Eure Schwester wird sich gefreut haben, Ihr vielleicht auch: The Kelly Family feiern dieses Jahr ein großes Comeback. Ein Interview mit Angelo Kelly über seine Kindheit als Teeniestar, Homeschooling, Rockstarklischees und die Privatsphäre seine Tochter, die auf dem neuen The-Kelly-Family-Album WE GOT LOVE Papas 90er-Hit „An Angel“ neu eingesungen hat.
Angelo Kelly war vor über 20 Jahren ein Kinderstar. Als Zwölfjähriger sang er mit The Kelly Family ihren Hit „An Angel“ und schrieb später ihren Nummer-1-Hit „I Can’t Help Myself“, zusammen zogen sie von der Straße in die BRAVO-Charts und Stadien dieses Landes. Ihr Album OVER THE HUMP ist das sechstmeistverkaufte Album aller Zeiten in Deutschland. Heute ist der blondgelockte Junge von damals 35 Jahre alt, Vater von fünf Kindern, lebt in Irland und feiert ein großes The-Kelly-Family-Comeback mit ihrem neuen Album WE GOT LOVE, TV-Auftritten, ausverkauften Livekonzerten, dem gerade erschienenen Livealbum WE GOT LOVE – LIVE, einer zusätzlichen Kelly-Family-Tour 2018 sowie, als ob das nicht genug wäre, einer weiteren Tour mit seiner eigenen Familie als „Angelo Kelly & Family“.
Grund genug zur für Musikexpress.de ganz unironisch getätigten Nachfrage, welche Motivation hinter dem Comeback steckt, wie er sich den gigantischen Erfolg von damals erklärt, warum ihnen die alten Fans heute wieder die Bude einrennen – und zur großen Vereinbarkeitsnachfrage für dieses Väterblog hier: Wie kriegst Du Familie und Musik unter einen Hut, Angelo? Und was hast Du aus Deiner Kindheit für Deinen eigenen Nachwuchs gelernt?
Angelo Kelly: „Viele würden sagen: The Kelly Family, das war Kinderarbeit“
Angelo, Während andere zur Schule gingen und eine Kindheit hatten, tourtest Du mit Deiner Familie von einem Straßenfest zum nächsten. Dann kam Euer Durchbruch, Dir kreischten plötzlich Mädchen hinterher, Du brauchtest zeitweilig sogar Sicherheitspersonal. Eine sorglose Kindheit sieht anders aus, oder?
Angelo Kelly: An die Zeit bis ich 12 Jahre alt wurde und der Durchbruch kam, habe ich nur positive Erinnerungen. Das war eine verdammt geile Kindheit, sie war sehr frei. Wir haben anders gelebt. Aber klar, es war mit viel Arbeit verbunden. Viele würden sagen: Das war Kinderarbeit. Ich habe Musik aber immer geliebt, genau wie heute. Der Erfolg war am Anfang ein Rausch. Das war ein Wahnsinn, die pure Überwältigung. Jeden Tag haben wir etwas Neues erlebt, auf Festivals mit Aerosmith und Co. gespielt. Dann triffst du Eric Clapton und der lädt dich nach Hause ein! Nach zwei bis drei Jahren gewöhnst du dich an diesen Erfolg, wirst satt und bist nicht mehr so glücklich darüber.
Wie erging es Dir persönlich damit?
Bei mir stellte sich Ende der 90er das Gefühl ein, dass ich nicht happy war im Leben. Das Musikgeschäft hat uns überrollt. Ich habe Glück gehabt, dass ich meine Passion zum Schlagzeug hatte. In diesen Jahren habe ich fünf Stunden pro Tag geübt, das hat mir Halt gegeben. Später gab ihn mir meine Frau, die ich schon als Neunjähriger kennenlernte. Die Beziehung wurde immer stärker. Jung gründete ich selbst eine Familie, das erste Mal Vater wurde ich mit 19. All diese Sachen haben mir eine klare Richtung gegeben, deshalb bin ich nie bei Drogen gelandet.
Du hattest auch kaum Zeit dafür: Mit 12 warst Du noch zu jung für Groupies und wilde Partys, als kaum Volljähriger gründetest Du Deine eigene Familie. Andere fangen in diesem Alter an, sich auszutoben.
