Ein Elefant für eine Kaiserin

Warum der Hashtag #EinElefantfuerDich so viral wie nah ging.

Elefant-NKATB
Ein Elefant für Kaiserin 1. Aus einem Bilderbuch von Kid A.

Zum Jahreswechsel schrieb Mareice Kaiser einen Satz ins Internet, den niemand jemals sagen müssen will: „Am 30. Dezember 2015 ist unsere Tochter in unseren Armen eingeschlafen und gestorben“ stand da, nur einen Tag später, auf ihrem inklusiven Familienblog „Kaiserinnenreich“. Diese Worte kamen in dem Posting mit dem Titel „Ein Elefant für Dich / Epilog“ fast wie eine Fußnote daher. Davor zitierte Mareice nämlich das gleichnamige Lied „Ein Elefant für Dich“ von Wir Sind Helden, Zeile für Zeile. Regelmäßigere Leser von Mareices Blog ahnten schon dort, was sie darunter schwarz auf weiß nachlesen konnten.

Mareices erste von zwei Töchtern, die sie auf ihrem Blog „Kaiserin 1“ nannte, wurde 4 Jahre alt. Sie kam 2011 zur Welt mit einem „seltenen Chromosomenfehler auf dem 8. Chromosom. Der heißt 8q12-q21.1 und macht, dass sie taubblind ist (ähnlich: CHARGE-Syndrom), an Morbus Hirschsprung (einer fiesen Erkrankung des Darms) leidet und ihre Muskeln hypoton sind. Sogar für Spezialisten ist sie ein außergewöhnliches Supersonderspezialkind“, erklärt Mareice ihren Lesern. Die Journalistin bloggt über dieses Leben mit behinderten und nicht behindertem Kind, über das Leid (ganz unpathetisch und ohne jedes Selbstmitleid), die Freuden und über die Vorurteile anderer. Sie schreibt über Barrierefreiheit, digitale Inklusion und Krankenhausbesuche, regt sich über Reaktionen Außenstehender wie „Also ich könnte das nicht“ auf, interviewt andere Mütter behinderter Kinder, sie engagiert sich aber auch abseits ihres zwangsläufigen Fachgebiets, zum Beispiel in der Flüchtlingshilfe. Trotzdem: So wie besonders ihre erste Tochter ihr Leben umkrempelte, so bestimmt das Thema auch ihr Blog. Einmal, zum dritten Geburtstag von Kaiserin 1 im Oktober 2014, postete sie schon mal die Textzeilen von „Ein Elefant für Dich“, damals aber als Ständchen und Liebeserklärung an ihre Tochter eingeleitet.

Man kann und will sich als Außenstehender schon kaum vorstellen, wie man mit der Pränatal-Diagnose „Behinderung“ seines Kindes umgehen würde. Mareice schrieb mal für die zitty auf, wie das damals bei ihr, bei der ersten und bei der zweiten Schwangerschaft, war. Aber es gibt wohl nichts Schlimmeres für Eltern, ihr eigenes Kind sterben und am Ende tot zu sehen. Mareice und ihr Mann Thorben verlinkten ihren Abschiedsgruß auf Facebook mit den Worten: „Wenn Ihr heute Abend anstoßt, trinkt bitte auf unsere Tochter. Sie war die Coolste von allen!“

Was auf soviel offenkundige Stärke folgte, war ein Meisterstück der Solidarität im Digital-Sozialen. Einige Elternbloggern erinnerten sich daran, wie sie Kaiserin 1 kennenlernten. Der Hashtag #EinElefantfuerDich avancierte auf Instagram und Twitter zu einem Kondolenz-Hit und landete in den Trending Topics. Statt „Mein Beileid“ und ähnlich Deprimiertem posteten Mareices Follower Fotos von Elefanten und anderes Aufbauendes. Berliner Zeitung, Süddeutsche und andere Medien griffen die Geschichte auf, während die ehemalige Wir-Sind-Helden-Sängerin Judith Holofernes, eine Bekannte und Kreuzberger Kieznachbarin von Mareice sowie selbst Mutter, ebenfalls reagierte: „Ich bin sprachlos, kann nicht aufhören zu weinen. Mein Elefant soll immer sein, und für euch“, twitterte sie am Neujahrstag.

https://www.youtube.com/watch?v=iURz1jNSSQg

Ich selbst kenne Mareice bloß von ein paar Begegnungen, auf Elternblogger-Events (ja, sowas gibt es) oder der re:publica 2015, zum Beispiel. Aber ich lernte sie so kennen, wie man sie kennenlernen sollte: Als freundliche, lustige und intelligente Frau, die Journalistin, Bloggerin und zweifache Mutter ist – und nicht zuerst als Mutter einer behinderten Tochter. Ich sage das nur deshalb, weil Mareice auf ihrem Blog notgedrungen niemals müde wurde zu betonen, dass man ihrer Tochter doch bitte genauso begegnen möge: Sie ohne Berührungsängste und Vorurteil als Mädchen mit special needs sehen, ja, aber nicht zuerst als bemitleidenswertes Kind von bemitleidenswerten Eltern.

(Dieser Text wurde nachträglich gekürzt.)

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