Geteiltes Leid ist halbes Leid: Unter Hashtags wie #ReasonsMyKidIsCrying finden besorgte Eltern im Netz etliche Kleinkinder, denen es mutmaßlich manchmal noch schlechter geht als den eigenen.
Der Alltag von Kleinkindern ist ein Alltag voller Missverständnisse. „Dei“, „Tschop Tschop“, „Avatar“? Sie verstehen vermutlich jedes Wort ihrer Eltern, aber keiner versteht sie! Bei „Dei“ zum Beispiel wissen wir dank seines richtungsweisenden Fingers, dass Kid A damit in gottgleicher Rhetorik „Licht“ meint. „Tschop Tschop“ bedeutet „Spongebob“, ein zugegeben sehr schwieriges Wort für einen Zweijährigen. Aber was er uns im vergangenen Sommer mit dem immer wieder ausgerufenen „Avatar! Avatar! Avatar!“ sagen wollte, wissen wir bis heute nicht. Ein Wunsch nach Kino und 3-D kann es eigentlich nicht gewesen sein.
Fest steht, dass jeder Erwachsene mit den Stimmungsschwankungen eines Kleinkindes sofort als manisch-depressiv eingewiesen werden würde. Keine Diskriminierung von Kleinkindern oder Manisch-Depressiven beabsichtigt. Bei uns etwa heult Kid A gerne mal, wenn er nicht länger die Mülltonnen durch die Wohnung ziehen darf, wir ihn vom Porzellanregal entfernen oder, am schlimmsten, er das iPhone nicht kriegt, das er doch gerade noch in unserer Hand gesehen hat. Ganz zu schweigen von dem Wahnsinn, der passiert, wenn er darauf doch mal ein paar Minuten Fotos und Videos angucken darf und der Spaß plötzlich vorbei sein soll.
Diese Beispiele sind natürlich nur ein kleiner Auszug aus dem bisweilen frustrierenden Alltag eines Kindes und seinen Eltern. Einen größeren listet Jenna Gallina auf der australischen Familienwebsite Babyology.com.au in ihrem Blogpost „44 completely rational reasons my three-year-old tantrumed today“, den die deutsche „Huffington Post“ wie so oft eingedeutscht hat – faierweise muss man aber dazu sagen, dass die Übersetzung diesmal sogar funktioniert. Sieben Beispiele aus der Liste „44 Gründe, warum meine Tochter heute einen Wutanfall hatte“:
- Die Katze ließ sie nicht an ihrem Schwanz ziehen.
- Sie konnte die Verpackung des Müsliriegels nicht aufmachen.
- Ich riss die Verpackung des Müsliriegels zu weit auf.
- Ihr Müsliriegel brach auseinander.
- Beim Ausmalen verwendete ich den falschen Blauton für Cinderellas Kleid.
- Ich saß auf ihrem Fantasiefreund.
- Sie zog ihren Schuh auf dem falschen Fuß an.
Wer als Mutter oder Vater nun hier mitliest und sich denkt: „Verdammt, diese Situationen kommen mir erschreckend bekannt vor“, andere Betroffene sucht und den Tumblr-Blog „Reasons My Son Is Crying“ schon kennt: Bei Instagram versammeln Eltern dieser Welt unter den Hashtags #ReasonsMyKidIsCrying, #ReasonsMySonIsCrying und #ReasonsMyToddlerIsCrying Momente, in denen ihre Kinder mal wieder ausflippen. Wenn der Ketchup falsch neben dem Würstchen verteilt wurde, zum Beispiel. Wenn die Banane beim Schälen durchbricht. Oder wenn das Kind nicht länger Krümel vom Boden aufessen darf. Als ebenfalls Betroffener kann ich beschwichtigen: Nein, diese Eltern wollen ihre Kinder nicht zur Schau stellen. Sie brauchen bloß ein Ventil, um nicht wie ihre Kinder zu enden. In sozialen Medien gilt (trotz zu diskutierender Privatsphäre von Kindern) nämlich wie oft auch im analogen Leben: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Und Geliktes erst!