Haha, vollkommen richtig. Aber besser so und glücklich, als dass ich irgendwo von einer Brücke gesprungen wäre. Ein Rockstarleben können andere gerne haben. Ich konzentriere mich lieber auf Musik und das Leben.
Heute hast Du fünf Kinder. Bereust Du nicht irgendwas, wünschst Du Dir nicht manchmal ein Stück eigene Kindheit oder Jugend zurück?
Ganz und gar nicht. Unser erstes Kind war ein Wunschkind, auch wenn mir das heutzutage keiner glaubt. Ich wollte immer schon eine große Familie haben. Ich hatte Glück und habe die richtige Frau mit dem gleichen Wunsch gefunden. Bereue ich etwas? Jeder bereut etwas. Ich bereue zum Beispiel, nicht immer genug Zeit für meine Kinder zu haben. Ich bereue all das, was jeder Mann, Ehemann und Vater bereut.
Was denn?
Dass ich manchmal zu viel arbeite. Dass ich vergesse, meiner Frau zu sagen, wie sehr ich sie liebe. Jeder Mensch muss sich erinnern, das zu pflegen. Auf der anderen Seite lebe ich nicht in Reue. Ich bin glücklich, soviel erlebt zu haben. Ich bin 35 und könnte wahrscheinlich zehn Bücher schreiben.
Deine Großfamilie hat Dich offenbar nicht nachhaltig abgeschreckt, eine eigene zu gründen.
Überhaupt nicht. Als jüngstes von zwölf Kindern habe ich immer das Gefühl gehabt, geliebt zu werden und geborgen zu sein. Meine Mutter starb, als ich zehn Monate alt war, sie habe ich nie richtig kennengelernt. Aber ich habe nie das Gefühl von Benachteiligung gehabt. Meine Familie hat alles aufgefangen. Ich kann mich nicht beschweren, und das ist keine Heile-Welt-Quatscherei. Es gibt andere Kinder, die es schwerer haben: Jeder labert von Kinderarbeit, aber was ist denn Schule, wenn du von morgens 8 Uhr bis abends um 17 Uhr dort bist, noch Hausaufgaben hast und dazwischen nicht auf Bäume klettern und Hütten bauen kannst?
Das ist der Grund, warum Du trotz oder wegen Deiner eigenen Homeschool-Erfahrung Deine eigenen Kinder auch nicht zur Schule schickst?
Wir haben beides ausprobiert. Als wir noch in Bonn wohnten, gingen die Kinder zur Schule. Aber damit waren wir nicht glücklich. Da habe ich Reue gespürt. Ich hatte das Gefühl, egoistisch zu sein. Ich dachte: Ich gebe meinen Kindern nicht das, was ich als Kind ein Stück weit erleben durfte. Ich war viel auf Tour, wir lebten aneinander vorbei. Wenn die Kinder am Wochenende zuhause waren, spielte ich irgendwo Konzerte. Wir lebten ein etabliertes Leben: fester Wohnsitz, Kinder gehen zur Schule, Papa geht arbeiten. Während dieser Jahre dachte ich aber immer wieder: Das kann es nicht gewesen sein. Nicht wegen mir, sondern gerade für die Kinder. Ich empfand das als fahrlässig, ich wollte das nicht verkacken. Ich wusste, dass ich ihnen eigentlich doch das zeigen kann, was andere Familien nicht können.
Und dann?
Dann haben wir einen radikalen Schritt gemacht und entschieden, alles hinter uns zu lassen. Wir haben unsere Mietwohnung gekündigt, hatten damals eh keine Kohle, haben einen alten Bus gekauft und sind damit von 2010-2013 durch Europa gereist. In der Zeit haben wir Homeschooling gemacht. Auf Reisen geht es nicht anders, es sei denn, du verzichtest völlig auf Schule. Das war für uns keine Option. In der Zeit spielte ich im Ausland viel auf der Straße. Viele Situationen ähnelten plötzlich denen meiner Kindheit. Aber es war unsere Entscheidung, unser Weg. In den vergangenen sechs bis sieben Jahren haben die Kindern nun soviel erlebt und gesehen von der Welt. Wir leben mittlerweile in Irland und ziehen uns immer dorthin zurück, wenn wir nicht auf Reisen oder Tour sind. Deshalb machen wir Homeschooling. Und nicht, weil Schule insgesamt schlecht wäre. Es gibt solche und solche. Aber du bist gebunden, kannst nicht reisen, kannst den Kindern nicht die Welt zeigen. Du kannst nicht als Familie zusammenbleiben, nicht musizieren.
