Unter Müttern in Dreiviertelhosen

Ich trat mit meinem Sohn eine Vater-Kind-Kur an – und hoffte, damit etwas gegen meine Erschöpfung und zu hohen Blutdruck zu tun. Ob das geklappt hat? Mein Erfahrungsbericht für den „Tagesspiegel“.

Ich stehe im Schwarzwald und weine. Es ist Tag zwei meiner Vater-Kind-Kur, neun Uhr morgens an einem Mittwoch. Die Nordic-Walking-Stöcke hängen wie Fesseln aus Klett und Aluminium an meinen Handgelenken, das Klinik-Frühstück liegt mir noch flau im Magen.

Ich will allein sein und keinen Small Talk über Kinder führen. Verdammt, den habe ich in elf Jahren Elternschaft bereits zu genüge geführt! Allerdings stapfen mit mir rund 30 andere Elternteile, ebenfalls mit Nordic-Walking-Stöcken, durch den Wald. Die meisten von ihnen tragen Dreiviertelhosen und sehen aus, als ob sie Monika oder Michael heißen. Auf jeden Fall wie Leute, mit denen ich nichts gemein habe. Und mit denen ich in Berlin, wo ich eigentlich lebe, vermutlich keinerlei Berührungspunkte hätte. Was habe ich mir bloß hierbei gedacht?

Es hilft nichts: In den kommenden drei Wochen muss und will ich mich auf die Kur einlassen. Mir und meinem Sohn zuliebe. Also walke ich weiter. Und fange an zu reden.

Schon bald erkenne ich zumindest eine große Gemeinsamkeit: Alle Anwesenden haben ihre eigenen Baustellen, die sie herführen.

Da ist die Alleinerziehende, deren hyperaktives Kind mit Regulationsstörung ihr auch hier keine Auszeit lässt. Die Mutter dreier Kinder, die sich freut, ihr „viertes Kind“ (damit meint sie den Papa) daheim in Ruhe seinem Vollzeitjob zu überlassen. Der Vater, der mit seinem Sohn wegen häuslicher Gewalt das Weite suchte. Die gemeinsam angereiste Familie mit dreijährigem Knirps, dessen 35-jährige Mama eine Krebserkrankung hinter sich hat. 

Nur zehn Prozent der Elternteile, die eine Kur beantragen, sind Väter

Einige von ihnen lerne ich näher kennen und ahne: Auch diejenigen, die in jeder freien Minute in der Raucherecke herumlungern oder die, bei denen ich vermute, dass sie die Kur eher als bezahlten Sonderurlaub sehen, tragen ihre Päckchen. Selbst ihre Geschichten interessieren mich irgendwie dann doch. Hier bin ich trotzdem wegen meiner eigenen.

Alltagsstress, Überforderung, Erschöpfung, innere Unruhe, Antriebslosigkeit, Bluthochdruck, Rückenschmerzen: Die Gründe, wegen der mir meine Hausärztin die Notwendigkeit einer Kur attestiert hat, sind die gleichen wie bei Müttern. Ich kümmere mich als getrennt erziehender Vater zu 50 Prozent um meine Kinder und spüre, dass ich schon wegen dieser Care-Arbeit sowie meiner Erwerbsarbeit zu 100 Prozent eine Kur vertragen könnte.

Ich habe den Luxus und das Privileg, als Vater zweier Kinder nur eines mitzunehmen, während das andere bei seiner Mama bleibt – und gleichzeitig ist die Kur eine notwendige Verschnaufpause und Exklusivzeit für alle Beteiligten.

Laut Müttergenesungswerk sind in Deutschland rund zwei Millionen Elternteile kurbedürftig. 2022 stellten rund 192.000 einen Antrag, nicht mal zehn Prozent darunter waren Väter. Das Ungleichgewicht lässt sich leicht erklären: Es sind eben immer noch vor allem die Mütter, die sich um Haushalt und Erziehung kümmern und den Großteil des Mental Loads tragen. Sie kommen daher auch häufiger an ihre Grenzen und beantragen eine Kur. Dazu kommt, dass zu viele Männer immer noch zu wenig an ihre mentale und körperliche Gesundheit denken.

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