Viele Schülerinnen und Schüler klagen zunehmend über die Qualität des Schulessens. Und das oft nicht deswegen, weil ihre Eltern sie zu kleinen Feinschmecker-Gourmets „verzogen“ hätten, vermute ich in meiner Kolumne für das Deutsche Schulportal. Ich sehe, wie auch an anderen Stellen der Bildungspolitik, den Fehler im System. Über Nudeln, teure Mahlzeiten und Preiswettbewerbsvergaben bei Caterern.

+++ Diese Kolumne ist zuerst am 10. Dezember 2024 beim Deutschen Schulportal erschienen +++
Eltern von Schulkindern kennen die leidigen Gesprächsversuche am Nachmittag:
„Na, wie war es in der Schule?“
„Gut. / Geht so. / Wie immer.“
„Welche Fächer hattest du heute?
„Dieselben wie jeden Tag.“
„Was habt ihr denn so in Mathe gemacht?“
„Vergessen.“
„Und was gab es in der Mensa zu essen?“
Achtung: Bis vor ein paar Monaten hätte bei uns auch hier eine erwartbare Antwort in ähnlich egalem Tonfall „Nudeln“ oder „weiß ich nicht mehr“ lauten können. Mittlerweile frage ich den Fünftklässler aber zuerst, ob er überhaupt in der Mensa war – immer öfter hat er keinen Appetit oder dieser vergeht ihm nach dem Blick auf den Speiseplan. Und wenn er sein Glück doch mal probiert, schmeckt ihm die warme Mahlzeit nur teilweise. Ich kenne dazu keine belastbaren Statistiken und kann die tatsächliche Qualität des Mensa-Schulessens nicht persönlich überprüfen, würde aber anhand von Gesprächen mit anderen Eltern behaupten: So wie meinem Sohn geht es immer mehr Kindern.
In der Gesamt-Elternvertretung unserer und wahrscheinlich vieler weiterer Schulen wird das Thema „Schulessen“ gefühlt seit Jahren diskutiert. Regelmäßig auf dem Prüfstand stehen, je nach Häufigkeit der Beschwerden, Fragen wie: „Wie beurteilen eure Kinder aktuell das Essen? Wie sehr fühlen sie sich abgeholt? Gehen sie immer essen? Vergessen sie das Mittagessen gelegentlich?“
Schulessen: Das Catering-Debakel in Berlin
Im Sommer 2024 eskalierte in Berlin die Situation an 103 Schulen. Auch die Schule meines Sohnes war betroffen. Deren Essensverträge wurden, mutmaßlich zu kurzfristig, in einem laut Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch zu komplizierten Verfahren an einen neuen Caterer vergeben. Der war spürbar überfordert: Nach den Ferien wurden die pro Schule mitunter mehreren hundert Mahlzeiten oft zu spät oder gar nicht angeliefert. Schulleitungen teilten mit, dass die Qualität des Essens, wenn es denn da sei, sehr zu wünschen übrig lasse, und baten Eltern zwangsläufig, ihre Kinder bis auf Weiteres so mit eingepacktem Essen zu versorgen, dass sie auch ohne Catering gut durch den Schultag kommen können. Und je nach Betreuungsumfang im offenen Ganztagshort dauert der teilweise bis 17 Uhr! Der Caterer begann zeitgleich damit, die Verträge mit einzelnen Bezirken einvernehmlich wieder aufzulösen. Unser „Glück“ nur, dass unser Sohn das fehlende Mittagessen gar nicht vermisst hat.
Jammern Eltern heutzutage auf hohem Niveau?
Als ich selbst zur Grundschule ging, gab es dort gar kein Mittagessen, über das sich jemand hätte beschweren können. Und wenn ab Klasse 5 auf dem Gymnasium die Brotdose leer war, kauften wir beim Hausmeister ein Brötchen, in das wir Kinderriegel reinstopften. Jammern heutige Eltern deshalb auf hohem Niveau? Könnten die Kinder nicht einfach zu Hause futtern? Von wegen: Dafür müsste ab Schulschluss ein Elternteil oder, wie damals bei mir, die Oma zu Hause sein und das Essen auf den Tisch gestellt haben. Erst ältere Kinder aka Jugendliche kriegen das vielleicht auch allein hin (mir als „Schlüsselkind“ half dann die Fritteuse).
