Was ich als Vater und Journalist auf der re:publica 2025 gelernt habe

Unter dem Motto „Generation XYZ“ fand vom 26. bis 28. Mai 2025 die 19. Ausgabe des Digitalfestivals re:publica statt. Ich war nicht zum ersten Mal vor Ort, streunte diesmal durch Sessions im Spannungsfeld zwischen KI und gefährdeter Demokratie – und bleibe so reizüberflutet wie ratlos zurück.

Erstmal ein Selfie: Ich an Tag 1 der re:publica 2025, gerade angekommen.

Mich einen alten Hasen der re:publica zu nennen, halte ich einerseits für vermessen. Ich gehörte nie zu irgendwelchen Early Adopters, bin mit keinem verwandt oder verschwägert und sprach auch nie selbst auf einer der immer zahlreicher und größer werdenden Bühnen. Andererseits besuche ich die einst als eine Art Bloggertreffen ins Leben gerufene Digitalkonferenz, die sich selbst seit geraumer Zeit als Festival für die digitale Gesellschaft begreift, schon seit 2009 recht regelmäßig. Mal für den einen festen Arbeitgeber, dann den anderen, danach als freier Journalist zum Beispiel für den „Tagesspiegel“.

Damals, vor nunmehr 16 Jahren, war ich noch kein Vater, ließ mir meine erst Webpräsenz abseits von MySpace und Facebook inklusive Blog von Malcolm Bunge bauen und durch eine Karikatur von Johannes Kretzschmar aka Beetlebum veredeln. Im Friedrichstadtpalast sprach Sascha Lobo über die heute wieder brandaktuell gewordene Wichtigkeit, eigene Daten auf eigenen Servern, mindestens aber nicht auf denen von Tech-Unternehmen im Ausland zu hosten. Er erklärte einen Tweet von Programmierer und Designer Markus „Kosmar“ Angermeier, der sinngemäß „Bratwurst im Zoo. So sind die Menschen.“ lautete, zu seinem Lieblingstweet aller bisherigen Zeiten. In der Kalkscheune hörte ich, wie das Orga-Team als krönenden Abschluss dieser dritten und mit nur 1500 (!) Besucher*innen ausverkauften re:publica in schon damaliger Tradition „Bohemian Rhapsody“ zum Besten gab.

Seitdem ist viel passiert. Ich befüllte artig mein Blog mit Schnappschüssen, Texten und hin und wieder Medienkritik. Sein Höhepunkt war erreicht, als er – oder es, um es wie einst Anatol Stefanowitsch mit dem ursprünglicheren Neutrum statt dem verbreiteteren Maskulinum zu halten – in der Rubrik „6 nach 9“ vom BILDblog gleich zweimal (hier und hier) innerhalb weniger Monate zitiert und verlinkt wurde. Die re:publica hingegen wächst von Jahr zu Jahr. 2015 kündigten die Co-Gründer Tanja und Johnny Häusler die Gründung einer sogenannten Teenage Internetwork Conference, kurz TINCON, an. Ich stellte Tanja dazu für mein zwei Jahre zuvor aus Nachwuchsgründen gelaunchtes Väterblog newkidandtheblog.de ein paar Fragen und befülle dies seitdem mal mehr, mal weniger fleißig. Die TINCON co-existiert bis heute zusammen mit der re:publica, die vor und nach zweifachen Ausflügen in die Arena Berlin und den Festsaal Kreuzberg sowie zwei pandemiebedingten Digital-Events in der STATION Berlin ihr Zuhause gefunden hat und dieses Jahr laut eigenen Angaben insgesamt 30.000 Besuche, 650 Programm-Sessions und mehr als 1200 Sprecher*innen zählte, 54 Prozent von ihnen weiblich. Und ebenda verguckte ich mich 2024 in André Frank Zimpel.

