Bleibt entspannt und stresst Euch: Wir hatte eines Tages nicht nur eine gute und fußläufig erreichbare Kita für unsere (mittlerweile schulpflichtigen) Kinder gefunden, sondern, wegen Wechseln, sogar mehrere. Ihr schafft das auch! Mein Erfahrungsbericht für den „Tagesspiegel“, der am, 3. September 2024 in gekürzter Version in der gedruckten Zeitung und danach auf Tagesspiegel.de erschien – nur wenige Wochen, bevor Schlagzeilen von „Tausenden Kitaplätzen, die frei bleiben“ die Runde machten.
Die schlechten Nachrichten zuerst: Mit der Suche nach einem Kitaplatz in Berlin verhält es sich mitunter wie mit der Wohnungssuche. Inserate der öffentlichen und privaten Träger sowie des Dachverbandes Berliner Kinder- und Schülerladen (DaKS) wollen durchforstet, Bekannte angehauen, Excellisten geführt und potentielle Anbieter, so hoffen besonders verzweifelte Eltern, mit Blumen, Pralinen, Bewerbungsschreiben und polizeilichem Führungszeugnis umgarnt werden. Das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage ist ähnlich groß – und diese Suche ohne Kompromissbereitschaft, obwohl es doch um nicht weniger als das Wohlergehen des eigenen Kindes geht, schier aussichtlos. Das Personal ist nett, aber in den Ecken schimmeln Wasserflecken? Nehmen wir! 20 Rotzlöffel auf zehn Quadratmeter ohne Garten oder Hof? Why not! Betreuungsschlüssel von 1:100? Kinder an die Macht! Zum Mittagessen gibt es frittierte Schokoriegel? Hauptsache eine warme Mahlzeit! Ich übertreibe nur geringfügig – und könnte gleichzeitig von unglaublichen Unfällen und Verletzungen der Aufsichtspflicht berichten, die nicht passieren dürfen, aber passiert sind. Würde ich damit bloß nicht den Einrichtungen schaden, Berliner Eltern damit indirekt noch mehr Plätze vom Markt nehmen und dem Großteil der wirklich engagierten Erzieher*innen und Leitungen von Kindergärten und -läden, den in Berlin bekannten sogenannten Elterninitiativ-Kindertagestätten (EKT), sowie Tagesmüttern und -vätern unrecht tun.
Es gibt ein Recht auf einen Kita-Platz
Und damit zu den guten Nachrichten: Obwohl in Berlin keine zentrale und allen Beteiligten Stress sparende Platzvergabe in den Bezirken oder Einzugsbereichen existiert und obwohl es theoretisch zwar einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf eine Teilzeitförderung in einer Kindertagesbetreuung vom vollendeten ersten Lebensjahr an, praktisch aber viel zu wenige (auch geografisch zumutbare) Plätze gibt – es fehlten zuletzt bis zu 20.000 Kita-Plätze, auch an Fachpersonal mangelt es –, kenne zumindest ich in meiner vergleichsweise privilegierten Bubble kein Kind, das bis zu seiner Einschulung in Mamas oder Papas Büro auf deren Schoß verharren musste (oder ich kenne es gerade deshalb nicht). Am Ende kamen sie noch alle unter. Und wenn nicht? Merkte es niemand, weil Eltern keine Lobby haben. Und weil oft die Frauen stillschweigend länger zuhause blieben, während die Männer malochen gingen und so die Gender Care Gap zementierten oder gar vergrößerten.
