Was Eltern tun können, wenn Kinder klauen

Diebstahl ist die häufigste Straftat bei Kindern. Aber ab wann sollten Eltern sich Sorgen machen? Wo es Hilfe gibt und wie Eltern vorbeugen können, habe ich für den „Tagesspiegel“ aufgeschrieben.

Gut 30 Jahre ist es her, dass ich als gelangweilter Präpubertierender auf dem Dorf im örtlichen Supermarkt mal ein Überraschungsei klaute. Prompt erwischte mich der Ladendetektiv dabei. Meine Ausrede, dieses Ding in meiner Jackentasche hätte ich zuvor im anderen Supermarkt drei Straßen weiter gekauft, wollte er per Anruf nur zu gerne überprüfen. Mir blieb nichts weiter als ein Geständnis übrig. Er gab mir die Wahl, meine Eltern anzurufen oder die Polizei. Ich entschied mich für Option eins und wurde abgeholt.

Wenn ich wenigstens etwas geklaut hätte, was ich dringend brauchte und wir uns nicht leisten konnten – meine alleinerziehende und beschämte Mutter hätte diese Motivation besser verstanden. Aber ein verdammtes Ü-Ei? An die Sanktion kann ich mich nicht mehr erinnern. Nur daran, dass dieser Diebstahl nicht mein allerletzter war, zwei weitere folgten. Eher als Mutproben für mich selbst und kleine Prahlerei gegen- über Freunden, während mir die Taten eigentlich unangenehm waren. Meine kleinkriminelle Karriere ist seitdem Geschichte. Sie be- gann und endete als harmlose Dunkelziffer.

Die Hellziffern belegen, dass ein „Fall“ wie dieser heute kein Einzelfall ist: Im Jahr 2022 zählte die polizeiliche Kriminalstatistik in Deutschland 93.095 straftatverdächtige Kinder bis einschließlich 13 Jahren. Die mit 39,1 Prozent häufigste Straftat waren demnach Diebstahldelikte, auf Platz zehn stand mit 0,8 Prozent „Beförderungserschleichung“. In der jugendlichen Altersgruppe der 14- bis 17-Jährigen stand Diebstahl ebenfalls auf Platz 1, gefolgt von Körperverletzung, Rauschgiftdelikten und Sachbeschädigung – also mitnichten nur Kavaliersdelikten. Die Anzahl der tatverdächtigen Kinder stieg laut Statistik von 2021 bis 2022 um 34 Prozent, die der Jugendlichen um fast 28 Prozent. Insgesamt waren 5007 Kinder tatverdächtig und 10.678 Jugendliche. Während der Corona- Pandemie waren die Zahlen wesentlich niedriger, weil Kinder öfter dem öffentlichen Raum fernbleiben mussten. Insgesamt steigen sie – zumindest in Betrachtung der vergangenen zehn Jahre – trotzdem. Über die Gründe kann nur spekuliert werden. BKA-Präsident Holger Münch sagte, dass Armut, häusliche Gewalt und Stress die Gefahr erhöhe, dass Kinder kriminell werden. „Solche Faktoren sind in den vergangenen Jahren hinzugekommen, etwa durch die Pandemie.“

Was das Gesetz regelt

Bei der Betrachtung langfristiger Zeiträume aber ist eine mutmaßlich zunehmende Verrohung in zunehmend jüngeren Altersgruppen nicht abzulesen: Bundesweit wurde 1998 mit 152.774 tatverdächtigen Kindern die höchste Zahl erfasst, bis 2008 blieb es bei mehr als 100.000. Seitdem sinken die Zahlen mit kleinen Schwankungen kontinuierlich, berichtet tagesschau.de. Möglicherweise ist es die Schwere von Einzeltaten, die zum Eindruck führt, die Lage habe sich dramatisch verschlechtert: Im März etwa töteten ein 12- und ein 13-jähriges Mädchen im rheinländischen Freudenberg ein anderes 12-jähriges Mädchen. Solche Schlagzeilen ziehen Debatten nach sich.

Was die Justiz tun oder nicht tun kann, ist im Paragraf 19 des Strafgesetzbuches (StGB) klar geregelt: Vor Vollendung des 14. Lebensjahres kann ein Kind nicht strafrechtlich belangt werden, weil der Gesetzgeber „ohne Wenn und Aber“ davon ausgeht, dass Kinder noch keine Reife haben, ein falsches Handeln und dessen Folgen einzuschätzen und steuern zu können – auch wenn dies in Einzelfällen durchaus der Fall sein mag. Folgenlos bleibt eine Tat trotzdem nicht zwingend: Familiengerichte können etwa durch Anordnungen, Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch zu nehmen, beeinflussend wirken. In schweren Fällen kann Eltern zudem der Entzug des Sorgerechts oder Kindern die Unterbringung in einem Heim oder einer psychiatrischen Einrichtung drohen – als letzte Instanz und zum Wohle des Kindes.

Was Eltern tun können

Wie aber sollen Eltern damit umgehen, wenn ihr Kind kriminell wird? Im Kern sind sich die meisten Pädagog:innen einig: Zugewandtheit, Aufmerksamkeit und Interesse helfen nicht nur nach einem Diebstahl, das Handeln des eigenen Kindes zu verstehen und ihm gleichzeitig ohne Drohungen die Konsequenzen für sich selbst und die Betroffenen klarzumachen. All das kann auch präventiv wirken.

Auf die Frage einer Mutter danach, wie sie mit ihrer Tochter über deren wiederholtes Klauen sprechen solle, antwortete der 2019 verstorbene Familientherapeut Jesper Juul einst, die Mutter solle ihre Tochter fragen: „Was geht durch deinen Kopf, wenn du anderen etwas wegnimmst?“ Ihre Antwort würde höchstwahrscheinlich „Nichts“ oder „Ich weiß nicht“ sein. „Der Punkt ist, dass sie vermutlich selbst keine psychologische Erklärung für ihr Verhalten hat. Aber Ihre offenen und interessierten Fragen werden sie dazu bringen, darüber nachzudenken. Und wenn Sie das Gespräch kurzhalten und es nach ein paar Tagen wieder aufnehmen, wird Ihre Tochter (oder Sie) möglicherweise Antworten haben. Vielleicht hört sie auch einfach auf zu klauen. Wenn sie damit aufhört – was ich für wahrscheinlich halte –, können wir daraus nicht schließen, dass sie nicht genug Aufmerksamkeit von Ihnen bekommen hat.“

Die Schuld am Verhalten des Kindes müssen Eltern nicht zwingend bei sich selbst suchen – und sich nicht in jedem Fall allzu große Sorgen machen. Psychologe Ulrich Gerth von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (BKE) meint: „Es kommt vor, dass Kinder eine Zeit lang Dinge klauen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass etwas in ihrer Entwicklung grundlegend schiefläuft. Manche Kinder reizt das Abenteuer, etwas Verbotenes zu tun. Andere klauen in der Gruppe, weil sie dazugehören wollen. Manche stehlen einfach deshalb, weil sie etwas unbedingt haben wollen.“

Wo es Hilfe gibt? Den kompletten Text findet Ihr auf Tagesspiegel.de. Dort erschien er am 7. August 2023, „im Blatt“ am Tag darauf.

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