„Schule ist eine Art von Tyrannei“ (Angelo Kelly)
Aber sobald Eure Kinder wieder zur Schule wollten, würdet Ihr sie lassen?
Du, wir haben es im Januar erst wieder probiert, für die beiden Ältesten. Einen Monat lang. In Irland. Wir wollen sie aufs Studium vorbereiten. Sie haben aber nach einem Monat gemerkt, dass das nichts für sie ist. Sie kamen mit dem Material klar, kein Problem, aber diese festen Zeiten, dieses Immer-Hin-Müssen… Das ist keine Versklavung, aber es ist Tyrannei auf irgendeine Art und Weise. Jetzt werden viele Leute antworten: „Ja, aber wenn jede Familie das entscheiden könnte, wie sie wollte…“ Bullshit! Der Staat oder die Lehrer interessieren sich viel weniger für deine Kinder als du selbst.
Logisch. Leider.
Eltern haben die meiste Liebe und den meisten Kampfgeist für ihre Kinder, die man sich nur vorstellen kann. Gibt es bekloppte Eltern? Ja. Aber insgesamt ist die Motivation bei den Eltern höher. Sonst würden wir ja nicht alles für unsere Kinder machen: Arbeiten, Klamotten kaufen und waschen, einfach alles. In puncto Schule und Unterricht ist es genauso. Ich sage nicht, dass alle Eltern ihre Kinder selber unterrichten müssen. Aber die Eltern sollten entscheiden, wie es stattfindet und wie gut. Es sollte nicht einfach vorgegeben sein. Friss oder stirb? Das geht nicht.
Auch ein Problem hier in Berlin, übrigens: die Qual der Wahl. Es gibt viel Schulformen und -möglichkeiten, aber zu wenig Plätze. Den traditionellen Frontalunterricht aus der eigenen Kindheit will man für seine Kinder nicht, aber es ist eben auch eine logistische Frage: Wenn das Kind oder die Kinder daheim bleiben, muss es mindestens Mutter oder Vater auch tun. Wenn man nicht gerade einen Rund-um-die-Uhr-Babysitter, viel Geld oder, wie Ihr, eine große Familie hat. Aus dem Grund kann sich das nicht jeder erlauben.
Das stimmt.
Hast Du als selbständiger Vater von fünf Kindern Tipps für andere Väter? Ich habe nur zwei Kinder und bin jeden Tag müde, komme zu nichts und sehe kaum Licht am Ende des Tunnels.
Das bleibt!
Danke!
Welcome to reality! Am besten man sagt davon denen nichts, die keine Kinder haben. Am Ende, das weißt Du ja selbst, ist es, obwohl man fix und fertig ist, das Allerschönste, Kinder zu haben. Das willst du nicht vermissen. Es gibt ein purpose im Leben, und wenn Dir der fehlt, brauchst Du erst recht Kinder. Du brauchst einen Grund zu leben. Wenn es dein Leben lang nur um dich geht, endet es irgendwann richtig böse. Jeder der mir sagt, man könne auch ohne Kinder alt und glücklich werden: Sorry, das kann ich einfach nicht glauben. Natürlich habe ich Kinder und…
…redest Dir das selber schön, muss man ja!
Wenn ich mir vorstelle mit 60 oder 70 keine Enkel zu haben, vielleicht würde meine Frau sogar vor mir sterben – wie traurig wäre das denn?
Man will ja wenigstens wen haben, der Weihnachten mal anruft oder gar zu Besuch kommt! Apropos Zukunft: Deine Tochter Emma singt auf dem neuen Album „An Angel“ mit. Sie ist sozusagen die Reinkarnation Deiner selbst.
Gottseidank nicht, sie ist viel hübscher und viel klüger! Aber ja, Emma ist auf der Platte. Das kam so: Weihnachten nahm ich die Gitarre zur Hand und fragte mich, wie ich den Song heute spielen würde. Ich sang ihn mit meinen Kindern, und bei Emmas Gesang bekam ich Gänsehaut. „Fuck“, dachte ich, das war so rührend. Sie ist in einem Alter, in dem sich ihre Stimme entwickelt hat und trotzdem noch eine ganz kindliche Purheit da ist. Es hat eine andere Stärke, ist nicht das gleiche wie damals bei mir. Ich habe ja damals richtig losgeschrien, weil wir jeden Tag auf der Straße sangen, sechs Stunden am Tag. Da hatte ich mit zwölf schon eine Röhre. Sie hat eine ganz zarte Stimme, genau das fand ich reizvoll. Haben wir ohne Geschwister und ohne Info der Plattenfirma aufgenommen.
