Snippet: Jesper Juul über die Verantwortung von Mutter und Vater

„Was bedeutet geteilte Verantwortung in Bezug auf das Kind?“, fragt Juul rhetorisch in einem seiner Bücher. Die Antwort dürfte nicht nur mir, sondern vielen Eltern zu denken geben.

Jesper Juul im Jahr 2015 (PR-Foto: JesperJuul.com, Anne Kring)
Jesper Juul im Jahr 2015 (PR-Foto: JesperJuul.com, Anne Kring)

Wer Kinder hat, kommt nicht nur um viel Stress und wenig Schlaf nicht herum. Auch an Jesper Juul führt kein Weg vorbei. Juul ist Padädoge, Familientherapeut und schreibt Erziehungsratgeber wie am Fließband, bekannt ist er vor allen anderen Schriften durch sein Standardwerk „Dein kompetentes Kind“. Seit ein paar Wochen ist der 67-jährige Däne erneut in aller Munde. Juul hat nämlich ein neues Buch namens „Leitwölfe sein: Liebevolle Führung in der Familie(Amazon-Partnerlink) geschrieben, in dem er klarstellt, dass viele Eltern ihn bisher offenbar missverstanden hätten: Bisher nutzte er stets den Begriff „Leuchtturm“, um die bestmögliche Rolle von Eltern gegenüber ihren Kindern zu umschreiben. Er halte es für nötig, „sich von der überkommenen Polarisierung zwischen autoritärem und sogenanntem Laissez-faire-Erziehungstil zu befreien“, sagte er etwa im Interview mit der FAZ. Dort erfährt man übrigens auch, dass Juul seit Dezember 2012 wegen einer Querschnittslähmung infolge einer Nervenerkrankung im Rollstuhl sitzt und nicht sprechen kann.

In unserem Haushalt liegen seit der Geburt von Kid A zwei von Juuls Büchern herum: Das besagte „Dein kompetentes Kind“ sowie „Mann und Vater sein“ – ein Werk, dass mich wegen seines testosteronbeladenen Titels durchaus ein wenig verstörte. Vor ein paar Tagen habe ich dennoch einen neuen Anlauf gewagt und die ersten 40-50 Seiten gelesen. Zwischenfazit: Viele Ideen und bestimmt gut gemeinte Tipps hat Juul auf Lager, bleibt aber leider bloß im Ungefähren. Man müsse seinen Kindern keine Rolle von sich selbst, sondern Authentizität vorleben, schreibt er etwa. Wie das konkret gehen soll oder kann, verrät er nicht.

Nichtsdestotrotz war es besonders eine Passage, in der ich einen wiederkehrenden Streitpunkt zwischen mir und meiner Frau gut erkannt habe. Darin geht es um die gemeinsame Verantwortung und die verschiedenen Verständnisse dieser Aufgabe.

In diesem Zusammenhang ist es notwendig, den Unterschied zwischen Veranwortung und der Erledigung von Aufgaben zu begreifen. Tatsache ist, dass 80 % aller Frauen sagen, dass sie sich wie alleinerziehende Mütter empfinden, selbst wenn sie einen Ehemann haben. Diese Feststellung seitens der Frauen erleben Männer sehr oft als unfair, ungerecht und beleidigend, denn die Männer ihrerseits empfinden, dass sie mindestens so viele Aufgaben erfüllen wie ihre Frauen. Was die Aufgabenverteilung angeht, haben diese Mütter unrecht, aber was die allumfassende Verantwortung für das Kind betrifft, könnten sie recht haben, wenn sie sich als alleinerziehend empfinden: Die ganze Verantwortungslast liegt auf ihren Schultern.

Und hier lässt Juul zum Glück auch konkrete Beispiele folgen, die ich als einer, der bisher sehr selten Klamotten für das Kind ausgesucht hat, nur zu gut nachvollziehen kann. „Daher müssen wir uns jetzt die Frage stellen: Was bedeutet geteilte Verantwortung in Bezug auf das Kind?“, schreibt Juul, und weiter:

Wenn sich Vater und Mutter die Verantwortung für ihr Kind teilen, heißt das, das sowohl der eine als auch der andere Elternteil hundertprozentig die Verantwortung für das gemeinsame Kind übernimmt: Die Verantwortung kann nicht 80 % zu 20 % oder 50 % zu 50 % geteilt werden. Verantwortung ist nichts Theoretisches, was sich irgendwie an einem Verhandlungstisch aufteilen lässt, Verantwortung ist eine ganz konkrete Erfahrung und bedeutet: Wer hat den Überblick darüber, wann das Kind die nächste Kontrolle beim Arzt wahrnehmen muss; wer geht zum nächsten Elternabend im Kindergarten oder in der Schule; wer kümemrt sich darum, dass das rasch heranwachsende Kind auch immer passende neue Kleider bekommt, dass die Größe der Windeln angepasst wird, dass das Kind zu einem Kindergeburtstag gebracht wird usw. Wenn beide, sowohl die Mutter als auch der Vater, den Überblick über das haben, was das Kind braucht, dann ist das ein gutes Zeichen, dann heißt es, beide sind in der Tat gleichermaßen verantwortlich. Hat nur einer den Überblick, dann ist es ganz klar: Dieser Elternteil trägt die Verantwortung.

Ich muss trotz jedes vermeintlichen Fortschritts, scheinbarer Gleichberechtigung und einer ungefähren 50/50-Aufteilung der Zeit, die wir mit unserem Sohn verbringen, zugeben: Die Verantwortung für Kid A trägt Juuls Definition zufolge noch immer meine Frau. Ich muss da noch an mir arbeiten. Keine Ausrede, dass es vielen anderen Vätern da vermutlich ähnlich geht.

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