„Fritz Litzmann, mein Vater und ich“: Ein Film, den alle Väter und Söhne sehen sollten

Große Kleinkunst über große Kleinkunst: Regisseur Aljoscha Pause hat eine Dokumentation über den Kabarettisten Rainer Pause gedreht – und damit eine so politische wie private Werk- und Nabelschau darüber, wie Leben, Karriere und Prioritäten seines Vaters das eigene Heranwachsen in begleitenden Bahnen erschwerte.

Mein persönlicher Zugriff zuerst (ist hier schließlich immer noch ein Blog): Aljoscha Pause und ich, wir sind uns keine Unbekannten. Seinen Namen nahm ich das erste Mal wahr, als ich 2020 seine ganz wunderbare Langzeitdoku „Wie ein Fremder – Eine deutsche Popmusik-Geschichte“ sah. Über fünf Jahre hinweg begleitete der Bonner Filmemacher, dessen Schwerpunkt davor im Profi-Fußball lag, den Ausnahme-Musiker Roland Meyer de Voltaire. Dessen Band Voltaire wurde Mitte der Nuller als deutsche Antwort auf Radiohead gehandelt. Ihr Durchbruch blieb aus, er selbst hielt sich danach in einem prekären Künstlerdasein nur halbwegs über Wasser (und Pause die Kamera darauf) – und erfand sich schließlich unter dem Namen SCHWARZ neu. Für den Musikexpress schrieb ich über die so entstandenen fünf Folgen, die es auf 3sat, ins Heimkino und auf Netflix schafften, führte ein Interview mit Roland Meyer de Voltaire – und erhielt drei Jahre später eine Anfrage von ihm: Er nehme gerade in kompletter Eigenregie sein neues Soloalbum auf, suche wen, der ihm für die Pressearbeit einen biografischen Text, den in der Branche sogenannten Waschzettel, verfasst – und sein Freund Aljoscha, offenbar auch ein reger Verfolger der deutschsprachigen Pop-Presse, hätte mich ins Spiel gebracht. Wir kamen zusammen, ich schrieb knapp mit Pause und an dem Abend, als Roland sein Album „Red Pill“ in einem Berliner Kinosaal vorstellte, lernten wir uns kennen.

Warum ich hier derart aushole? Nun: Eben jener Aljoscha Pause hat dieser Tage einen neuen Film ins Kino gebracht, und der verbindet auf für mich überraschende Art und Weise meine journalistischen (und privaten) Kernbeschäftigungsfelder Pop, Kultur und Elternschaft. Ich möchte ihn auch Euch wärmstens ans Herz legen.

„Fritz Litzmann, mein Vater und ich“: So abwesend können auch eigentlich anwesende Väter sein

„Fritz Litzmann, mein Vater und ich“ erzählt vordergründig die Geschichte von Rainer Pause. Es geht um sein Elternhaus, seine Kindheit und Jugend, seine erst milde Rebellion gegen die Erwartungshaltungen seiner Eltern – und darum, wie er in Kommunen und dem Kabarett seine Berufung fand, Rio Reiser kennenlernte, seine auch über die Theaterszene hinaus legendäre gewordene Bühnenfigur Fritz Litzmann erfand und sich spätestens durch die Gründung des noch legendärer gewordenen Kleinkunsttheaters „Pantheon“ am Bonner Bundeskanzlerplatz, in dem das Who-is-Who der deutschen Comedy und des Kabaretts frühe Auftritte absolvierte, vollends in der Arbeit verlor. Auf Kosten seiner Nächsten.

Denn: Erst hinter-, dann ebenso vordergründig erzählt Rainer Pauses Sohn Aljoscha von seiner eigenen Kindheit und Jugend als Sproß eines alleinerziehenden Vaters, der zu einer lokalen Berühmtheit aufsteigt, daheim aber durch maximale Abwesenheit und Desinteresse glänzt. Aljoscha, zu dessen ersten Wörtern „Rotfront“ gehört haben soll und schon als Dreijähriger abends oft allein gelassen wurde, interessiert sich für Fußball. Rainer, wie er seinen Vater schon als Kind zu nennen hatte, hält das für eine Proletenbeschäftigung. Als er ein einziges Mal ein Spiel seines Sohnes besucht, sieht er dessen Tor und dessen suchenden Blick gen Spielfeldrand nicht. War kurz Kippen holen.