„Das Personal ist nett, aber in den Ecken schimmeln Wasserflecken? Nehmen wir! 20 Rotzlöffel auf zehn Quadratmeter ohne Garten oder Hof? Why not! Betreuungsschlüssel von 1:100? Kinder an die Macht! Zum Mittagessen gibt es frittierte Schokoriegel? Hauptsache eine warme Mahlzeit!“
„Ich bin die Anwältin unserer Kinder“, sagt Susanne Gether über ihr pädagogisches Selbstverständnis. Seit 26 Jahren arbeitet sie als Erzieherin. Heute leitet sie außerdem drei Erzieherinitiativen in Kreuzberg. Dort erreichen sie auf rund 70 Plätze pro Jahr schätzungsweise 300 Bewerbungen. In vielen stimme schon der Ton nicht. Herkunft, Hintergrund, Berufe und Gehälter sind ihr egal: Gether ist wichtig, dass die Eltern Teil des Kiezes, entspannt, umgänglich und kooperativ sind, ihre Kinder nicht nur loswerden wollen und ihren Teams vertrauen. Gleichzeitig beobachtet sie anderswo eine zunehmende Verrohung und nahezu übergriffige Anspruchshaltung einiger Eltern. Bei vielen stimme der Umgangston nicht mehr – neben dem überschaubaren Einkommen laut Gether ein Grund, warum gerade nach Erfahrungen in staatlichen Großkitas viele Erzieher*innen hinwerfen und der Krankenstand so hoch ist. Dass trotzdem neue Einrichtungen eröffneten, sei nur möglich, weil dort keine ausgebildeten pädagogischen Fachkräfte, sondern Erzieherhilfen oder Teilzeitkräfte arbeiten dürfen und müssen. So kriege zwar tatsächlich früher oder später jedes Kind einen Platz. Aber wahrscheinlich nicht den perfekten, nein.
Es scheint mehr freie Plätze für Vier- als für Einjährige zu geben
Unser Trick war eigentlich gar keiner. Als unser erstgeborener Sohn, keine Ahnung, drei bis fünf Monate jung war, begannen wir mit der aktiven Suche für eine geplante Eingewöhnung zu seinem ersten Geburtstag. Von so widersprüchlichen Sätzen wie „Da hätten Sie sich mal vor der Befruchtung melden sollen!“ bis hin zu „Bleiben Sie ganz entspannt und rufen einfach in fünf Monaten wieder an!“ ließen wir uns nicht beirren, wir hatten ja keine Wahl. Rund ein Dutzend Einrichtungen kamen damals theoretisch zuerst infrage. Wir notierten neben unseren Eindrücken, wann wir wo mit wem sprachen, fragten bei den Favoriten mit ausreichend zeitlichem Abstand nach und erhielten schließlich mit ausreichendem Vorlauf für unsere Planung eine Krippen-Zusage. Auch der Geschwisterplatz für den zweieinhalb Jahre später folgenden Bruder würde damit ausgemachte Sache sein (bei der Einschulung klappte dies leider nicht). Mein bescheidener Tipp? Nett und beharrlich bleiben, aber nicht aufdringlich werden. Ehrlich zeigen, dass man angenehm engagiert ist, keine Probleme machen wird, sein Kind aber natürlich in guten Händen wissen will. Und sich im Zweifel lieber nicht aufs Wort allein verlassen. Sofern ein Vertrag erst in Monaten geschlossen werden soll, lasst Euch eine mündliche Platzzusage nach Möglichkeit auch schriftlich geben.
Woran Ihr erkennt, ob eine Einrichtung die richtige für Euer Kind ist? Fragt andere Eltern, die ihr schon älteres Kind dort abholen. Fragt deren Kinder selbst, sofern Ihr dürft. Fragt beim Erstgespräch nach allem, was Euch wichtig ist: Gruppengrößen, Betreuungsschlüssel, Förderschwerpunkte, Essensqualität, Aktivitäten, Ausflüge, zum Beispiel. Und fragt Euch selbst auch nach der Eingewöhnung bis hin zur Einschulung immer wieder: Geht es meinem Kind dort gut? Besucht es die Kita gerne? Wird es wirklich gesehen? Braucht es besondere Unterstützung? Nehmen sich Leitung und Erzieher*innen Zeit für Fragen, Sorgen und Entwicklungsgespräche? Wie ist die Grundstimmung im Team? Welchen Ruf hat der Träger?