Zimpel ist Psychologe, Pädagoge und Hochschulprofessor, forscht als selbst Betroffener zu Neurodiversität und ihrem Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz und erklärte so beeindruckend wie wertschätzend, wieso unsere Gesellschaft es sich nicht leisten kann, soll und darf, neurodiverse Kinder und Erwachsene, etwa solche auf einem autistischen Spektrum, durchs Raster überholter Normen fallen zu lassen. Ausgemachte Sache, dass ich als Fanboy seinen diesjährigen Vortrag mit dem Titel „Hilfe, wir werden dümmer! Wie eine Symbiose aus Neurodiversität & KI die Demokratie retten könnte“ keinesfalls verpassen würde. Diesmal musste der gute Mann sich kürzer fassen und wagte sich dabei sogar auf Rap-Terrain. Sein aktuelles Buch „Wahnsinnig intelligent“ wollte ich vor Ort am Folgetag kaufen. Ausverkauft noch während der Autogrammstunde, bin wohl nachvollziehbarerweise nicht der einzige Fan.

André Frank Zimpel auf der re:publica 2025 über KI und Neurodiversität:

Welche Programmpunkte, Talks, Panels oder Keynotes ich mir noch gab, bevor ich nachmittags mit meinen Kindern VR-Brillen im TINCON-Bereich, Retro-Games sowie Partner-Stände der #rp25 auscheckte? Viel zu wenige, weil schon die schiere Menge der Parallel-Angebote längst viel zu überfordernd ist. Weil die Auftritte von Politiker*innen wie Bundeskanzler Friedrich Merz, Heidi Reichinnek oder Ricarda Lang wie auch ein Großteil der anderen Slots als Mitschnitt früher oder später gewiss auf YouTube bereitgestellt werden. Weil die re:publica nach wie vor auch ein Networking-Event ist, bei dem man alte Bekannte trifft, vielleicht neue kennenlernt und diese Smalltalks und persönlichen Updates dem Zuhörversuch in überfüllten Sälen mitunter vorzieht. Weil die eigenen Aufnahmekapazitäten begrenzt sind. Und weil die begeisterndsten Auftritte oftmals die sind, in die man nur zufällig gerät.

Marcus John Henry Brown: Mic Drop auf der re:publica 2025

2024 „entdeckte“ ich auf diese Art und Weise im Vorbeigehen Zimpel auf der großen Bühne 1. Zum Glück bin ich stehengeblieben. Und dieses Jahr nahm mich bereits erwähnter Markus Angermeier, den ich in den Nullern als HTML-Dozent an meiner Uni kennenlernte und der heute KI-Profi (und DJ auf der re:publica) ist, spontan mit zu Marcus John Henry Brown in die erste Reihe. Ein re:publica-Urgestein, wie ich lernte und bisher offensichtlich stets verpasste. Ey: Ich glaube, ich habe in meinem Leben bislang keine so rhetorisch brillante wie pointierte Präsentation erlebt. Very british und very german zugleich! Ironischerweise übrigens eine, in der es um genau dies ging – um die Kunst der Präsentation und des Vortrags, das Handwerk und die Psychologie dahinter.

Ich finde: Browns Tipps, die ich fleißig abfotografiert habe, sollte eigentlich auch jede*r Journalist*in, Autor*in und Content Creator befolgen, die oder der will, dass die eigenen Texte, Videos oder Podcasts wirklich rezipiert werden. Browns Mic Drop: Nun, da er seine eigene Präsentationsphobie endgültig abgelegt und den eigenen Vortrag perfektioniert habe, würde er nie wieder selbst auf der re:publica auftreten, fortan aber als Berater anderen Speakern mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Q.E.D.: Für diesen Blogpost hier habe ich Browns Tipps noch geflissentlich ignoriert, LOL. Hier deshalb lediglich in Kürze, was/wen ich mir noch auf der re:publica 2025 ansah und für empfehlenswert halte.

re:publica 2025: Welche Auftritte ich mir außerdem ansah

Historikerin Hedwig Richter im Gespräch mit Geraldine de Bastion unter dem Titel „Das eherne Gehäuse der Geschlechterordnung: Hausfrauen und Krise“. Es ging um Rollenverteilungen und Tradwives – mit der entlarvenden Randnotiz, dass traditionelle Hausfrauen in der Nachkriegszeit und zu Beginn des Wirtschaftswunders ja gerade nicht ausufernd gekocht hätten: „Die 50er waren eigentlich das Jahrzehnt der Konservendosen“.


