(Lieber k)ein Griff ins Klo: Nicht nur gefühlt, sondern statistisch belegt stinkt es in Deutschlands Schultoiletten gewaltig, und das anhaltend. Für meine Kolumne beim Deutschen Schulportal erinnere ich mich an meine eigene Schulzeit – und frage mich, meinen Vater, den Sanitärfachmann sowie den Direktor der Schule meines Sohnes, wo zur Hölle eigentlich das besch*ssene Problem liegt.
+++ Diese Kolumne erschien zuerst am 19. März 2024 beim Deutschen Schulportal +++

Dem folgenden Text muss ich eine Wichtigstellung vorausschicken: Über die Grundschule meines jüngeren Sohnes gibt es nichts Schlechtes zu sagen. Er ist unterm Strich so zufrieden dort, wie wir es mit ihr sind. Die Lehrer*innen sind überaus freundlich, engagiert, erreich- und ansprechbar, der Direktor ist es ebenfalls, die anderen Eltern keine dauerkritisierenden Helikopter, sondern oft aktive Mitglieder einer Gemeinschaft. Jedes Kind wird, soweit ich das beurteilen kann, gesehen und ernst genommen. Das funktionstüchtige und einladend möblierte Gebäude mag in die Jahre gekommen sein, aber das allein ist für Berliner und deutschlandweite Bildungseinrichtungen ja keine Seltenheit. Ein gerade im Stadtteilvergleich guter Ruf eilt ihr zu Recht voraus. Ein nicht zum Himmel, aber bis auf den Flur stinkendes Problem teilt diese Schule dennoch mit viel zu vielen anderen: Die Schultoiletten sind nicht unbedingt das, was man einen Rosengarten nennen würde. Wer es irgendwie schafft, verbittet sich dort den Stuhlgang.
Woher kommt der Status Po bei Schultoiletten?
Als ich mich zum ersten Mal persönlich von diesem Geruch, pardon, Gerücht überzeugen wollte, roch ich schon aus rund drei Metern Entfernung, dass ich meinem Ziel näherkomme. Es biss und ätzte milde, und das nicht, weil beim vorbeigehenden Blick in die Klassenzimmer meine mir bis heute Albträume bereitende Prüfungsangst wieder aufgekommen wäre. Nein, drei Sekunden nach Betreten der Örtlichkeiten spürte ich in zwingender Erinnerung an meine eigenen großen und kleinen Pausen nichts als benebelnde Gewissheit: In mancher Hinsicht hat sich im deutschen Schulwesen seit 30 Jahren tatsächlich nicht allzu viel geändert.
Seitdem frage ich mich: Warum ist das so? Woher kommt dieser Status Po? Obwohl in Schulen doch, anders als zum Beispiel zu Hause, jeden Tag geputzt wird? Pinkeln die Kinder seit Jahren daneben und hat sich der Urin in die Fliesenfugen eingefressen? Lassen die alle die Klodeckel oben? Halten die Rohre so viel Durchfluss nicht aus? Gibt es Rückstau? Übermäßiger Chlorgeruch würde mich übrigens ähnlich misstrauisch machen, schließlich wissen wir aus Freibädern: Je präsenter die Chemikalie in der Nase, desto mehr Dreck hatte sie im Wasser zu binden.
Toilettenpapier? Fehlanzeige!
Eine größergeschäftliche Antwort liegt, wie so oft, auf einer ganz anderen Ebene: „Ein grundsätzliches Problem ist die dauerhafte Übernutzung der Schulen“, sagte Torsten Kühne, Staatssekretär für Schulbau und Schuldigitalisierung in Berlin, im August 2023 dem Tagesspiegel. „Wenn eine Schule für 500 Kinder gebaut wurde und dauerhaft von 600 oder mehr genutzt wird, dann hat das Folgen fürs Gebäude – und natürlich auch für die Klos“, so Kühne.
Hintergrund der Anfrage war das Ergebnis einer Studie zu Sanitäranlagen in Berliner Schulen namens „Toiletten machen Schule“, die vom Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit (IHPH) der Universität Bonn und der German Toilet Organization (die u. a. das treffsichere Motto „Lokus im Schulfokus“ erfand) durchgeführt wurde. Die Studie stellte zum Beispiel heraus, dass lediglich 41,2 Prozent der Schulleitungen (weiterführender Schulen) der Aussage zustimmten, dass an ihrer Schule alle Sanitäranlagen „aktuell vollständig funktionell“ seien. 56,8 Prozent aller untersuchten WC-Räume hätten Zerstörungen aufgewiesen – ein Problem, das bei unseren von ausnahmslos Unschuldigen benutzten Grundschulklos noch nicht mal eines ist. 37,8 Prozent der befragten Schüler:innen berichteten, dass Toilettenpapier „selten“ oder „nie“ vorhanden sei. 41,9 Prozent bestätigten das verbreitete Duftbild: „Es stinkt immer“, sagten sie, wohingegen 44,8 Prozent trotzdem der Meinung waren: „Man kann es aushalten“. Weil man muss, nehme ich an.
