„Papas sind oft kurz vorm Kollaps, wenn sie zu mir kommen“

Wenn dieser fremde Mann Väter auf dem Spielplatz anspricht, will er nur helfen: Selcuk Saydam ist Berlins erster Väterlotse und ständig auf der Suche nach Papas, die Beratung und Vernetzung brauchen könnten, sie selbst aber nicht suchen. Ein Gespräch über Anlaufstellen, Zuhören auf Augenhöhe und Vätergruppen in Moscheen.

Geht nicht nur zum Spaß auf Spielplätze: Selcuk Saydam bei der Arbeit

Herr Saydam, Sie sind Väterlotse, der erste in Berlin. Was darf man darunter verstehen?

Selcuk Saydam: Ich bin aktives Mitglied im bundesweiten Netzwerk „Frühe Hilfen“. Dort wurde immer wieder dargelegt, dass nachhaltige Familienangebote fehlen, die sich explizit an Väter richten. Um die Arbeit mit Vätern voranzubringen, suchten die Mitglieder des Netzwerks vor drei Jahren einen zentralen Ansprechpartner exklusiv für Papas. Einen Lotsen, sozusagen. Der bin nun ich, im Auftrag des Jugendamtes Mitte.

Entstand dieser Job aus einem Wunschdenken heraus – oder wurde damals eine wirklich nicht gestillte Nachfrage von Berliner Vätern festgestellt, die nicht wussten, wohin mit ihren Problemen?

Immer wieder wurden in der Vergangenheit tolle Angebote für Väter auf die Beine gestellt, aber sie wurden von den Vätern kaum wahrgenommen. Wir wussten, dass der Bedarf da ist, aber aus ihm muss zuerst eine Nachfrage entstehen. Warum gehen die Papas nicht zu Treffpunkten, zum Jugendamt, zu Familienberatungsstellen? Wieso lassen sie sich nicht unterstützend beraten? Und weshalb kommen sie mit anderen Papas nicht zusammen?

Ja, warum nicht?

Diese Fragen haben unsere Runden lange beschäftigt. Eine mögliche Antwort lautete: Wenn sie nicht zu uns kommen, gehen wir zu ihnen.

Wohin?

Bei gutem Wetter spreche ich Papas zum Beispiel auf Spielplätzen an. Vorsichtig erkläre ich meinen Job und trete in Kontakt mit ihnen. Ich habe dann einen Fragebogen dabei. Aus diesen Umfragen heraus haben wir einen Bedarf ermittelt und verstehen besser: Okay, das sind die Bedürfnisse der Papas. Auch mein Büro ist übrigens „männlicher“ gestaltet, zum Beispiel durch weniger Pflanzen, damit Männer, die mich besuchen, sich wohlfühlen.

Aha. Und aus diesen Erkenntnissen entstehen neue Angebote?

Ich bin nicht nur aufsuchend und beratend tätig. Ich bin auch derjenige, der ein Netzwerk aufbaut. In Berlin-Mitte bieten wir zum Beispiel Angebote im Familienzentrum Schwedter Straße an. Unsere Gruppe „Aktive Väter“ in Moabit-Ost war gerade mit dem Kursleiter und ihren Kindern für ein Wochenende zelten, die sind richtig zusammengewachsen.

Wie lautet Ihr Ziel dahinter?

Unsere Idee hatte kein fertiges Konzept. Ein Ziel ist es, dass Berlin-Mitte der väterfreundlichste Bezirk der Stadt wird. Etwa dadurch, dass Cafés auch Wickeltische in den Herren-WCs und Stellplätze für Kinderwagen anbieten. Papas sollen sich überall eingeladen fühlen. Vor drei Jahren kam die Idee auf, den Internationalen Vätertag für mehr Aufmerksamkeit zu nutzen. Seit jetzt drei Jahren organisieren wir zusammen mit den Familienzentren in Berlin-Mitte gemeinsame Aktionen in der Woche des Internationalen Vätertages. An unserer Aktion beteiligten sich dieses Jahr sogar die Bibliotheken mit einer Bücherecke und einer Bastelstunde für Väter und ihre Kinder. Cafés sind weitere Orte, die Papas brauchen. Aber so weit sind wir noch nicht.

Woher wissen Sie, dass Ihre Angebote wegen mangelnder Teilnahme nicht wieder eingestellt werden?

Ich weiß es nicht. Aber ich denke, wenn man so mit Herzblut dabei ist, wird man auch eine Finanzierung hinbekommen.

Wo kommt dieses Herzblut her?

Als gelernter Konditor bin ich ein Quereinsteiger. Mit 40 Jahren habe ich mein Abitur nachgeholt, danach Sozialarbeit studiert und schon währenddessen mit Vereinen und Verbänden kooperiert. Ich liebe meine Arbeit. Als mein Sohn noch klein war, haben wir in einer Vätergruppe gemeinsam ein Zeugnis für uns Papas entworfen und von unseren Kindern ausfüllen lassen.

Das half mir damals bei der Reflexion meiner Rolle als Vater und mein Zeugnis steht noch immer auf meinem Schreibtisch. Was für ein Papa bin ich, welche Noten habe ich bekommen? Was mache ich gut, was nicht gut? Seitdem wollte ich was mit und für andere Papas machen und das mit Herzblut.

Der Begriff „Väterlotse“ impliziert, dass Väter Hilfe und Wegweiser brauchen. In welchen Bereichen brauchen sie die besonders und warum?

Egal ob die Väter in meiner Beratung Deutsche sind oder aus anderen Ländern kommen: Zuerst geht es immer um die Basics. Welche Funktion hat das Jugendamt? Was machen Eltern-Familien-Beratungsstellen? Was bedeutet betreuter Umgang? Den Begriff finde ich übrigens ganz schrecklich. Ich erkläre den Papas unser System und wie man darin was erreichen kann. Ich bin dabei nicht unparteiisch.

Inwiefern?

Konflikte mit der Kindesmutter zum Beispiel interessieren mich eigentlich weniger. Natürlich soll der Vater ihr gegenüber Respekt zeigen und ihre Bedürfnisse akzeptieren. Mir geht es zuerst aber um die Beziehung zwischen Vater und Kind. Wenn er sein Kind seit drei Monaten nicht mehr sehen darf, versuche ich ihm in einer Strategieberatung Wege, aber auch Grenzen aufzuzeigen.

(…)

Weiterlesen? Das komplette Gespräch mit Selcuk Saydam, in dem es im weiteren Verlauf auch um Kiezunterschiede, Moscheegemeinden und einen Schwergewichtsboxer geht, ist am 2. August 2023 auf Tagesspiegel.de erschienen.

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