Mehr als nur Gadgets: Smartphones und Laptops gehören seit über 15 Jahren zum beruflichen und privaten Alltag der meisten Erwachsenen. Wieso also sollten Werkzeuge wie diese nicht auch gewinnbringend von Kindern genutzt werden? Als Vater zweier Schulkinder kenne ich die Krux des Für und Wider, die Abwägung aus eigener täglicher Erfahrung – und fragte mich für meine Kolumne beim Deutschen Schulportal selbst und Expertin Inke Hummel, was die Zukunft meiner Söhne auf diese Weise mit sich bringen wird.
+++ Diese Kolumne ist zuerst am 12. Januar 2024 beim Deutschen Schulportal erschienen. +++
Eine der stressigsten von den vielen stressigen Aufgaben meines nunmehr zehnjährigen Vater-Seins und der damit einhergehenden Verantwortung lautet: Elternschaft bedeutet ein ständiges Treffen von kleinen und großen Entscheidungen, deren Auswirkungen kaum abzusehen sind. Ich kann mich ja nicht mal mit mir selbst einigen, welches banale Beispiel ich hier anführen möchte, um meine alltägliche Indifferenz zu illustrieren – woher soll ich da bloß wissen, ob dem Baby besser Pastinaken- oder Kartoffelbrei bekommt? Ob ich das Kleinkind lieber eine Stunde früher oder später aus der Krippe abholen soll? Ob für das i-Dötzchen in der Schule Rucksack oder Ranzen von Vorteil wäre und dann in der zweiten Klasse lieber Religion, Lebenskunde oder nichts von beidem? Und spätestens ab der vierten Klasse – und dann nicht mit ob, sondern wann zur Hölle: Kriegt es ein Smartphone, um selbstständig mit uns Eltern, aber auch mit Freunden in Kontakt treten zu können?
Von Smartwatch zu Smartphone
Nun, am Heiligabend, fanden meine Söhne, 10 und 7, jeweils eine Smartwatch unterm Tannenbaum. Auch da habe ich, pardon, da hat der Weihnachtsmann lange gehadert und abgewogen. Würde ihnen die Verlockung der ständigen gegenseitigen Erreichbarkeit schaden oder nützen? Muss ich sie wirklich tracken? Lenkt sie so ein Teil, trotz möglicher Aktivierung einer Ruhefunktion während der Schulzeit, unnötig ab? Tut es nicht doch eine gewöhnliche Armbanduhr?
Nach den ersten paar Wochen der Nutzung kann ich, auch abseits diverser technischer Dürftigkeiten, sagen: I’m not totally convinced. Sie schicken Mama und Papa vernuschelte Sprachnachrichten und rufen nicht nur dann an, wenn eine Situation es wirklich erfordert. Dafür freuen sie sich jeden Tag, wenn sie wieder das eingestellte Mindestziel des Schrittzählers erreicht haben. Ich bleibe optimistisch: Wenn der Reiz des Neuen verflogen ist, wird sich auch die Nutzung auf das Praktische reduzieren. Und spätestens dann, wenn ich im Frühjahr auf dem nächsten überfüllten Flohmarkt wieder mal ein Kind aus den Augen verliere und es dank eines kurzen Anrufs wiederfinde, wird sich die Investition gelohnt haben.
Schulkinder müssen nicht alles wissen
Natürlich ersetzt so ein Ding mittel- oder langfristig nicht das eigene Smartphone und die Gruppenchats mit anderen Schulkindern, an deren kaum kontrollierbare Gefahren ich gar nicht denken will. Aber bis dahin, so mein Glauben, führt es sie an die gewinnbringende Nutzung digitaler Hilfsmittel abseits von reinem Entertainment und Suchtbefriedigung heran. Daheim enthalte ich ihnen Videospielkonsole, iPad und Co nicht vor und bemühe mich um einen Mittelweg. Natürlich wollen sie auf den Geräten daddeln. Aber sie suchen auch nach Musik, Videos von „Checker Tobi“ und wissen, dass Fragen von Suchmaschinen beantwortet werden können.
Digitale Mündigkeit halte ich für das Lernen, den schulischen Unterricht und das Privatleben für unabdingbar.
Meine Aufgabe (und, wie ich finde, auch die der Schule im Jahr 2024) ist es nun, den Kindern einen seriösen Quellencheck beizubringen. Digitale Mündigkeit halte ich – als einer, der, anders als seine Kinder, kein Digital Native war– für das Lernen, den schulischen Unterricht und das Privatleben für unabdingbar. Denn wie sagte schon mein Professor im ersten Semester mit Blick auf die Uni-Bibliothek (und vielleicht auch schon sein Handy): „Du musst nicht alles wissen. Du musst nur wissen, wo es steht.“
Doch selbst wenn ich wollte, auch aus noch viel näher liegenden Gründen könnte ich meinen Kindern ein eigenes Smartphone langfristig nicht verbieten: Ich bin, wie wohl die meisten Eltern, selbst kein gutes Vorbild, was die nur aufs Notwendige reduzierte Nutzung angeht. Alle zwei Minuten schaue ich auf mein Smartphone und tippe irgendetwas darauf herum. „Für die Arbeit!“, beschwichtige ich die Kinder jedes Mal, was maximal zur Hälfte stimmt. Zu Recht beschweren sie sich, wenn ich sie nicht andauernd „mal eben was bei Google“ nachsehen oder in jeder freien Minute Serien schauen oder daddeln lasse. Aber wenn sie in der Klasse aufgeschnappte Chuck-Norris-Witze nachplappern, die sie in Wahrheit nicht kapiert haben, dann gebe ich den Namen dieses ihnen fremden Mannes im Browser meiner Wahl ein, zeige ihnen alte und aktuelle Fotos von ihm und erkläre, was diesen Schauspieler in meiner eigenen Kindheit so legendär machte und was hinter dem Begriff „Meme“ steckt. Das tue ich gern, solange ich noch kann – in wenigen Jahren werden nämlich meine Söhne mir das Internet erklären müssen. Ich freue mich darauf.
