Was ich von John Nivens Kennedy Marr über Kinder lerne

John Niven hat mit „Straight White Male“ einen Sex’n’Drugs-Roman über Männer in der Midlife Crisis und Kunst vs. Kommerz im Film- und Literaturbetrieb geschrieben – und hält dabei ein Plädoyer für die Familie.

Kennedy Marr ist kein Arschloch, wie es all die anderen Männer sind. Marr fickt, säuft und prügelt sich für sein Leben gerne, durch seine Seitensprünge und seinen, nun ja, hedonistischen Lifestyle hat er schon zwei Ehefrauen verschlissen. Aber Marr, aus Irland über Glasgow und London nach Los Angeles ausgewanderter Bestsellerautor, Drehbuchschreiber, Egoist und hochverschuldeter Lebemann, gibt ständig gutes Trinkgeld, steckt den Obdachlosen in Hollywood gerne mal große Scheine zu und sagt den Leuten frei von Hierarchiedenken oder Mitgefühl seine Meinung ins Gesicht. Er hat Temperament, wie es seine im Sterben liegende Mutter nennt. Sagen wir: Marr ist kein Freund von gesellschaftlichen Konventionen.

Diese Eigenschaft wird ihm, dem in der Filmbranche so erfolgreichen Starschreiber, erst wirklich zum Verhängnis, als er für einen hochdotierten Literaturpreis ein Semester an eben der britischen Universität lehren soll, an der auch seine erste Frau und Mutter seiner Tochter arbeitet. Dass dies nicht nur einer „Abschiebung“, wie er sagt, sondern auch einer Chance gleichkommt, will Marr auch nach einigen weiteren Skandalen in seinem Privatleben und dem als öffentliche Person nicht so recht wahrhaben. Seinem Schwanz gibt er auch zurück in England noch immer den Vorzug.

„Straight White Male“ ist nach u.a. „Kill your Friends“ „The Second Coming“ und „With Cold Hands“ der nächste sehr lesenswerte, weil wieder unterhaltsam wie ein guter Film geschriebene, tragikomische Roman von John Niven. Niven war in den 90ern A&R bei einem großen britischen Plattenlabel, seitdem lehrt er Literatur an Universitäten und schreibt Drehbücher. Kinder hat er auch. Niven dürfte also ziemlich gut wissen, wovon sein Protagonist Kennedy Marr da spricht, und von eben diesem Insiderwissen und den darüber vertretenen Ansichten über Business, Gesellschaft und Vaterschaft lebt auch „Straight White Male“. Der Roman darf als halbautobiographisch gelten, während Niven ihn, sich selbst und seine Arbeit einer fortlaufenden kritischen Prüfung unterzieht. Und als Leser lernt man neben der Behauptung, dass alle Männer Schweine seien, unter anderem, wie die Hackordnung bei Kinoproduktionen wirklich läuft, warum sich nun Autor, Produzent, Regisseur oder Hauptdarsteller für den unverzichtbarsten Teil des Ganzen halten und dass all diese Player in der Filmbranche noch kaputter als die in der Musikbranche sind. Über die hatte Niven bereits einen Bestseller geschrieben.

Anders als bei Nivens Steven Stelfox, dem Cowell-Bohlen’schen Arschloch aus „Kill your Friends“, ist der wahre Nemesis von Kennedy Marr nicht die verschissene Welt und all die Verlierer da draußen (auch), sondern im Triebwerk seiner selbst zu suchen. Und Marr, das hat er Stelfox voraus, weiß sehr genau, warum er handelt wie er handelt: „Ich bin für eine Umverteilung und all den Scheiß“, sagt er einmal sinngemäß, „mein Problem ist nur: ich mag auch zu gerne Alkohol und gute Anzüge“.

Kennedys menschlichste beziehungsweise moralisch, naja, unbedenklichste Seite kommt immer dann zum Vorschein, wenn er über das nachdenkt, was er als Konstrukt eigentlich verabscheut: Familie. Er hat eine 16-jährige Tochter, die ihn fast so cool findet wie ihre Freundinnen. Er versteht nicht, wie andere Männer es über Jahre oder gar ein Leben lang an der Seite von nur einer Frau aushalten und wie sie den täglichen Versuchungen in Bars, auf Parties und Geschäftsreisen widerstehen können. Aber in einem Moment erwischt er sich und der Leser ihn dabei, wie er sich ein Leben mit Ex-Frau Milly und Tochter Robin vorstellt und herbeisehnt, das er so nie hatte. Ein ganz normales, wenngleich durch seine Karriere natürlich ungleich privilegiertes Familienleben. Und spätestens dort lässt Niven Popkultur und Palaver hinter sich und seine Leser unter Marrs Oberfläche – mitten hinein in dessen Leere.

„Wenn du einen Sohn hast, musst du dich nur um einen Schwanz sorgen“, zitiert Marr gleich zweimal, zu Beginn sowie im späteren Verlauf, seinen Großvater. Dann müsse man nicht über „all die gegenwärtige Begierde da draußen und all die anderen Kennedys“ nachdenken. An einer anderen Stelle beobachtet Marr einen kleinen Jungen, der am Strand seinen Eltern mit einem Hot Dog in der Hand hinterher trottet. Ein Bild, das seinem Betrachter all die Einsamkeit des Lebens und Selbstständigkeit von Kindern offenbart und traurig stimmt: Jetzt kann der Junge alleine essen, jetzt ist er bald allein in der Welt. Und schließlich erkennt dieser Kennedy schon früh, was geschiedenen Männern im mittleren Alter am meisten fehlt: „Wenn diese Männer also erwachten, dann lasteten keine winzigen Ärmchen oder Beinchen auf ihrer Brust. Bloß der Druck. Der Druck, den das Wissen mit sich brachte, dass das Ende unerbittlich näher rückte.“

Man kann von Kennedy Marr also doch und sogar als Vater etwas lernen. Er lernt ja auch selbst nicht aus.

John Niven: „Straight White Male“, 382 Seiten, Übersetzung von Stephan Glietsch, Heyne Hardcore 2013

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