Aljoscha Pause als kleiner Junge (Foto: Mindjazz Pictures / Privatarchiv)

Autonomie und Selbständigkeit, das soll dem Vater wichtig gewesen sein. Immerhin: Lesen, schreiben und erzählen, dazu habe er sein Kind animiert. Weil Regeln, Kontrolle und verbale und körperliche Zuneigung nicht existieren, gerät Aljoscha als Teenager zeitweise auf das, was man wohl schiefe Bahn nennt. Er schwänzt die Schule, schmeißt Partys, raucht, säuft, rebelliert, inszeniert sich selbst als coolen Draufgänger, der er wohl auch war – und kriegt als junger Erwachsener von einer fast folgenschweren Nacht auf die andere die Kurve. Er holt sein Abi nach, studiert, schlägt einen Berufsweg beim Radio und Sportfernsehen ein, gründet schließlich eine eigene Familie, die er so nie hatte, während sein Vater sich anhaltend und übrigens bis heute weiterhin um sein eigentliches Kind, das „Pantheon“, kümmert.

An all das erinnern sich vor Pauses Kamera zuerst er selbst aus dem Off („Rainer hat sich nie besonders über das Vatersein definiert. Er war so mit seinem eigenen Weg beschäftigt, dass ihm das Detailinteresse am Leben seiner Kinder fehlte.“) und sein Vater, der, mit seinen Versäumnissen konfrontiert, Reue zeigt und ohne Rechtfertigungscharakter schildert, was er sich damals wobei gedacht oder eben nicht gedacht habe. Der heute 78-Jährige sagt dabei ehrliche Sätze, die mich als Vater und Sohn selbst haben schlucken lassen oder die heute aus anderen Gründen niemand so mehr zugeben würde. Zum Beispiel:

„Es war für mich nicht erstrebenswert, eine Familie zu haben. Es gab keinen Grund dafür. Außer die natürliche Situation, dass ich auf einmal Vater wurde.“

„Wir haben uns keine Gedanken gemacht. Schwanger? Passiert uns nicht. Und dann doch. ‚Scheiße!‘, dachten wir und fragten uns: Abtreiben oder nicht? Letztlich, wie du weißt…“

„Deine Mutter und ich trennten uns 1975. Irgendwie war das selbstverständlich, dass Du zu mir kommst. Sie war damit einverstanden, wollte das auf jeden Fall so. Sie selbst sah sich außer Stande.“

„Dobrina (Rainers spätere Freundin, der Aljoscha im Film sagt, sie sei, obwohl er auf sie auch nicht hörte, die einzige gewesen, die ihm zeitweise eine Art Halt gegeben hätte, Anm.) war da ab mittags. Das war mein großes Glück. Nur so ging es.“

„Mein Vater hat mir niemals gesagt, dass er mich liebt. Wäre undenkbar gewesen. Das war eine Macke, die ich von meinem Vater übernommen habe.“

„Ich dachte, ich bin da. Aber ich war nicht da. Ich war auch im Kopf nicht da. Das kann ich nicht rückgängig machen.“

„Ich bedaure das sehr, dass Du die Freiheit als Haltlosigkeit empfunden hast. Gewünscht war das nicht.“

„Fritz Litzmann, mein Vater und ich“-Trailer:

Danach erinnern sich Ex-Partnerinnen seines Vaters, die damalige „Ton Steine Scherben“-Managerin Claudia Roth, Wegbegleiter wie Gerhard Polt, Norbert Alich, Georg Schramm („Du warst ein Faktor, der schwierig ist, wenn man politische Aktivitäten planen will. Ständig die Frage: Was machen wir mit Aljoscha?“), Helge Schneider, und „Pantheon“-Nutznießer der folgenden Generation wie Sebastian Puffpaff, Caroline Kebekus und Florian Schröder sowie alte Schulfreunde von Aljoscha*, darunter niemand Geringeres als Bastian Pastewka und Schauspieler Oliver Masucci.