Alle 15 Sekunden müssen neue Eindrücke her
Von den Boomern bis zu wirklichen Bildungsexpertinnen und Bildungsexperten haben schon sehr viele Menschen sehr viele Dinge über Digital Natives, Fluch und Segen von Social Media und kognitive Veränderungen gesagt. Ich möchte mich an dieser Stelle deshalb nicht darum bemühen, den gegenwärtigen Stand des Diskurses zu raffen, den ich selbst nicht überblicke, sondern diese Kolumne in zumindest eine Frage von mir und in eine Antwort einer Expertin münden zu lassen.
Weil mir TikTok und Co. schon viel zu viel sind und in meinem Browser wie auch in meinem Kopf 168 Tabs gleichzeitig geöffnet sind, fragte ich mich neulich nahezu nostalgisch und kulturpessimistisch selbst, ob Kinder wegen der Gleichzeitigkeit der Möglichkeiten und dadurch schrumpfende Aufmerksamkeitsspannen heute noch in Ruhe Interessen und Hobbys entwickeln und gemeinsame Erlebnisse mit Freunden erschaffen können, wenn durch Social Media in jeder Sekunde unendliche Alternativen und neue Reize lauern und es keine Blockbuster, also große gemeinsame Nenner, mehr gibt wie in unserer Kindheit? In der ich mir zum Beispiel eine neue CD zwei Wochen schöngehört und deren Booklet studiert habe, weil ich dafür nun mal 34,99 D-Mark vom gesparten Taschengeld bezahlt und deshalb erst mal keine Alternative hatte? So wie sich auch heutige Erwachsene kaum noch in Ruhe verlieben können, weil in Dating-Apps nach jedem Swipe ein theoretisch noch besser „matchendes“ Profil warten könnte.
Das Vorbild durch die Eltern ist relevant
Fragen wie diese kann ich unmöglich selbst beantworten und habe sie deshalb einer Frau gestellt, die sich auskennt. Inke Hummel ist Pädagogin, Bestseller-Buchautorin und Familienbegleiterin. Sie sagt: „Social Media sind definitiv Fluch und Segen. Wir können sie, auch im Hinblick auf Interessen und soziale Kontakte, nicht einfach verteufeln, denn das Netz, die Geräte und die Apps bieten viele Möglichkeiten, sich zu bilden und in Kontakt zu sein. Und doch ist ein ständiges „Pling“ durch Benachrichtigungen fatal. Die Aufmerksamkeitsspanne und auch das Durchhaltevermögen bei Tätigkeiten in der echten Welt können dadurch getrübt werden. Wichtig ist also: bewusst machen, verändern, dagegenhalten. Benachrichtigungen ausstellen, Geräte phasenweise außer Reichweite legen, Hobbys und Kontakte im Real Life zu pflegen.“
Das Vorbild durch die Eltern sei dabei relevant, sagt Hummel. Fast so, als ob sie mich im Umgang mit meinen Kindern heimlich beobachtet hätte. Im Jugendalter gelte dies weiterhin: „Und da muss man zugeben: Apps werden schneller raffiniert an unser Lustzentrum angeglichen, als unser erwachsenes Nutzungsverhalten sich gesund anpassen kann. Wir sollten den Kindern nicht zu viele Vorwürfe machen, sondern gemeinsam ins Verändern kommen.“
I hear you, Inke, und will dabei nicht als Kulturpessimist dastehen. Als Popjournalist, der ich auch bin, könnte ich deshalb wahlweise Fury In The Slaughterhouse mit „Every Generation Got Its Own Disease“ zitieren, Tocotronic mit „Digital ist besser“ – oder Moderator Markus Kavka, der gerade ein Buch über das für die damalige Zeit plötzlich schrecklich bunte, in den Augen damaliger Kritikerinnen und Kritiker gewiss also Teenager verstörende Viva- und MTV-Musikfernsehen der 1990er veröffentlicht hat und gleichzeitig sagt: „Den Satz ‚Früher war alles besser‘ werdet ihr von mir nie hören.“
Als Vater hoffe ich für alle Belange des zukünftigen Lebens meiner Kinder und für mich selbst, dass ich diesen Satz in letztgemeinter Konsequenz auch niemals werde sagen müssen.
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