Investigativjournalistin Lea Weinmann von der SZ plauderte im Rahmen der TINCON aus dem Nähkästchen der datengetriebenen Arbeit ihrer Redaktion. Am Beispiel eines konkreten Geolocation-Falls aus der Kriegsberichterstattung gab sie Recherchetipps und -Tools zur Verifizierung von Fotos an die Hand, von denen ich als Kultur- und Popjournalist mutmaßlich nie Gebrauch machen muss. Und sie zeigte auf, wie viele Daten wir alle, ob bewusst oder unbewusst, online hinterlassen und die Rückschlüsse zulassen. Ein Video ihres Vortrags gibt es zwar nicht, dafür hat Weinmann ihre Präsentation online zum Download bereitgestellt.


Ein von der GEMA unterstütztes Panel namens „Next Level Sound: Wie KI die Musikwelt verändert“ über kopierte Stimmen und Instrumente, Songwriting, Urheberrechte und neue Chancen, das der aus Radio Eins bekannte Dr. Pop komödiantisch eröffnete. Halbwegs ernüchterndes Fazit von Diane Weigmann (Ex- Lemonbabies): „Verliert gerne den glauben an die Musikbranche, nicht aber an eure Kunst. Auch wenn ihr nix damit verdient.“


Sally Lisa Starken, die über die Motivation hinter der Recherche und die tatsächlichen Begegnungen berichtete, die zu ihrem Buch „Zu Besuch am rechten Rand: Warum Menschen AfD wählen“ führten. Leider kein Mitschnitt auffindbar, dafür ein Foto:

Sally Lisa Starken auf der re:publica 2025 (Foto: Stefanie Loos/re:publica)

Publizist Albrecht von Lucke, der trotz des sperrigen Titels „Das Ende unserer Illusionen: Vom Post-Post-Materialismus zum Post-Post-Militarismus“ rhetorisch gewohnt ein- und mitnehmend „vom Traum der digitalen Utopie zur Rückkehr von Krieg und Kohle“ und von „Putin und Trump als Gamechanger im Netzzeitalter“ sprach.


Und Sanaz Saleh-Ebrahimi, die in einem Kurz-Vortrag ihren Weg „von der Journalistin zur Content Creatorin“ raffte (es ging um Gurken-Sushi und die Alkohollobby) und die juristischen Eskapaden zwischen ihr und dem „More Nutrition“-Gründer Christian Wolf schilderte, nachdem sie im Auftrag der „ZEIT“ kritisch über sein Unternehmen und dessen, nun ja, mindestens fragwürdiges Marketing berichtete. Als Freelancerin ohne finanzielle Rückendeckung, wohlgemerkt. Schlussendlich aber mit für sie erfolgreichem Ausgang.


Gut: Gehört und gesehen hätte ich gerne noch Maja Göpel, Dirk von Gehlen, Annika Brockschmidt und Sebastian Leber („Wie wir die AfD stoppen können“), zum Beispiel. Aber das werden sie erstens auch ohne mich, und zweitens gibt es für diese Namen ja ebenfalls YouTube.

Erst wollte ich keines, am Ende dann halt doch: Foto vor der Sort-Of-Insta-Wand bei der re:publica 2025

Das Ende der Gewissheit

So verschieden die diskutierten Themen gewesen sein mögen – vereint waren sie gefühlt in dem omnipräsenten Subtext als gemeinsamer Nenner: Durch KI und Kriege gibt es keine Gewissheiten mehr. Und das wiederum ist eine Erkenntnis, die mich als Vater auch weit weg von einer Digitalkonferenz mit dem Motto „Generation XYZ“ umtreibt. Weil ich meine Kinder als Teil der Generation Alpha beschützend und empowernd in eine Welt entlassen will, die ich selbst immer weniger verstehe und von der ich heute nicht weiß, wie sie morgen aussieht.

P.S.: Speaking of eigene Texte auf eigenen Seiten: Meine erste Butterfarm Homepage www.fabian-soethof.de, die nicht ganz so alt wie die re:publica ist und aktuell im dritten WordPress-Theme steckt, wird bald zu neuem Leben erweckt, mindestens aber mit einem neuen Anstrich und mehr Portfolio-Charakter versehen. Weil meine Söhne und somit auch ich mit einem Väterblog vielleicht nicht zu alt werden wollen. Ich aber auch abseits von Kinderthemen, so KI es will und ich es kann, Journalist und Autor bleiben werde.

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