Mit dem Ziel, die Version aufs Album zu bringen?
Meine Frau, Emma und ich haben uns das Ergebnis zwei Wochen lang angehört und ich habe Emma dann gefragt ob sie es mag und auf der Platte hören will oder nicht. Sie sagte, sie wäre ganz stolz und glücklich, wenn es darauf landen würde. Meine Frau und ich sprachen über eventuelle Folgen, ob dies für Emma zu viel Präsenz in den Medien bedeuten könnte. Wir entschieden uns für den Song und gegen aktive Promotion mit ihr als Gastsängerin. Bei Silbereisen singen wir vier Songs, dort wird Emma einmalig dabei sein. Auch da fragten wir sie, ob sie will. Sie findet TV-Kulissen megageil und interessant.
Weil sie noch ein Kind ist.
Klar, was kann man schon mit 11 wirklich entscheiden? Am Ende müssen wir trotzdem die Verantwortung übernehmen, und bei allen Folgeshows habe ich „nein“ gesagt. Sie ist kein neues Gesicht der Kelly Family. Es ist und bleibt ein Vater-Tochter-Gastauftritt, mehr nicht.
Wenn die Kinder mit der Musik weitermachen wollen, wäre das vermutlich in Eurem Sinne? Oder wäre es für Euch ebenso okay, wenn sie eines Tages lieber eine Bankerlehre machen wollen?
Die Musik, die ich mit meiner Familie mache, habe ich nicht geplant. Sie entstand einfach. Als wir reisten, hatten wir die Ruhe und die Möglichkeit, gemeinsam zu musizieren. Die Kinder kamen in ein Alter, in dem sie sich dafür zu interessieren begannen. Bei meiner ersten eigenen Tour in kleineren Theatern haben sie sich getraut, ein paar Lieder mitzusingen. Sie wollten das. Vor zwei Jahren haben wir eine irische Weihnachtsplatte in Irland produziert. Damit wurde meine eigene Familie noch ein Stück weit öffentlicher und erfolgreicher. Sicherlich gibt es Parallelen zu mir damals. Aber mit meiner Familie handhabe ich das ganz anders. Mit viel Zeit und Vorsicht: Auf unseren Konzerten darf nicht fotografiert werden, die Kinder geben keine Interviews. Das habe ich von damals gelernt.
Klingt nach Kompromiss: Ja, unsere Kinder machen Musik in der Öffentlichkeit, sollen aber nicht in eben jene gezerrt werden.
Es passiert in einer Art, die wir kontrollieren können. In einer Doku hatten wir uns alle einmal der Öffentlichkeit gezeigt, aber es gab nie Hausbesuche von Journalisten. Es gibt einen einzigen Freund, der uns seit Jahren begleitet und ein toller Kameramann ist. Mit ihm habe ich immer wieder Material gesammelt, eben weil wir ganz anders gelebt haben. Das konnte man geschichtlich erzählen. Aber es geht keineswegs um irgendein Verheizen oder darum, jede Woche in die „Bravo“ zu kommen oder um anderen Scheiß. Wem das nicht passt: fine. Ich muss niemandem etwas beweisen. Ich muss nur mit meiner Familie richtig umgehen. Alles andere interessiert mich nicht. Wenn von fünf Kindern eines oder zwei bei der Musik blieben, würde ich mich freuen. Aber ich erwarte nicht mehr.
WE GOT LOVE von The Kelly Family ist am 24. März 2017 erschienen. Im Mai spielten sie drei ausverkaufte Konzerte in der Dortmunder Westfalenhalle, die dort aufgenommene Live-CD und -DVD WE GOT LOVE – LIVE ist am 20. Oktober 2017 erschienen. 2018 gehen sie auf große „WE GOT LOVE“-Deutschlandtour.
Ein Gedanke zu ”Angelo Kelly im Interview: „Ich bereue all das, was jeder Mann, Ehemann und Vater bereut““