„Tagesspiegel“-Kolumne (2): Alltagsstress – Immer. Ist. Etwas.

Seit ein paar Wochen darf ich, neben Little Years und dem Deutschen Schulportal, auch Kolumnen für den Berliner „Tagesspiegel“ schreiben. Auf Papier! Meine Kolumne auf den dortigen Familienseiten heißt „Oh, Mann!“. Hier ist Folge 2, die am 14. Januar 2023 „im Blatt“ erschien und in der er es um Alltag und Anforderungen geht.

Ich gestehe: Entspannte Eltern sind mir suspekt. Welche Drogen, Erbschaften oder Familienmodelle haben die, die ich nicht habe? Nehmen wir zum Beispiel diese Mutter in unserem Kreuzberger Kiez: Täglich kutschiert sie topgestylt ihre Kinder, drei oder vier dürften es sein, darunter ein Baby, mit Kaffee in der Hand und Lächeln im Gesicht zur Schule, auf den Spielplatz, wieder nach Hause oder sonstwohin. Stress scheint für sie ein Fremdwort zu sein.

Ich gönne es ihr und frage mich nach ihrem Geheimnis. Wahrscheinlich hat sie es sich aber einfach nur in der Situation eingerichtet, die weiterhin auch für viel Berliner Familien mit Babys und Kleinkindern der Normalfall ist: Papa arbeitet Vollzeit, Mama ist mindestens ein Jahr in Elternzeit, danach Teilzeitkraft und weiterhin im Nebenjob Hol- und Bringdienst für die Kinder.

Ich finde diese Unterstellung schlüssig, schließlich habe ich den Vater noch nie in Schulnähe oder an einem Wochentag gesehen – und für eine Alleinerziehende, deren Job ruft, scheint mir die Gute zu viel Zeit zum Smalltalk zu haben. Jaja, Momshaming, urteile nicht über andere Eltern, ich weiß. Ich bin doch bloß neidisch. Ich stecke als Vater, der arbeitet und sich täglich um die Kids kümmern will, bis zum Hals im Alltagsstress und sehne ich mich danach, mich auf der Couch auszustrecken.

Natürlich wünsche ich mir, dass es anders wäre. Im Internet geistert seit Jahren der blöde, weil zusätzlichen Druck erzeugende Spruch „Unser Alltag ist ihre Kindheit“ herum. Schon Elternteilen wie mir macht der ein schlechtes Gefühl , wie sollen sich erst solche fühlen, die wirklich keine Zeit und kein Geld haben?

Auch ich will kein Getriebener sein, sondern Teil einer Bilderbuchfamilie wie auf Werbefotos. Aber der Kapitalismus und das Schulsystem, mal ganz abgesehen von dieser lauten und sich stets bewegenden Stadt lassen mich nicht: Ich muss arbeiten, um Miete, Energiepreise, Lebensmittel und Kleidung zahlen zu können. Und weil ich will.

Währenddessen trudeln E-Mails aus der Schule ein: „Kommenden Montag bleiben Schule und Hort, außer zur Notbetreuung, wegen einer Fortbildung geschlossen!“, „Läusebefall!“, „Wer backt Kuchen für unseren Flohmarkt?“ „Bitte üben Sie mit Ihrem Kind für den Test nächste Woche!“ Solche Sachen, die jonglierenden Eltern einen Ball zuverlässig aus der Flugbahn kicken. Immer. Ist. Irgendwas. Wie soll man da entspannt bleiben? Und wie bitte? Und jetzt sind schon wieder Schulferien, für die ich gar nicht genug Urlaubstage habe? Na Prost. Hauptsache, den Kindern geht es gut. #wahnsinnigenSmileybittehiereinsetzen

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