Wenn Euer Kind Trubel mag und Ihr beruflich sehr eingespannt seid, empfiehlt sich eine gut geölte Großeinrichtung der fünf Kita-Eigenbetriebe von Berlin. Die haben meist auch einen eigenen Hof und Spielplatz. Braucht es ein bisschen mehr Ruhe und habt Ihr Zeit für Mithilfe, könnte eine EKT das Richtige für Euch sein. Die stecken zwar oft in renovierungsbedürftigen Altbau-Erdgeschossen ohne eigenen Garten, dafür stehen Ausflüge zu Spielplätzen oder in Parks im Kiez auf der Tagesordnung. Es ist wie auch hier wie bei einer neuen Wohnung: Die echten Vor- und Nachteile erkennt Ihr erst nach ein paar Monaten. Das weiß auch Amidou Konaré, Vater zweier Kinder und Leiter einer Einrichtung eines freien Trägers in Tiergarten: „Es gibt keinen perfekten Platz, auch wenn manch einer auf dem Papier so klingen mag. Die Realität sieht immer anders aus. Eltern müssen überlegen, was ihnen bei der Erziehung ihres Kindes wichtig ist und worauf sie bereit sind zu verzichten. Keine Kita kann alles leisten, manchmal noch nicht mal das versprochene. Und wenn Eltern nicht mehr zufrieden sind, müssen sie einen Wechsel in Angriff nehmen.“
Dass der gelingen kann, weiß ich aus eigener Erfahrung. Susanne Gether bestätigt: Wer wegen eines Kita-Wechsels, zum Beispiel wegen Unzufriedenheit oder eines Umzugs, oder vorheriger Selbstbetreuung einen Platz für ein vierjähriges Kind sucht, findet leichter einen als mit zwölf Monaten. Weil den nicht alle gleichzeitig suchen, solche wegen Wechseln anderer Kinder manchmal frei werden und das Altersgefüge in der Gruppe oder den Gruppen beibehalten werden soll. Dies wiederum führt übrigens immer wieder mal zur ungewollten Geschlechter-Diskriminierung: „Wir haben ab März einen Platz für ein Mädchen, Jahrgang 2020 frei!“, steht sinngemäß immer wieder mal auf Zetteln an Kita-Eingängen geschrieben. Blöd, wenn du gleich um die Ecke wohnst, seit Monaten suchst, dein Kind diese Kriterien aber knapp verfehlt und du es nicht einklagen willst.
Was erfahrenere Eltern ebenfalls längst wissen: Kinder „funktionieren“ wohl oder übel in der Regel nicht so, wie sie oder das Bildungssystem sich das wünschen. Mit Erwerbsarbeit in Vollzeit und Festanstellung sind die Kleinen ohne ein Dorf an Freund*innen und Verwandten im Rücken schlichtweg nicht kompatibel – und die Platzvergabe und Arbeitnehmerfreundlichkeit in Berlin auch nicht. Sprich: Ihr könnt den Betreuungsvertrag mit dem Blut Eurer Nachfahren unterschrieben haben – wenn Ihr vorm Beginn der geplanten Eingewöhnungsphase merkt, dass das Kind eigentlich doch noch nicht so weit ist und es lieber in sechs Monaten nochmal versuchen sollte, muss es und Ihr trotzdem dadurch. Oder Ihr mit einem großen Aufriss um eine spätere Platzaufnahme kitaseitig und parallel um eine relativ kurzfristige Verschiebung der vielleicht dafür genommenen Elternzeit beim Arbeitgeber kämpfen. Kämpfe, die Eltern gar nicht sollten führen müssen, wie ich finde. Sie wollen doch nur für ihre Kinder (und sich selbst) das Beste. Wie wir eigentlich alle.