Wenn von den bestellten Mahlzeiten regelmäßig ein Teil wegen „schmeckt nicht“ in der Tonne landet, hat niemand etwas davon.
Eine Situation, die auch ganz unabhängig von Fragen der Rollenklischees – meist blieben ja die Mütter daheim und arbeiteten maximal in Teilzeit – nichts mehr mit der Lebensrealität von Eltern zu tun hat. Besonders jenen, die in Großstädten leben. Ohne zwei Jobs in Vollzeit oder „vollzeitnaher Teilzeit“ sind die Lebenshaltungskosten dort kaum noch bezahlbar, und Verwandte wohnen in der Regel auch nicht um die Ecke.
Außerdem kostet auch Schulessen Geld, mitunter gar nicht so wenig: in Berlin laut Angaben des Verbands deutscher Schul- und Kitacaterer durchschnittlich 4,20 Euro und damit pro Monat pro Kind laut „RBB24” rund 66 Euro. Kosten, die das Land für Grundschülerinnen und -schüler und damit zwar nicht unmittelbar die Eltern selbst, dafür aber die Steuerzahlerinnen und -zahler, tragen. Ab der weiterführenden Schule müssen die Eltern dann selbst zahlen. Natürlich kann man es nie allen recht machen. Dennoch: Wenn von den bestellten Mahlzeiten regelmäßig ein Teil wegen „schmeckt nicht“ in der Tonne landet, hat niemand etwas davon.
Mittag um 11:30 Uhr: „Fast wie im Krankenhaus“
Unser Viertklässler auf der Nachbarschule hat indes andere Essensnöte. Der Caterer ist ein anderer, die Qualität, wie ich heraushöre, mit ähnlich viel Luft nach oben. Aus logistischen und räumlichen Gründen steht das Mittagessen für seine Klassen-Kohorte aktuell schon in der zweiten, eigentlich zum Spielen und Herumrennen vorgesehenen Hofpause, gegen 11:30 Uhr, auf dem Tisch. Zwei Stunden nach der Frühstückspause. Fast wie im Krankenhaus. Immerhin: Wer diesen Lunch verpasst, kriegt drei Stunden später noch mal eine Chance. Ach und: Neuerdings müssen wir als Eltern die Mahlzeiten in einem Online-Buchungs-System der Caterer rechtzeitig selbst bestellen. Wird dies vergessen, gibt es – zumindest theoretisch – gar nüscht auf den Tisch.
Was ich meinen beiden Söhnen und anderen Schulkindern wünsche? Nicht mehr als ein Mensa-Erlebnis, wie es mir während meiner Studienzeit an der Universität Duisburg-Essen vergönnt war: Für kleines Geld fand ich dort täglich eine frisch vor Ort gekochte Auswahl an mindestens drei verschiedenen Gerichten, kleine Auszeit und Unterhaltungen mit Kommilitoninnen und Kommilitonen inklusive. Ich habe mich regelmäßig auf den Besuch gefreut. Als meine Kinder in die Kita und später in die Grundschule kamen, dachte ich noch: Ach, ein schnelles oder kaltes Abendessen daheim ist halb so wild. Schließlich hatten sie ja mittags eine warme und gesunde Mahlzeit. Dies ist leider oft nur ausnahmsweise der Fall, stattdessen holen viele Eltern ihre Kinder müde und ausgehungert ab. Gut: Eh wir uns versehen, gehen sie sich eh lieber einen Döner an der Bude um die Ecke mit dem so fragwürdigen wie lustigen Motto „Qualität ist kein Zufall!“ kaufen. Wenn der nicht mittlerweile über sieben Euro kosten würde. Und seine Qualität eben doch – auch – Zufall ist.