Immer der Spürnase nach
Die Folgen dieser Zustände sind dennoch eigentlich untragbar: 46 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen vermeiden das kleine, 85 Prozent das große Geschäft, wie man in meiner Kindheit sagte. Ein Viertel erklärte ferner, dass sie zur Vermeidung von Toilettengängen weniger trinken und essen. Gesund ist das nicht. Wie muss es erst Teenagerinnen gehen, die wegen ihrer Periode ein paar Minuten Privatsphäre und Mindesthygiene suchen, aber nicht finden?
Nach Kühnes Erklärung und den Ergebnissen dieser Studie dachte ich im ersten Augenblick: Aha, ich bin also nicht allein mit meiner Spürnase! Dann hielt ich inne: Zählt das Argument der Überbelegung auch für das Gymnasium, das ich in den 90ern am linken Niederrhein besuchte? Ich habe die dürftigen Räumlichkeiten noch immer vor Augen und Nase: Die Jungsklos bestanden aus fünf Toilettenkabinen und einer Pissrinne gegenüber den Türen in gleicher Länge. Auch das ist für rund die Hälfte von 800 Schüler:innen, die es damals ungefähr gewesen sein müssen, nicht viel. Das Schulgebäude, so erfuhr ich neulich beim Abi-Treffen 21 Jahre später, wird übrigens dieser Monate abgerissen und neugebaut. Doch hey: Wäre das Problem also mit weniger Schüler:innen bereits gelöst? Zumindest nicht von selbst: Denn gerade weil seit Jahren nachgewiesenermaßen (siehe Umfrage) immer weniger Kinder und Jugendliche die Schultoiletten nutzen, müsste sich der Duft ja quasi zunehmend neutralisieren. Tut er aber nicht, weil er es sich wohl zu lange schon zu gemütlich dort gemacht hat.
Wenn auch die Klobürste nicht mehr hilft
Also frage ich bei zwei Leuten nach, die es beruflich besser wissen.
Erstens beim von mir sehr geschätzten Direktor der Berliner Grundschule meines Sohnes, deren Namen ich hier zwar nicht nenne, Herr P. aber meinen Nachnamen und seit meiner Mitarbeit in der Jahrbuch-Redaktion meinen Job kennt und nicht denken soll, ich würde seine Schule öffentlich muffig machen. Das tue ich nicht, im Gegenteil: Sie soll NOCH besser werden! Er sieht 70 bis 80 Prozent des Problems im Zustand der Sanitäranlagen, in mangelnder Ausstattung und baulichen Mängeln. „Zu wenige Toiletten haben wir hier nicht, dafür sehr alte Leitungen. Da hilft nur eine Sanierung und mehr Geld für die Reinigung“, sagt P. und relativiert: „Wobei: Zu Corona-Zeiten wurden unsere Toiletten zweimal täglich gereinigt, jetzt wieder einmal. Und das ist okay. Wenn Sie morgens hier reinkommen, sehen Sie: Die Toiletten sind sauber.“ Was muss denn passieren, damit eine Sanierung in Auftrag gegeben wird, Herr Direktor? Für die Bewirtschaftung des Objektes sei das Schulamt zuständig, erklärt er. Eine Schule könne Mängel melden. Als Reaktion darauf arbeite entweder eine Putzfirma nach oder der Bauausschuss berate, wie mit dem Mangel anders umgegangen wird. „Und dann wird bei ähnlichen Mängeln in 80 Schulen festgestellt, dass für eine Sanierung gar kein Geld da ist“, so P., „das war’s dann wieder. Bis Havarie ist.“
Seit zwölf Jahren leitet er die Grundschule im Kiez und erinnert sich: „Es gab Zeiten, da bin ich morgens mit Klobürste und Reinigungspulver durch die Schule gelaufen und habe selbst gereinigt, weil wir keinen Hausmeister hatten.“ Die Kinder könne man nur bedingt mit einbeziehen, obwohl man zunehmend versuche, ein Bewusstsein zu schaffen. Ein kleinerer Teil des Problems sei nämlich auch selbstverschuldet, weiß er. In der Oberschule sei das oft Vandalismus, ja. In der Grundschule würde hingegen als kleiner Scherz mal in die Ecke gepinkelt, nasse Papierhandtücher an die Decke geworfen, Sitzkabinen von innen verriegelt und rausgeklettert, Bleistiftstummel ins Urinal geworfen, die Toiletten als Remmidemmi-Spielplatz benutzt. „Das Bewusstsein, dass eine Toilette Gemeinschaftsgut ist, hat in den vergangenen Jahren abgenommen.“ Zum Glück, so hoffe ich, rauchen Grundschüler*innen noch nicht heimlich auf dem Klo.
