Während Deutschland wieder über Musterung und Wehrpflicht diskutiert, habe ich meinen alten Musterungsbescheid und dessen Folgeschriebe wiedergefunden. Gestatten, anerkannter Kriegsdienstverweigerer. Mit Verwendungsausweis!





Zum Thema Wehr- und/oder Musterungspflicht: Ich habe da in einem alten Ordner was gefunden.
Im September 2000 schien die Welt vergleichsweise in Ordnung. 9/11 hatte die Twin Towers und „unser“ Nineties-Gefühl von Frieden und Sicherheit noch nicht jäh zum Einsturz gebracht. Ich war 19, fuhr mit meinem Nissan Micra durch die Dörfer und hatte keinen Plan, was die Zukunft über das jeweils nächste Wochenende oder das hoffentlich bald bestandene Abi hinaus bringt. Nur eine Sache wusste ich als unsportlicher Slacker: Auf die Bundeswehr hatte ich gar keinen Bock.
Meinen Verweigerungsaufsatz schrieb ich von einem Kumpel ab, der das Prozedere schon ein Jahr zuvor erfolgreich durchlief. Die obligatorische Musterung nahm ich mit entsprechender Gelassenheit wahr. Wiegen, messen, husten. Und bestimmt noch ein paar Hampelmänner, Liegestütz und Kniebeugen, vielleicht sogar ein Seh- und Hörtest. In meiner Erinnerung lautete meine offizielle Einstufung danach „T-3“, dem obigen Zettelfund nach zu urteilen aber erreichte ich sogar die Tauglichkeitsstufe 2. Das ist kurz vor Terminator, richtig? Oder waren die damals schön gnädiger als meine Lehrer bei der Mündlichen?
Musterungsergebnis: „verwendungsfähig“
Im Jahr 2000 galt ich also als „verwendungsfähig“ (!), wie so ein handelsüblicher Waschlappen oder Kugelschreiber, Gebrauchsmaterial halt, jedoch mit einer Einschränkung für bestimmte Tätigkeiten. X100? Ein Blick auf die Rückseite der als „Verwendungsausweis“ (!) fungierenden ärztlichen Entscheidung verrät: Als Wachbataillon zog man mich nicht in Betracht! Hatte das Kreiswehrersatzamt Wesel etwa schon damals mein ADHS diagnostiziert und mir nix davon gesagt? Ich glaube, ich war mit 1, 76 Meter Körpergröße schlichtweg zu klein für einen Aussichtsposten beziehungsweise sah deshalb nicht ausreichend repräsentativ und respekteinflößend für ein Mitglied der deutschen Garde aus. Fair enough und whatever, denn: Zu jedem anderen Tätigkeitseinsatz kam es ebenso wenig.
Mein Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer wurde drei Wochen nach Eingang und Musterung: anerkannt. Dass der Bescheid darüber, dass ich berechtigt bin, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, unanfechtbar ist? Hätte das fortan zuständige Bundesamt für Zivildienst, dem ich meine Dienste als Zivi in einer integrativen Kindertagesstätte*, die so integrativ nicht war, gerne zur Verfügung stellte, mindestens in diesen Worten gar nicht sagen müssen. NATÜRLICH IST ER UNANFECHTBAR, zumindest von mir! Ich war doch qua seines Posteingangs offiziell ein Pazifist, nicht Guybrush Threepwood! In meiner späteren beruflichen und akademischen Laufbahn habe ich nie wieder einen Titel erlangt, den ich mir ans Revers heften würde. Bei „anerkannter Kriegsdienstverweigerer“ würde ich womöglich eine Ausnahme machen. Gestatten!
Bleibt für mich 25 Jahre später als Vater zweier Söhne nur die Frage: Kann ich diesen Titel an sie weiterreichen? Für reiches Erbe ließen sich in Deutschland bisher doch noch immer Schlupflöcher finden!
(*Bei allem Respekt: Die Geschichten von Freunden, die beim Bund waren, bestärkten mich übrigens in meinem Eindruck, dass ich in dieser Rolle der Gesellschaft und mir selbst einen größeren Dienst erwies als sie. Those were the days, Kinder. Euer Papa erzählt vom Krieg, den es nicht gab.)
