterschaft: Thees Uhlmann hat ein kurzweiliges Buch über existentielle Ängste und Freuden geschrieben – und verliert sich an fast keiner Stelle in Tomte’schem Pathos.


Eigentlich schreibt Thees Uhlmann Lieder. Über die Schönheit der Chance, seinen Hund, New York, Korn und Sprite oder laichende Lachse. Über 20 Jahre lang tat er das als Sänger von Tomte, seit fünf Jahren und zwei Alben solo mit neuer Band. Neben diversen Texten für die einschlägigen Musikmagazine Deutschlands hat der heute 42-jährige Uhlmann 2001 bereits ein Buch geschrieben, die Tourtagebücher von Tocotronic „Wir könnten Freunde werden“. „Sophia, der Tod und ich“ aber ist sein erster* Roman, und der ist unterhaltsamer als erwartet.

Der namenslose Ich-Erzähler lebt ein sehr durchschnittliches Leben. Als Pfleger arbeitet er in einem Heim, in dem er einst seine spätere Ex-Freundin Sophia – die Tochter eines dort lebenden Rentners – kennenlernte. Außer Fussballgucken und seinem Sohn, den er mit der Frau vor Sophia bekam und den er seit sieben Jahren nicht mehr sehen durfte, Postkarten zu schreiben, kriegt er nicht mehr als nötig auf die Kette. Bis er eines Tages ungebetenen Besuch bekommt: Der Tod steht vor seiner Tür und erklärt, er habe nur noch drei Minuten zu leben. Aus anfangs unerfindlichen Gründen kann der Tod – Deckname Morten de Sarg – sein nächstes Opfer aber nicht auf der Stelle um die Ecke bringen. Also geht er mit dem Ich-Erzähler und Sophia in die Kneipe, reist später mit zu dessen Mutter und erkennt, worin die wahre Aufgabe für ihn hier liegt: Es gibt einen neuen Bewerber auf seine Stelle, der Tod muss sich beweisen. Was folgt, ist ein Road- und Buddymovie aus Kindheitserinnerungen, Gegenwartsbeobachtungen und Zukunftsängsten, in dem zwischen Lakonie, Lethargie und Liebe viel passiert, vieles aber auch nicht.

Eigentlich müsste „Sophia, der Tod und ich“ „Sophia, der Tod, meine Mutter, mein Sohn und ich“ heißen. Der mitunter wahnwitzige Roman ist nämlich mehr als nur ein Roadmovie. Er erzählt eine Geschichte über Existentialismus und Alltag, über Familienbanden und, vor allen Dingen, über die Liebe eines Vaters zu seinem Sohn – auch wenn er ihn sieben Jahre nicht mehr gesehen oder gesprochen hat. Wenn er schon sonst nichts tut, weil er angeblich nichts tun kann: Der Ich-Erzähler schreibt seinem Sohn besagte  Postkarten, auf denen er in Wort und Zeichnung sein Leben mit ihm teilt, ohne umgekehrt irgendetwas zu erfahren. „Und ich bemerkte, dass es stimmte, was man über Eltern sagte“, erkennt der Ich-Erzähler an einer anderen Stelle. „Dass ein Gefühl alle anderen überragt und wie aus einer anderen Welt über einen kommt: das Gefühl, dass man ohne zu zögern sofort sein eigenes Leben für das seines Kindes eintauschen würde.“ All das ist rührend, ehrlich und abstoßend zugleich. Weil man sich als anwesender Vater beim Lesen fragt, warum es sich dieser Typ in seiner Situation wohl oder übel so bequem macht, und sich gleichzeitig in dessen Selbsterkenntnissen wiederfindet:

Mit Thees Uhlmann dem Tod ins Auge schauen

Am Ende läuft alles auf den großen Showdown zwischen Leben und Tod hinaus. 313 Seiten hat Thees Uhlmann gebraucht, um seine Figuren an den Abgrund zu bugsieren, auf den sie schon von Seite 1 an hinstolpern. Aber mit wieviel Witz, Situationskomik, Galgenhumor, Reflexion, Ironie und Aufrichtigkeit und wenigen Längen der Musiker und Autor das hinkriegt, darf verwundern: Dass er launig und leidenschaftlich erzählen kann, das wusste man. Dass er erfundene Geschichten so kurzweilig aufschreiben und mit Lebenswahrheiten abgleichen kann, nicht.

Thees-Uhlmann-Sophia-der-Tod-und-ich-CoverEs braucht deshalb rund 30 Seiten, um den Eindruck loszuwerden, dass der sehr gerne sehr viel (von sich) redende und große Gesten liebende Uhlmann in „Sophia, der Tod und ich“ eben doch sein Leben aufschreibt – in Interviews musste er immer wieder das Gegenteil betonen. Von ein paar Gemeinsamkeiten zwischen Uhlmann und seinem Protagonisten weiß man aber schon: Beide stammen aus dem Norden Deutschlands, beide zogen aus der Provinz weg. Beide sind Fans von Fußball und von Granulatkaffee. Beide haben ein Kind, das nicht bei ihnen lebt. Und über die Mutter des Ich-Erzählers gab Uhlmann längst zu: „Da ist auf jeden Fall meine Mutter drin, aber da ist auch mein Vater drin.“ Aber geschenkt – wovon soll man sich denn sonst inspirieren lassen, wenn schon nicht vom Leben selbst? Die Passagen des Buches, deren Action und Zwischenmenschlichkeit er so nicht in den eigenen Erfahrungen und Beobachtungen fand, zog Uhlmann sich mutmaßlich aus Comics, Horror- und Endzeitfilmen.

Das Erfrischendste an „Sophia, der Tod und ich“ aber ist nicht allein, wie relativ stringent, feingliedrig und zielgerichtet Thees Uhlmann eine Geschichte erzählen kann. Es ist die fast vollständige Abwesenheit von Pathos, das Uhlmann mit Tomte stets so zelebrierte. Nur mit dem Tod, der sich als Menschenfreund geriert, geht das Pathos manchmal durch, in seiner Showdown-Rede zum Beispiel. Weiß Uhlmann natürlich selbst, schließlich sang er schon vor Jahren im Tomte-Song „Küss mich wach, Gloria“: „Du nennst es Pathos, ich nenn‘ es Leben.“

*und bereits 2015 erschienener Roman, der auch in den Jahresbestenlisten diverser Popmagazine oben mitmischte. Ich kam halt erst jetzt dazu, ihn zu lesen. Kinder, Arbeit, Netflix, Ihr wisst schon.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Zurück nach oben