Der spricht in einem der letzten Sätze und Szenen des Films ein versöhnliches Fazit. „Natürlich gab es bei Dir ein ‚zu wenig‘. (…)“, sagt er zu seinem alten Kumpel. „Aber deine Geschichte hat auch etwas mit Liebe zu tun. Die ist ja da, offenbar. Ich habe Dich und Deinen Vater ja gerade gesehen. Und wenn ich dabei Dich sehe und wie Du diesen Raum hier anschaust, dann ist da ja viel Liebe. Diese Liebe – oder nenne es Anziehungskraft oder Gravitation – ist das, was uns umkreist. Was am Ende bleibt.“

Im Epilog resümiert Aljoscha Pause selbst: „Ich habe jetzt einen klareren Blick darauf, was gefehlt hat. Aber ich sehe auch, dass Rainer immer Vertrauen in mich gehabt hat, ‚der schafft das schon‘. Damit hat er es sich vielleicht auch ein bisschen leicht gemacht. Aber trotzdem bin ich ja mit diesem Gefühl in die Welt hinaus gegangen. Unabhängig und frei von Konventionen.“

Dieses Versöhnung andeutende Ende scheint übrigens tatsächlich ein Neuanfang oder ein weiteres Kapitel in der Beziehung von Vater und Sohn, mindestens aber zwei Kreativer aus verschiedenen Generationen, geworden zu sein: Im Vorfeld des Kinostarts am 28. Mai 2025 (Vatertag!) tourten Aljoscha und Rainer Pause für diverse Vorführungen und Gesprächsrunden durch die Republik. Ich denke, ich darf aus privaten Chatnachrichten zitieren, in denen Aljoscha schrieb: „Spannend auch, was sich für meinen Vater und mich daraus ergibt. Da entsteht wirklich was Neues.“

Wer bis hierher gelesen, meine Message aber noch immer nicht kapiert hat: „Fritz Litzmann, mein Vater und ich“ ist ein vielleicht überladen klingender, aber ganz und gar nicht überladener, sondern ganz anrührender, informativer, aufarbeitender und lehrreicher Film – für die Geschichtsbücher der Familie Pause, des deutschen Kabaretts und der Studentenbewegungen. Aber auch einer für Väter wie mich, die sich heute, anders als damals Rainer Pause, bewusst fragen, was für ein Vater und Mann sie sein wollen, sollen und aus welchen Gründen sein können oder nicht, ob und inwiefern die Beziehung zum eigenen Vater (und zur Mutter) sie geprägt hat, was sie alles falsch (oder auch richtig) machen, wie endgültig ein gefühltes Scheitern ist und was zur Hölle die eigenen Söhne eines Tages von ihrem Alten denken werden. Und die dabei noch einen guten Score von Ton Steine Scherben bis SCHWARZ auf die Ohren kriegen.

* Alte Schulfreunde, die es allesamt „geschafft“ haben und den Anschein erwecken, mit über 50 ein gesundes, aufgeräumtes und auch finanziell gutes Leben zu leben. Nur dort hätte ich mir als Vater und Journalist mehr Abwechslung gewünscht. Oder hat sich das damalige Versprechen, das, anders als heute, viel Arbeit auch viel Wohlstand bedeute, tatsächlich ausnahmslos bewahrheitet? (Gleichwohl weiß ich aus eigener Erfahrung, dass zu Klassentreffen auch nur Leute kommen, die glauben, etwas vorweisen zu können und keine Angst verspüren, in den Augen anderer mangels „Karriere“ weniger wert zu sein. Aber ich schweife ab.)

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