Mein Kind ist geiler als dein Kind

Zur ARD-Themenwoche „Toleranz“: Warum eben diese Toleranz gegenüber Eltern sehr angebracht ist – mehr aber noch Eltern selbst sich in ihr üben müssen. Oder eben nicht.

Der "Kackofant" von Fil Tägert und Klaus Cäsar Zehrer hilft in vielen Lebenslagen.
Der „Kackofant“ von Fil Tägert und Klaus Cäsar Zehrer hilft in vielen Lebenslagen. Siehe unten.

Es gibt für Eltern mindestens zwei gute Gründe, Krabbelgruppen, Elterncafés, Pekip-Kurse und überhaupt das Treffen von Bekannten mit Kindern zu meiden: das ewige Konkurrenzdenken sowie das ewige Schönreden der eigenen Erfahrungen. Nichts ist schlimmer als Babyvergleiche, und die Frage nach dem Durchschlafen ist der Hitler unter all diesen Vergleichen.

„Nein, verdammt, mein Kind schläft nicht durch. Es ist ja gerade mal ein paar Monate alt und hat nicht nur noch keinen Erwachsenen-Rhythmus, sondern jede Menge Hunger, der gestillt werden will und muss!“ Das hätte ich antworten sollen, wann auch immer die Frage danach kam, manchmal habe ich es auch getan. Natürlich wünsche ich mir für uns auch eine Nacht mit weniger Schlafunterbrechungen als bisher, aber ich weiß, warum das so ist – wenn nicht mehr wegen des Hungers, dann wegen Zahnschmerzen. Oder der Verarbeitung des KiTa-Tages. Oder Fieber. Die Frage nach dem Schlaf berührt aber gleich zwei weitere angebliche Problemzonen der Kindererziehung: das Thema Essen und das Thema Besserwissen.

Auf ihrem Blog Kaiserinnenreich machte Mareice Kaiser wiederholt ihrem Unmut darüber Luft, wie sehr gerade ihre Töchter immer wieder Sprüche und Blicke über ihr Gewicht und/oder ihr Essverhalten ertragen müssten. Es stimmt wohl: Mütter werden oft kritisiert, wahrscheinlich wirklich weniger als Väter, „da ist es schon toll, wenn die es heil auf den Spielplatz schaffen“, so der österreichische Standard.

„Mein Sohn ist 16, er sitzt und spricht“

Aus ähnlichen Erfahrungen heraus veröffentlichte Angela Keck auf Huffington Post neulich eine „offizielle inoffizielle Liste von Leuten, die keine Erziehungstipps geben sollten“. Dazu zählt sie unter andere, Celebrities, Kinderlose und Fremde. Und hier füge ich noch – no offense – explizit die eigene Verwandtschaft hinzu und zitiere Kettcar und Kurt Tucholsky mit den Worten: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.“ Ja, es mag sein, dass es früher bei Cousin Karlchen so und so war. Aber das war ein anderes Kind als unseres.

Kid A, soviel gebe ich hier preis, ist recht zart auf die Welt gekommen. Aber ich will nicht mehr hören, wie klein er doch wäre. Ich sage über andere Babys schließlich auch nicht als erstes, wie fett ich sie finde. Ja, Babyvergleiche funktionieren meist als Selbstversicherung (Zähne, Essen, Schlafen, Krabbeln, Sprechen, Gewicht, Schulabschluss und so weiter), und ja, mich interessiert natürlich auch, wie es bei anderen Eltern so läuft. Aber werten, nee, das sollen die mal schön mir überlassen und in ihren eigenen vier Wänden tun. Denn fast alles davon ist doch später so egal wie dem Kind jetzt noch, was es für Klamotten trägt: In fünf Jahren interessiert sich kein Mensch mehr dafür, ob der Junge vor ihnen mit acht oder mit 36 Monaten laufen konnte. Ich halte es da mit Loriot: „Mein Sohn ist 16, er sitzt und spricht!

Irgendwann hilft nur noch der Mann hinter dem „Kackofant“. Der „Kackofant“ ist eine Kinderbuch gewordene Erfindung des Berliner Anarcho-Komikers und Comiczeichners Fil und von Klaus Cäsar Zehrer, und er ist bloß ein Teil in Fils langer Reihe pädagogischer Frontalansagen. Die beste davon ist sein Liedchen „Mein Kind“, eigentlich ein Abgesang auf das Prenzl’berger Elterngesabber, dessen Hauptdarstellerin die Autorin Anja Maier in ihrem Buch „Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter“ mal als „Macchiato-Mütter mit Eutern“ verunglimpfte. „Wenn mein Kind rappt, hört Jimi Blue zu. Dein Kind ist Jimi Blue“ ist eine von vielen zitierwürdigen Zeilen aus Fils Song, der prima als Todschlagreaktion auf die nächsten ach so gut gemeinten Tipps und Babyvergleiche funktionieren dürfte. Aber hören und lesen Sie selbst.

 Fil // Fil – Mein Kind ist geiler als dein Kind // nuflicks.de

Textauszug: Fil – „Mein Kind ist geiler als dein Kind“

Mein Kind ist geiler als dein Kind
Mein Kind weiß, wer die New York Dolls sind.
Mein Kind ist irgendwie geiler als deins.
Meins heißt Ngahugahuga und deins heißt Heinz.
Dein Kind kann auf der Blockflöte flöten.
Mein Kind kann deins mit bloßen Händen töten.
Mein Kind ist so viel geiler als dein Kind.
Dein Kind ist fast so kacke wie kein Kind.
Mein Kind konnte schon mit drei Monaten gehen.
Dein Kind hat Schwimmhäute zwischen den Zehen.
Frag mal mein Kind ne Frage und dann guck mal, wie es unterfordert ist.
Gib mal jetzt bitte selber ehrlich zu, dass mein Kind geiler ist.
Wenn mein Kind rappt, hört Jimi Blue zu.
Dein Kind ist Jimi Blue.
Dein Kind kann aber auch ganz niedlich sein, zum Beispiel, wenn es sich wehtut
oder wenn es was total falsch ausspricht oder wenn es bricht.
Ich mag’s eigentlich ganz gern, es kann von meinem Kind ruhig was lernen.
Und wäre es nicht so mager, wäre es ein prima Organersatzteillager
für mein Kind.

5 Gedanken zu „Mein Kind ist geiler als dein Kind

  1. Ha!
    Gegenentwurf: Seit Nr. 2 geboren ist hören wir wie mopsig er ist. Wie gerne und viel er doch isst und wie faul er ist. Ja, bis vor einigen Monaten hatte er auch noch wenig andere Skills als Baby(Überraschung). Sogar die Ärztin meinte zu uns:“ Na, der sieht mir ja nicht aus wien Kind, das Nahrungsmittelallergien hat!“ Ok, dann hat er halt schwere Knochen und passt nicht in Slimfit Jeans für Kitzekleinkinder. So what. Ne coole Sau isser allemal.
    Und mal ehrlich, jeder denkt, dass die eigene Brut das Beste is wo jibt. Man sollte nur einfach öfter mal die Kresse halten.

  2. Herrliche Unterhaltung! Wir vergleichen unsere Kinder einfach familienintern. Kind 1.0 war immer viel dünner als Kind 2.0, Kind 2.0 passt jetzt schon in Klamotten die Kind 1.0 erst mit 9 Monaten anhatte. „Kinder müssen Wonneproppen sein“ vs „Kinder müssen drahtig sein“. Ein Riesenspass!

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