Zweitens frage ich meinen Vater, gelernter Gas-Wasser-Installateur und Geschäftsführer eines kleinen Elektro-Sanitär-Familienbetriebs auf dem Land. Er erklärt die Ursache des anhaltenden und nicht zu eliminierenden Gestanks sowie dessen Auflösung ganz pragmatisch und bestätigt dadurch die Vermutung des Schuldirektors: „Wenn es stinkt, ist der Grund fast immer Urinstein und das Alter der Anlagen. Aus den Abwasserrohren dringt wegen der Siphons nichts raus, dafür müsste der Kanal irgendwo offen sein. Im Winter bleibt oft auch die Lüftung aus, weil es sonst zu kalt da drinnen ist. Die Fensterluken macht zu selten jemand richtig auf. Eine regelmäßigere Reinigung bringt irgendwann nichts mehr. Nur eine Sanierung.“ Vor gut gemeinter, aber fehlgeleiteter Sanierung warnt der Fachmann indes: „Wenn ich in Duisburg-Marxloh in Schulen gehe, sind die Toiletten alle sehr veraltet und stinken deshalb. In den Toiletten der Grundschule im Nachbardorf, die deutlich neuer ist, stinkt es trotzdem wie Gülle. Weil dort in teure wasserlose Urinale investiert wurde. In denen sammelt sich auch der Urinstein.“ Die darin verbauten Membranen – ein Gummi, wie eine Art Kondom –, erklärt er, müssten einmal im Jahr getauscht werden, weil sie danach nicht mehr richtig schließen würden. Pro Urinal käme man mit Mehrwertsteuer so auf rund 100 Euro. Mein Vater schätzt: „Dann hängen da 16 Klos. Macht 1.600 Euro pro Jahr, die viele Schulen nicht ausgeben wollen oder können. Sieht zwar immer noch sauber aus, aber stinkt.“ Urinale jedweder Bauweise seien übrigens oft ein Grund, falls es auf Jungsklos strenger riecht als auf Mädchenklos.
Es muss noch viel Wasser die Abflussrohre hinunterfließen
Bis flächendeckendere Sanierungen in stinkenden Schulen stattfinden – Direktor P. spricht zynisch von einer Schulbaudefensive statt -offensive –, wird wohl noch sehr viel Wasser nicht durch die Abflussrohre ziehen und werden Kinder weiterhin Heimscheißerchen bleiben. Ich sehe es positiv: Wenn dies das größte Problem einer Schule ist, ist es vielleicht gar kein so großes. Was nicht heißen soll, sich darüber nicht beschweren zu dürfen. Und während ich zum Recherche-Doppelcheck dieser Kolumne meinen Sohn noch mal frage, wie schlimm es aktuell in dem Schulklo so dufte, das er ja deswegen meide, wie er mir in meiner Erinnerung einst berichtete, schaut er mich entgeistert an und entgegnet: „Hä? Ich habe nie gesagt, dass Gestank der Grund dafür war!“ „Ach ja?“, frage ich nach, „was denn dann?“ Die unbefriedigende Antwort „Will ich Dir nicht sagen, Papa. Privatsphäre!“ musste ich akzeptieren.
P.S.: Wer das Ganze mit noch mehr Humor betrachten will, dem oder der sei zum Abschluss die us-amerikanische Mockumentary „American Vandal“ empfohlen. In der zweiten Staffel der True-Crime-Satire gehen zwei Schüler als investigative Filmemacher dem Rätsel nach, wer unter dem Namen „The Turd Burglar“ (in der deutschen Übersetzung: Kackbandit) heimlich Abführmittel in den Limonadenspender füllte, in dessen Folge eine Art Durchfallmassaker auftrat und betroffene Schüler*innen notdürftig in jede Ecke kackten. So schlecht geht es unseren Kindern ja nun wirklich nicht! #Kackemoji